Autor Thema: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute  (Gelesen 10278 mal)

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Offline Hewisa (gone for good)

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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #75 am: 6.08.2019 | 13:17 »
Soweit ich das in Erinnerung habe, waren zu Anfang tatsächlich Mischformen ausgeschlossen, höchstens ein Wechsel der Cretiven Agenda innerhalb einer Spielrunde war vorstellbar, aber man spielte - so die Lehre - nur eine CA zur gleichen Zeit.
Wenn Mischformen in das Modell aufgenommen wurden, dann nachträglich. Aber natürlich war Edwards auch immer groß darin, im Nachhinein zu behaupten, das immer schon genau so gemeint zu haben.

Aber da begebe ich mich zugegebenermaßen auf dünnes Eis, so rein erinnerungstechnisch.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #76 am: 6.08.2019 | 13:38 »
Und was ist mit denen, bei dem das glaubwürdige oder authentische Ausspielen des Charakters als Teil der Herausforderung angesehen wird.

Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage verstehe - das gehört doch zum authentischen Erleben.
Dabei von "Herausforderung" zu sprechen, ist aber recht wacklig; es gibt ja keine greifbare Methode, den Erfolg zu bestimmen. Also jenseits davon, die Herausforderung darin zu sehen, Spaß am Spiel zu haben, aber das ist dann völlig inhaltsleer.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #77 am: 6.08.2019 | 13:51 »
Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage verstehe - das gehört doch zum authentischen Erleben.
Dabei von "Herausforderung" zu sprechen, ist aber recht wacklig; es gibt ja keine greifbare Methode, den Erfolg zu bestimmen. Also jenseits davon, die Herausforderung darin zu sehen, Spaß am Spiel zu haben, aber das ist dann völlig inhaltsleer.
Schon Mal drüber nachgedacht mit ner "Normalo"Truppe eine Herausforderung zu bestehen, die eigentlich zu schwer für die Truppe sein sollte? Klar hätte man auch ne stärkere Truppe bauen können, aber das Erhöhen des Schwierigkeitslevel war vielleicht gerade der Reiz dieser Runde.
Sowas kann auch andere Einschränkungen beinhalten. Nachteilige Charaktereigenschaften, fehlende Ressourcen, besonders realistisches Ausspielen der Naturgesetze usw.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #78 am: 6.08.2019 | 13:51 »
Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage verstehe - das gehört doch zum authentischen Erleben.

Die Kernaussage ist, dass das Ausspielen der Besonderheiten des Charakters Auswirkungen auf die Herangehensweisen und Lösungsoptionen für Herausforderungen mit sich bringt.

Ich kann einen besonders ehrenhaften Charakter spielen, weil ich das per se interessant finde, oder ich kann so einen Charakter spielen, weil damit viele einfache Optionen zur Überwindung von Herausforderungen wegfallen, da der Charakter unehrenhaftes Vorgehen nicht akzeptieren wird. Persönlichkeitseigenschaften wirken hier quasi als kreative Einschränkungen auf die möglichen zum Erfolg führenden Handlungsoptionen.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #79 am: 6.08.2019 | 13:54 »
Also mehr oder weniger stark gamistisch geprägte Mischform.

Edit: Da wird dann die "reine" gamistische Perspektive im Hinblick auf größtmögliche Effizienz oder größtmöglichen Spielerfolg durch Sim-Überlegungen aufgeweicht - was landläufig der rollenspielerische Normalfall sein dürfte.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #80 am: 6.08.2019 | 13:54 »
Letztendlich ist es müßig, GNS zu diskutieren. Ja, sie hatten am Ende alles so umgedeutet, dass die ursprünglichen Irrtümer dann nicht mehr galten. Und ja, dadurch war GNS im Wesentlichen hinfällig. ;)
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #81 am: 6.08.2019 | 14:05 »
Also mehr oder weniger stark gamistisch geprägte Mischform.

Edit: Da wird dann die "reine" gamistische Perspektive im Hinblick auf größtmögliche Effizienz oder größtmöglichen Spielerfolg durch Sim-Überlegungen aufgeweicht - was landläufig der rollenspielerische Normalfall sein dürfte.

Sehe ich anders. Ich kann mir ganz gamistisch Einschränkungen auferlegen, die mir das Leben schwerer machen, um zu zeigen, dass ich dann immer noch in der Lage bin, erfolgreich zu sein.

