Im "Matt Mercer"-Thread gabs einen interessanten Nebenstrang, den ich hier weiter ausdiskutieren mag. Er ist entstanden aus der Aussage von populären D&D-Streamern, dass es beim Rollenspiel ja primär um "Story" ginge und das gemeinsame Erzählen von "Story".
Das wollten einige ARSler und Simulationisten unter uns nicht so stehen lassen: "Story" ist eine Kategorie, die erst einmal die Narrativisten zu verantworten haben, die schleichend den Begriff als Buzzword in den Diskurs geschmuggelt hätten.
Woraufhin ich mit dem Hinweis reagierte, dass ja beim Rollenspiel immer erzählt wird. Gleichsam, dass das das Grundsätzliche ist, was wir beim Rollenspiel sogar tun müssen, damit wir überhaupt spielen. Ich gehe jetzt hier an dieser Stelle noch weiter und sage: Beim Rollenspiel entsteht unweigerlich auch immer eine Geschichte – und falls mal keine entsteht, so nehmen wir das wahrscheinlich durch die Bank als unrollenspielerisch war.
Reaktion:
Naja, das klingt nach einer Aussage, die dazu dient die eigene Präferenz zu erhöhen. Welche Narrativ-Regel hatte die DSA 1E-Grundbox?
Eine Pseudo-Realität wird auch immer simuliert und ein Spiel ist es auch immer. Es gibt allerdings Extremformen, die fast vollständig auf eine der drei Komponenten verzichten können (zB Abenteuer, die im Wesentlichen nur eine Abfolge von Kämpfen sind, verzichten auf genau das was Storygamer im Rollenspiel suchen).
Das ist alles wahr (bis auf den ersten Satz).
Rollenspiel besteht aus narrativen, simulierenden und spielerischen Elementen. Das übersehen wir gerne, wenn wir uns hier ob unserer unterschiedlichen Spielstile die Köpfe einschlagen. Ist eigentlich immer alles da. Auch wenn ich so weit gehen würde und sagen würde, wir können hier die Begriffe weit runterreduzieren auf ihre Grundbedeutungen.
Selbst im erzählerischsten, forgy-progy Indie-Game, in dem man seinen Charakternamen tanzt, herrschen grundsätzliche, simulierende Strukturen und zwar in einer ganz einfachen Form:
Kausalität. Wenn, dann. Das ist nämlich nichts anderes als Simulation. Abbildung von Kausalitäten. Evtl. auch von Wahrscheinlichkeiten, aber das ist gar nicht zwingend notwendig. Wenn wir simulieren, dann imitieren wir Kausalitäten. Das hängt auch stark zusammen mit Crimson Kings oft benutztem Begriff der
Genreemulation, denke ich. Man "simuliert" quasi die Kausalitäten und "Wenn, dann"s in bestimmten Genres. Das kann alles ganz anders ablaufen als in unseren eigenen, von den Naturgesetzen bestimmten Welten. Aber wo wir Kausalitätsabfolgen darstellen, da simulieren wir auch irgendwo, würde ich sagen.
Gleichfalls erzählen wir auch immer. Und da muss ich Vermi auch widersprechen (und zugleich auch irgendwo zustimmen):
Das kann man so darstellen, ist dann aber irreführend. Der Modus Operandi des Rollenspiels ist das Verhandeln eines fiktionalen Geschehens. Natürlich ist dieses fiktionale Geschehen in irgend einer Weise ein Narrativ, genauso, wie es in irgend einer Weise ein Narrativ ist, wenn ich dir erzähle, was ich gestern so gemacht habe. Das ist aber wohl kaum gemeint, wenn die Leute im Hinblick auf Rollenspiel von "Story" reden. Sondern was sie damit meinen, ist gezielt dramaturgische und erzählerische Techniken zu verwenden, um eine genre-typische oder jedenfalls irgendwie strukturell als solche erkennbare Handlung mit Spannungsbogen und Abschluss zu erzählen.
Das ist alles nicht von der Hand zu weisen. Das "Verhandeln eines fiktionalen Geschehens" ist ja "erzählen". Sobald der Dungeon eine Hintergrundgeschichte hat, es eine Quest gibt, die die SCs in diesen Dungeon treiben, wird da eine Geschichte erzählt. Das ist vielleicht kein aristotelischer Dreiakter. Aber das sind ja nicht die einzigen Geschichten, die man erzählen kann. (Ich würde sogar behaupten: Damit etwas eine Geschichte wird, braucht man lediglich ein "But then...". Ausgangssituation + Aber dann... + Endsituation. Zwischen den "Pluszeichen" findet beim Rollenspiel die Action statt, die Einflussnahme.)
Also, entgegen Alexanders Behauptung gibt es keine Extremform des Rollenspiels, die auf Story verzichten kann!
Ein
Abenteuer ist auch nichts anderes als eine bestimmte Form von Geschichte. Ein Abenteuer ist letztlich auch nur eine dramaturgische Kategorie: Leute ziehen aus, trotzen Gefahren, heben den Schatz und/oder besiegen den Bösewicht, kehren wieder Heim oder sterben beim Versuch.
Insofern: Ja. Natürlich hat selbst das Ur-D&D irgendwo narrative Regeln und Techniken. Das "Zero to Hero"-Prinzip, bei der aus dem kleinen Abenteurer der große Lvl 20-Krieger wird, ist auch eine narrative Schablone. Selbst wenn der Held vor seiner Zeit stirbt. Und ich glaube, dass das genau das ist, was Rollenspieler meinen, wenn sie von "Story" reden: Die Spielfiguren erleben was, greifen ins Geschehen ein. Bzw. der Fakt, dass da überhaupt ein Geschehen passiert, dass es beschrieben wird, dass es da Antagonisten gibt, eine Opposition.
Es ist vollkommen egal, ob das alles aus einer Zufallstabelle stammt oder von den Spielern selbst per Faktenschafferei herbeifabuliert wird:
Überall da kommt letztlich eine Narration raus. Und wir können nicht Rollenspiel spielen, ohne was zu beschreiben. Ohne was zu erzählen. Wir würden auch, wenn wir einen Rollenspielabend beschreiben, nicht ausschließlich in Zahlen und Würfelergebnissen reden. Wir füllen sie mit Bedeutung. Und das ist narrative Bedeutung.
Letztlich suchen "Storygamer" also nur eine bestimmte Art von Story und nicht "Story an sich", denn die gibt es ja in allen Rollenspielen.
Ich würde also sagen: Reden wir nicht von Narrativismus, den haben wir nämlich alle. Reden wir nicht von Simulationismus, haben wir nämlich auch alle. Und wenn die meisten Rollenspiele "Story" sagen, dann meinen sie eigentlich nur "meinem Charakter passiert was Cooles / was Spannendes / was Herausforderndes" oder "mein Charakter verändert die Spielwelt". Und da glaube ich auch nicht, dass da groß über Dramaturgien nachgedacht wird. Wir Menschen füllen Leerstellen automatisch narrativ in der Vorstellung, damit es für uns am Ende "rund" ist.
Zum Schluss noch ein Zitat, das mich irgendwo auch bestätigt:
"The Dungeon Master is pivotal, of course, but the players are just as important, for they are the primary actors and actresses in the fascinating drama which unfolds before them."
- Mike Carr, TSR Games & Rules Editor, im Vorwort des "Advanced Dungeons and Dragons Player's Handbook", 1978
Also, was ist eure Meinung: Was bedeutet denn "Story" im Rollenspielkontext für euch?