In vielen Fantasy-Settings begegnen uns Konstellationen, die in gewissem Sinne an die griechisch-römische Götterwelt angelehnt sind. Hier möchte ich zeigen, wie sie's nicht sind. Natürlich muss man nicht versuchen, in einer Fantasywelt naturgetreu zu wirken und es mag verschiedentlich gute Gründe dageben, aber es wäre ja schön, wenn man gekonnt hätte. Also hier ein paar Dinge, die bei Fantasy-Polytheismus falsch laufen.
1. Götter haben KirchenKirche, also eine überregionale Organisation, die nicht mit staatlichen Institutionen identisch ist, ist eine sehr christliche Erfindung. Dass es religiöse Spezialisten für gewisse Riten gibt, ist normal. Dass Tempel dezidiertes Personal haben, kommt vor. Dass sich religiöse Spezialisten und Tempelbedienstete in einer Art Parallelstaat organisieren, ist super-exotisch. Es gab also möglicherweise Apollo-Priester, aber keinen Apollo-Papst. Und schon gar nicht dazu auch Diana-, Juno- und Athene-Päpste. Daraus folgt dann auch, dass Götter keine einheitliche Liturgie haben. Was man Villariba zu Ehren einer Gottheit veranstaltet, kann sich von Villabajo maßgeblich unterscheiden.
2. Einzelne Leute haben EINEN GottKommt besonders bei D&D vor, wo auf jedem Charakterbogen ein Feld "Gottheit" steht. Dabei werden im POLYtheismus standardmäßig mehrere Götter verehrt. Auch von Priestern. Tempel einer Gottheit enthalten oft Nischen für verwandte oder untergeordnete Götter. Üblich ist auch, dass gewisse Götter bei jedem Ritual gewissermaßen als Türöffner angerufen werden, egal welche Gottheit danach im Zentrum des Vorgangs steht. Bei den Griechen war das Zeus. Gleiches kommt aber in anderen Kulturkreisen vor. Passieren kann, dass Herrscher sich als Marketing-Instrument mit einem Gott identifizieren, sich also z.B. Apollo- oder Herkules-ähnlich darstellen lassen. Das ist dann Branding.
3. Götter haben GeschichtenAlso klar, so Kandidaten wie die Zeus, Poseidon und Athene haben ne ganze Reihe von Geschichten und Mythen bei den Griechen. Jupiter, Neptun und Minerva, also die Römer, hatten das augenscheinlich nicht. Jedenfalls nicht bevor, die Römer die griechische Mythologie quasi blanko importiert hatten. Die primäre Funktion von Göttern ist, dass man ihnen opfern kann. Geschichten sind lustig, aber optional.
4. Götter sind zählbarTatsächlich gibt es wohl, die, die und die Götter und dann noch ganz, ganz viele andere. Das erkennen wir leicht an Orten wie dem Pantheon in Rom, dem Altar des Unbekannten Gottes in Athen oder auch bei Ovid, wenn analog zum einfachen Volk im Göttersenat die "ländlichen Mächte, die Faunen und Nymphen und wald- und bergbewohnenden [Gottheiten]" (
Met 1.192f) als Argument angeführt werden. Der Eid des Hippokrates macht das auch sehr schön.
5. Götter haben einen dezidierten AufgabenbereichDas geht natürlich nach unten hin schon gemäß dem letzten Punkt schief. Das ganze Fußvolk kann gar keinen eigenen Aufgabenbereich haben. Nach oben hin sind dann aber andersherum keine Grenzen. Man kann auch Juno, Apollo und Diana im Krieg anrufen. Viel hilft ja bekanntlich viel. Natürlich gibt es Götter, die nichts sind, als ihr Aufgabenbereich, einfach weil einem Substantiv ein Altar errichtet wird. Rom hatte z.B. Weihestätten für Victoria, Concordia, Iustitia und die Seuche.
6. Götter haben immer was mit Religion zu tunDie Erfindung der Religion als gesellschaftliche Institution in Abgrenzung zu anderen Bereichen ist eine ziemlich neue. Das heißt nun nicht nur, dass man eigentlich für alles und jedes die Götter anrufen kann. Vor jedem wichtigen Akt zu beten und zu segnen, das leuchtet uns
WEIRDen Leuten ja noch ein. Aber zum Beispiel können dezidiert atheistische Philosophen
in ihrem Werk die Venus anrufen, dann eher als kosmisches Prinzip denn als Individuum. In gewisser Weise also die Sache mit dem Concordia-Tempel rückwärts. Oder um nicht ganz so hoch zu zielen, wenn wir also einen
Sauf- und Trinkverein gründen, dann können wir da schmerzfrei Juno aufs Infomaterial drucken, auch wenn man der ansonsten eher andere Züge zuschreibt.