Ansonsten was der Vermi sagt. Kreative Agenda als Konzept ist sinnvoll, also zu sagen, alle Spieler sollten das Gleiche wollen, sonst wirds inkohärent und potenziell dysfunktional, aber GNS ist Murks.
« Letzte Änderung: 6.08.2019 | 14:07 von Crimson King »
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #82 am: 6.08.2019 | 14:07 »
Sehe ich genauso wie Crimson King.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #83 am: 6.08.2019 | 14:16 »
Letztendlich ist es müßig, GNS zu diskutieren. Ja, sie hatten am Ende alles so umgedeutet, dass die ursprünglichen Irrtümer dann nicht mehr galten. Und ja, dadurch war GNS im Wesentlichen hinfällig. ;)
Na dann hab ich's ja richtig erinnert ;)
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #84 am: 6.08.2019 | 14:26 »
Ich kann mir ganz gamistisch Einschränkungen auferlegen, die mir das Leben schwerer machen, um zu zeigen, dass ich dann immer noch in der Lage bin, erfolgreich zu sein.

Klar kann ich das.
Wenn ich aber gezielt Einschränkungen wähle, die aus Charakter- oder Welteigenschaften erwachsen und die mich gerade aufgrund ihrer gefühlten Authentizität reizen, dann kratze ich zumindest daran, was die Spaßquelle an Weltsimulation ist. Davon hatten wir doch gesprochen*.

Dass der Gamist nicht um jeden Preis gewinnen will und erst recht nicht um den Preis, es sich im Vorfeld möglichst leicht zu machen, ist eine andere Baustelle - da möge man mir die hingerotzte Formulierung nachsehen und da brauchen wir uns nicht dran abarbeiten, das ist selbstverständlich so.


*Genau aus der Ecke kommt dann auch das diffuse "gute Rollenspiel", um das gerade DSA, aber auch andere klassische Systeme immer herumgeschlichen sind, ohne selbst den Finger drauf legen zu können.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #85 am: 6.08.2019 | 14:36 »
Klar kann ich das.
Wenn ich aber gezielt Einschränkungen wähle, die aus Charakter- oder Welteigenschaften erwachsen und die mich gerade aufgrund ihrer gefühlten Authentizität reizen, dann kratze ich zumindest daran, was die Spaßquelle an Weltsimulation ist. Davon hatten wir doch gesprochen*.
Nein. Das möglichst authentische Ausspielen eines Charakters kann ein Bonus oder Nebeneffekt sein.
Ich weiss wovon ich rede. Mich bekommste nur mit Pistole auf der Schläfe in den Charakter rein. ;)
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #86 am: 6.08.2019 | 14:40 »
Mich bekommste nur mit Pistole auf der Schläfe in den Charakter rein. ;)

Ist das die Aufforderung am Wochenende die Nerf-Guns von der Arbeit mitzubringen?
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #87 am: 6.08.2019 | 14:42 »
Ist das die Aufforderung am Wochenende die Nerf-Guns von der Arbeit mitzubringen?
Nein. Lass das. Ich meine das durchaus ernst, dass ich nicht in der Haut meines Charakters stecken will.
Darstellen gerne. Selber drin stecken nein danke.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #88 am: 6.08.2019 | 14:49 »
Klar kann ich das.
Wenn ich aber gezielt Einschränkungen wähle, die aus Charakter- oder Welteigenschaften erwachsen und die mich gerade aufgrund ihrer gefühlten Authentizität reizen, dann kratze ich zumindest daran, was die Spaßquelle an Weltsimulation ist. Davon hatten wir doch gesprochen*.

Du vielleicht. Ich sehe potenziell noch andere Gründe für solche Entscheidungen als die angeführte gefühlte Authentizität.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #89 am: 6.08.2019 | 14:57 »
Du vielleicht. Ich sehe potenziell noch andere Gründe für solche Entscheidungen als die angeführte gefühlte Authentizität.

Das habe ich doch auch geschrieben. Es gibt andere Gründe, aber im Simulationskontext ist das der Grund.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #90 am: 6.08.2019 | 15:01 »
Die meisten aber aus dem recht banalen Grund, dass man entweder im Ansatz schon keine genaue Vorstellung bzw. kein Wissen über das hatte, was man da abbilden wollte oder dass man es im zweiten Schritt nicht geschafft hat, das in elegante Spielmechanik zu gießen.
So verlor diese Art Crunch schnell die Bodenhaftung und und wurde Selbstzweck.

Also wenn ich mich ein bisschen in die Zeit zurückversetze, dann glaube ich, dass man einfach immer detailliertere Systeme wollte, besonders im Vergleich zur Old School. "Realistisch" galt ja als vielbeworbenes Qualitätsmerkmal. Davon ist heute nur noch selten die Rede. Man wusste a priori ja auch nicht wieviel zu viel des Guten ist. Und was hinzukommt: Als alles neu war, war die die Toleranz für Komplexität auch viel größer. Jetzt ist das alles ein alter Hut und man fragt sich wieviel man davon auch WIRKLICH braucht.

D&D hat sich von der alten Crunch-Orgie gelöst und ist sicher auch deswegen erfolgreich; das ist aber nicht deckungsgleich mit der (totalen) Abkehr von Simulation. Im Grunde geht D&D da einen ganz guten Weg.

Shadowrun dagegen hat ein massives Umsetzungsproblem. Die 5. Edition ist ein völlig ausgeufertes, unhandliches Crunch-Monster alter Schule analog zu D&D 3 oder 3.5 - das ist nicht nur aus der Zeit gefallen, sondern einfach grundsätzlich nicht zu gebrauchen.
Anarchy hat die Verschlankung dagegen zu weit getrieben und sich von der Simulation völlig verabschiedet. Bei der 6. Edition wird das wohl struktruell ähnlich sein, aber das müssen wir abwarten.

Ich persönlich gehe die Advantages nicht mit und auch was D&D 5E mit den Skills macht, ist mir nicht detailliert genug. Die Komplexität, die da herausgekürzt wird, ist mMn handhabbar und der Verlust an Spielwelt-Physik und Charakterisierung ist mir zu hoch.

Bei SR konnte ich mir die 5. Edition nicht antun - nicht gut präsentiert/editiert und kein signifikanter Vorteil gegenüber der mir bekannten 2E (ich bin ausgestiegen als es mit dem Metaplot so richtig losging). Ich finde aber auch weder SR 2E noch D&D 3E zu crunchig. Das Problem von D&D 3E ist für mich, dass für die Komplexität nicht genug an präziser Weltensimulation herumkommt. Man hat immer noch die alten HPs, keine aktive Verteidigung, AC ist immer noch AC, etc. Und die Skills sind von den Wahrscheinlichkeiten her nicht durchdacht. Feats sind nur Vorteile, keine Nachteile. Das funktioniert für mich nicht.

Dementsprechend ziele ich mit meinem eigenen Spiel auch auf Komplexität zwischen D&D 3E und 5E ab.  Und hoffentlich präziserer Simulation des Fantasygenres, die dieses Komplexitätsbudget auch rechtfertigt.


Da stellt sich für mich immer wieder die Frage, ob diese Simulation (von was auch immer) selber die Creative Agenda ist oder ob sie "nur" das Werkzeug oder das mechanische System ist, mit Hilfe dessen die eigentlichen creative Agendas erreicht werden sollen.
Also Simulation (von was auch immer) nicht als Ziel sondern nur als Weg zum eigentlichen Ziel.

Nur zur Erinnerung: Die drei Creative Agendas will eigentlich (fast) jeder. Es geht dabei aber um Priorisierung. Wenn mir egal ist, dass D&D Hitpoints das Fantasygenre nicht gerade sehr genau abbilden, hauptsache ich kann Monster metzeln und Schätze einsammeln, dann liegt meine Priorität eben nicht auf Simulation. Das heißt aber nicht, dass mir Simulation völlig egal ist - es soll halt nur nicht das beeinträchtigen (zB durch komplizierte Regeln) was mir persönlich Spaß macht.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #91 am: 6.08.2019 | 15:21 »
Nur zur Erinnerung: Die drei Creative Agendas will eigentlich (fast) jeder. Es geht dabei aber um Priorisierung. Wenn mir egal ist, dass D&D Hitpoints das Fantasygenre nicht gerade sehr genau abbilden, hauptsache ich kann Monster metzeln und Schätze einsammeln, dann liegt meine Priorität eben nicht auf Simulation. Das heißt aber nicht, dass mir Simulation völlig egal ist - es soll halt nur nicht das beeinträchtigen (zB durch komplizierte Regeln) was mir persönlich Spaß macht.
Wie Vermi aufgeschlüsselt hat bezeichnet das Big Model die von mir beschriebene Simulation als Exploration bzw. Teil der Exploration. Ohne irgendeine Art von Simulation (oder Exploration) geht Rollenspiel nicht, aber das hat eben mit den Creative Agendas nur sehr mittelbar zu tun.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #92 am: 6.08.2019 | 15:58 »
Also wenn ich mich ein bisschen in die Zeit zurückversetze, dann glaube ich, dass man einfach immer detailliertere Systeme wollte, besonders im Vergleich zur Old School. "Realistisch" galt ja als vielbeworbenes Qualitätsmerkmal. Davon ist heute nur noch selten die Rede. Man wusste a priori ja auch nicht wieviel zu viel des Guten ist.

Von hinten angefangen:
Doch, eine subjektive Komplexitätsgrenze hatte man früher auch. Was schon in Ruhe nicht zu überblicken war oder auch nur am Spieltisch nicht praxistauglich umgesetzt werden konnte, war zu viel.
Da muss man kein Phoenix Command bemühen, das waren je nach Gruppe schon so banale Sachen wie Matrix- oder erweiterte Cyberware-(Schadens-)Regeln in SR oder Beschwörung und Artefaktmagie in DSA.

Dass Regeln Selbstzweck sind oder damals waren, halte ich für ziemlich wacklig. Sicher kommt es vor, dass man sich begeistert auf eine neue Erweiterung stürzt, weil man das Spiel mag und sich damit auch in Sachen Spielmechanik intensiver befassen will - was letztlich nur mit neuem "Futter" geht.
Dennoch findet auf Dauer nur das im Spiel Verwendung, bei dem man irgendeinen darüber hinausgehenden Mehrwert wahrnimmt.

Abgesehen von der "Benutzbarkeitsgrenze" ist dein Gedanke vom Komplexitätsbudget da sehr nützlich - was bekommt man für den zusätzlichen Aufwand?
Und auch wenn heute keiner mehr das böse R-Wort nutzt, ist das doch eine der dicksten Säulen, auf denen komplexe Systeme stehen.

DSA z.B. will nach wie vor mit einem dichten Regelwerk ein Gefühl von Authentizität erzeugen und eine "echte", greifbare Welt erschaffen. Und das steckt nicht nur im Design, das ist auch sehr oft der Maßstab, den die Fans dann tatsächlich an Regeln anlegen. Da ist mMn das größte Problem, dass das eher unreflektiert passiert und so eine diffuse Vorstellung herumgeistert, dass es eine "beste" Variante gäbe und viel grundlegender eine einzige Antwort auf die Frage, was für wen warum realistisch ist/wirkt (und das ist dann auch noch gefühlt eine lineare Sache, wo mehr Regeln zu mehr Realismus führen und umgekehrt); dabei ist das Ganze immer ein Kompromiss und ganz grundsätzlich gibt es da mehrere zielführende Modelle.

Jedenfalls kann man festhalten: Dort will man das immer noch so.

Andere haben sich von dem Bestreben weitgehend bis völlig gelöst und sind genau deswegen nicht mehr komplex.

Und noch mal andere, wie z.B. SR5, haben sich von dem Bestreben gelöst, sind trotzdem immer noch komplex und können selbst gar nicht mehr sagen, warum eigentlich - das ist mit Abstand die schlechteste Variante.


Als alles neu war, war die die Toleranz für Komplexität auch viel größer. Jetzt ist das alles ein alter Hut und man fragt sich wieviel man davon auch WIRKLICH braucht.

In der breiten Masse hat sich das mMn nicht groß geändert.
Die immer dicker werdenden Brocken haben damals schon genug Spieler mit ihrem Umfang vergrault und umgekehrt gibt es heute immer noch (teils die gleichen) Systeme, die mit ihrem Komplexitätsbudget nicht gut umgehen, aber trotzdem sehr erfolgreich sind.

Auf der persönlichen Ebene bin ich heute gefühlt wesentlich anspruchsvoller, was "sinnvollen" oder "nützlichen" Crunch angeht, aber unterm Strich sind meine Systeme heute nicht mehr oder weniger komplex als früher. Es sind jedoch vor genau diesem Hintergrund andere Systeme als früher.
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Offline Alexander Kalinowski

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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #93 am: 7.08.2019 | 15:20 »
Von hinten angefangen:
Doch, eine subjektive Komplexitätsgrenze hatte man früher auch. Was schon in Ruhe nicht zu überblicken war oder auch nur am Spieltisch nicht praxistauglich umgesetzt werden konnte, war zu viel.
Da muss man kein Phoenix Command bemühen, das waren je nach Gruppe schon so banale Sachen wie Matrix- oder erweiterte Cyberware-(Schadens-)Regeln in SR oder Beschwörung und Artefaktmagie in DSA.

Kann ich aus meinem eigenen Gamerkreis heraus nicht bestätigen.

Dass Regeln Selbstzweck sind oder damals waren, halte ich für ziemlich wacklig. Sicher kommt es vor, dass man sich begeistert auf eine neue Erweiterung stürzt, weil man das Spiel mag und sich damit auch in Sachen Spielmechanik intensiver befassen will - was letztlich nur mit neuem "Futter" geht.
Dennoch findet auf Dauer nur das im Spiel Verwendung, bei dem man irgendeinen darüber hinausgehenden Mehrwert wahrnimmt.

Ja, das ist mein Problem mit neuerem Shadowrun oder, aktuell, Cyberpunk Red. Übrigens, so weit ich es erkennen kann, auch nur eine verschlankte Version von CP 2020. Man muss mal die Vollversion abwarten, ob das intelligent verschlankt ist oder nur um Casual Gamers anzusprechen.

In der breiten Masse hat sich das mMn nicht groß geändert.

Ich finde den Trend zum Verschlanken relativ offensichtlich. Und idR in der Implementation ebenso wenig durchdacht wie das Aufbohren in der New School-Ära.

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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #94 am: 7.08.2019 | 15:52 »
Ich finde den Trend zum Verschlanken relativ offensichtlich. Und idR in der Implementation ebenso wenig durchdacht wie das Aufbohren in der New School-Ära.

Da muss man mMn genauer hinschauen.

Eine Vielzahl komplett neu erscheinender Systeme sind schlank, ja.
Die laufen aber nicht in einem Maß den etablierten, umfangreichen Systemen den Rang ab, dass man da von einer strukturellen Veränderung sprechen könnte.

Als "Brocken" neu anzufangen, ist per se schon nicht einfach und dann muss man sich auch erst mal gegen jene behaupten, die in der Ecke schon seit Jahrzehnten sitzen.
Da ist tatsächlich ein Stück weit Flaute, aber mMn vor Allem deswegen, weil die Einstiegshürde dermaßen hoch ist.
Heute kann eben keiner mehr als Klitschenprodukt mit einem geklammerten Heftchen anfangen und dann über Jahrzehnte wachsen. Wer heute als "Brocken" erfolgreich sein will, muss fix und fertig voll konkurrenzfähig antreten.
Was nicht heißt, dass das gar nicht geht, siehe z.B. Splittermond.


Bei den Großen Alten sind für mich vor Allem die Lippenbekenntnisse zur (radikalen) Verschlankung offensichtlich. Umgesetzt wird das dann teilweise so gut wie gar nicht (DSA5) oder nur insofern, dass man nicht die schlimmsten Auswüchse an Supplement-Wucherung alter Editionen wiederholt (D&D5).
Daneben gibt es noch welche, die sich schlicht selbst in die Tasche lügen (das angeblich ach so schlanke FFG Star Wars) und ganz zuletzt jene, die ziemlich genau überlegen, was sie warum wie umsetzen.
Und bei Letzterem bin ich voll bei dir: Diese Reflexion findet viel zu wenig statt; da gibt es bei einigen wohl wirklich die Fehlwahrnehmung, dass Verschlankung ein Wert in sich ist, so wie es früher bei möglichst "vollständigen" Regeln war.
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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #95 am: 7.08.2019 | 17:36 »
Da muss man mMn genauer hinschauen.

Da hast du recht.

Eine Vielzahl komplett neu erscheinender Systeme sind schlank, ja.
Die laufen aber nicht in einem Maß den etablierten, umfangreichen Systemen den Rang ab, dass man da von einer strukturellen Veränderung sprechen könnte.

Aber zB als D&D-Designer muss man ja nur die aktuellen Trends adressieren (ohne Mist zu bauen) um den marktanteil zu halten. Von daher ist auch relevant, was bei den Kleinen passiert.

Bei den Großen Alten sind für mich vor Allem die Lippenbekenntnisse zur (radikalen) Verschlankung offensichtlich. Umgesetzt wird das dann teilweise so gut wie gar nicht (DSA5) oder nur insofern, dass man nicht die schlimmsten Auswüchse an Supplement-Wucherung alter Editionen wiederholt (D&D5).

Schauen wir uns doch mal im Einzelfall an was D&D5 so verändert hat, verglichen mit D&D3, bzgl der drei Punkte, die ich als relativ charakteristisch für die New School bezeichnet hatte:
  • Die Skill-Liste wurdn vereinfacht und es gibt keine exakte Kontrolle mehr darüber wie gut man ist in welchem Skill ist. Stattdessen: Proficiency-Bonus.
  • Feats sind nur noch ein Schatten ihrer selbst
  • Kampfmodifikatoren wurden weitesgehend durch Advantage/Disadvantage ersetzt
Aus meiner Sicht eine signifikante Rückabwicklung der New School durch den Marktführer.

Und bei Letzterem bin ich voll bei dir: Diese Reflexion findet viel zu wenig statt; da gibt es bei einigen wohl wirklich die Fehlwahrnehmung, dass Verschlankung ein Wert in sich ist, so wie es früher bei möglichst "vollständigen" Regeln war.

Es sind Trends, die man einfach glaubt bedienen zu müssen. Mein eigenes Rollenspiel hingegen hat eine relativ lange Fernkampfmodifikatoren-Liste - damit gehe ich bewusst das Risiko ein als "nicht mehr zeitgemäß" deklariert zu werden. (Halte ich aber dagegen. ;) )
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Offline felixs

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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #96 am: 7.08.2019 | 18:10 »
"Verschlankung" ist ein Euphemismus, keineswegs jedenfalls eine neutrale Beschreibung.
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Offline Rhylthar

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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #97 am: 7.08.2019 | 18:13 »
Zitat
Feats sind nur noch ein Schatten ihrer selbst
What?  :o
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Offline Alexander Kalinowski

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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #98 am: 7.08.2019 | 19:05 »
What?  :o

Nur noch eine optionale Regel. Statt zusätzlich zu ASIs, entweder-oder. Alleine von der Seitenzahl, die sich das Grundregelwerk dieser Mechanik widmet, ist das schon offensichtlich. Gibt's in den vorgefertigten Abenteuern überhaupt NPCs mit Feat?
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Offline Thaddeus

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Re: ca 15 Jahre Indie-Welle. Meine Retrospektive/Stand heute
« Antwort #99 am: 7.08.2019 | 19:17 »
Die ganze Entwicklung ist jetzt aber auch nicht so übertrieben neu. Insgesamt lässt sich wohl sagen, dass sich sehr vieles, was wir vielleicht früher als Indy bezeichnet hätten, sicher den Weg in den Mainstream gebahnt hat. In den neunzigern erschufen wir in Berlin den Odyssee-Con, auf welchem nur Runden zugelassen waren, welche nicht dem Mainstream angehörten. Die Abgrenzung erfolgte damals recht willkürlich danach zu sagen: Kein D&D, Kein SR, Kein DSA. WoD-Systeme waren da schon Grenzfälle.

Ende der 00er Jahre fand dann leider die bislang letzte Odyssee statt, was ich sehr bedaure. Anfang der 00er hatte die Odyssee gegenüber allen anderen Cons schon einen sehr speziellen Flair. Einfach aufregend, mal auf einer Convention völlig andere Systeme kennen zu lernen, von denen man sonst nur mal gehört hatte. (Man bedenke: es war auch die Anfangszeit des Internet).

Gegen Ende der 00er Jahre starb die Odyssee dann traurigerweise einen schleppenden Tod. Als eine der Hauptursachen haben wir damals ausgemacht, dass das Feature eine Con für spezielle Rollenspiele nicht mehr wirklich zog, da plötzlich der Mainstream soweit verbreitert worden war, dass eine klare Abgrenzung kaum noch möglich wurde. Das sture Kein D&D, kein SR, kein DSA zog dann einfach nicht mehr.

Interessant finde ich, dass sich nach der Newschool zwei (ich sage jetzt mal) Gegenbewegungen in unterschiedliche Richtungen ergeben haben: OSR und Rollenspiele der neuen Generation, insb. was so aus der Forge kam. Es sind aber auch interessante Hybriden entstanden wie beispielsweise SW, welches sich weder in die eine noch in die andere Gruppierung eindeutig einsortieren lässt.

Für mich ist ganz klar: ohne die Indie-Entwicklungen würde ich heute sicherlich kein Rollenspiel mehr spielen.


« Letzte Änderung: 7.08.2019 | 19:27 von Thaddeus »
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