Haben sich die Wachowskis eigentlich selber mal dazu geäußert, was sie vorhatten, bzw. Was das alles "wirklich" bedeuten soll?
Ich glaube nicht. In den letzten Jahren sind, soweit ich weiß, Deutungen der Matrixtrilogie populär geworden, die die transsexuelle Erfahrung der W.s in den Mittelpunkt ihrer Deutungsversuche rücken. (Die Filme werden auf die Weise nachträglich zu einem verschlüsselten Bekenntnistext erklärt, was mich nicht so überzeugt.)
Die Frage, die Du stellst, setzt allerdings voraus, dass es in der Matrix-Trilogie überhaupt so etwas wie eine dominante, einsinnige Interpretation gebe (die dann den kompletten Text erklären und aufschlüsseln könnte), wovon ich persönlich nicht ausgehe. Ich würde eher sagen, dass man wie der Keymaker mit einem ganzen Arsenal an Schlüsseln umherlaufen muss, um sich die Filmreihe zu erschließen.
Wenn man nämlich das hier macht:
Shit, wenn man hier so mitliest, krieg ich glatt Lust die ganze Trilogie nochmal zu schauen.
fällt einem - meiner Meinung nach - sehr deutlich auf, wie wenig konkrete Informationen einem der Text eigentlich liefert. Die Vagheit und Schwammigkeit der "Erklärbär-Dialoge" sind auch nach mehrmaligen Schauen schlichtweg erstaunlich. Wir wissen am Ende als Zuschauer verblüffend wenig, auch über sehr basale Dinge werden wir völlig im Unklaren gelassen.
Deshalb sind die meisten Fan-Theorien in meinen Augen auch sehr mit Vorsicht zu genießen, da sie einzelne oft einzelne Informationszeilen und Dialogbrocken herausreißen und unzulässigerweise verallgemeinern.
Ich habe manchmal den Verdacht, dass die Wachowskis den Satz Umberto Ecos, ein Kunstwerk gewinne an Wert mit der Anzahl der möglichen Deutungsmöglichkeiten, die an es angelegt werden können, allzu wörtlich genommen haben.
Es ist nämlich allein durch aufmerksames Betrachten der Filme nicht möglich, *irgendeinen* Interpretationszugang auszuschließen oder ihm einen Vorrang über einen anderen einzuräumen. Es ist zum Beispiel sowohl möglich, den Film rein religiös als auch rein technisch zu verstehen.
(Anders gesagt: Ist der Auserwählte ein Bewusstseinsfortschritt oder nicht doch vielmehr ein Code, der den Nutzer mit beschränkten Administratorrechten und einem kleinen God-Cheat versorgt?)
Ganz klassisch in Anlehnung an den "vierfachen Schriftsinn" kann man beinahe jede Figur oder Szene allegorisch in ganz verschiedene Richtungen klappen und mal als Gott, als Prinzip, als Organ oder Element der menschlichen Psyche lesen. Und es hilft auch nicht, dass jedes versch**sene Straßenschild in der Matrix eine Andeutung auf irgendeinen Sanskrit-Text beinhaltet.
Diese bewusst inszenierte Vieldeutigkeit erreicht der Text aber auch unter anderem dadurch, dass die erklärenden Instanzen innerhalb der letzten beiden Teile sich maximal unklar ausdrücken. Es ist zum Beispiel verblüffend, dass eine Maschine wie der Architekt, die dem Anschein nach sich präzise und eindeutig artikulieren müsste, bei Lichte besehen sich noch schwammiger ausdrückt als eigentlich alle anderen Sprechrollen der Saga zusammen.
Anhand seiner beinahe 10 Minuten dauernden Erläuterungen (ergo, vis-à-vis) ist es beispielsweise *unmöglich* downzupinnen, was zur Hölle der Auserwählte nun eigentlich ist oder wo er herkommt. Das heißt, es werden sowohl Andeutungen fallen gelassen, dass er 'einfach vorkommt' oder aber 'bewusst designt' wurde.
Auch das Orakel drückt sich außerordentlich esoterisch in ihren Erklärungen aus: dass da eine Gleichung versuche, sich selbst auszugleichen, dass der Zustand des Auserwählten einem Gefühl entspräche oder dergleichen.
Wenn man versucht, Dialogelemente zur Klärung der Erzählwelt interpretatorisch einzusetzen, begeht man deshalb in meinen Augen einen Fehler: Weil das, was die W.'s mit ihren Wortwüsten zeigen wollten, genau auf das Gegenteil hinausläuft. Sprache
zeigt nicht, sie
verschleiert.
Demonstriert wird nicht ein aristotelisches, sondern ein postmodernes Konzept von Sprache ("Liebe ist nur ein Wort"). Das heißt, wir können uns, wenn bestimmte Wörter innerhalb der Matrix-Trilogie gebraucht werden, niemals sicher sein, ob damit auch konzeptionell dasselbe gemeint ist wie das, was wir gerade beim Gucken darunter verstehen.
Man könnte auch vermuten, dass die W.s dagegen eine andere Art von Erkenntnismöglichkeit postulieren würden - Erfahrung und Entscheidung etwa (wie das David Lynch explizit tut) -, aber auch das ist nicht so einfach. Wenn man sich etwa das Ende des dritten Teils einfach nur ansieht, wie Smith augenscheinlich "zerstört" wird, versteht man immer noch nicht, was das bedeuten soll.
Ist es nun so, dass Neo als Prinzip des Anfangs ("I came here to tell how it is going to begin") und Smith als Prinzip des Schlusses ("This is a dead end" / "I've seen this, this is the end") gemeinsam "lernen", dass sie beide nur Seiten derselben Medaille aus Tod und Wiedergeburt sind bzw. zwei Aspekte des Trimurti - Schöpfung und Vernichtung - darstellen (und der Kampf der beiden als Shivas Tandava verstanden sein soll, als Tanz, der durch Zerstörung des Kosmos und die Tötung des Todes selbst den Neubeginn der Welt ermöglicht)?
Oder bedeutet der schwingenähnliche Energieimpuls, der durch die Verkabelung Neos geschickt wird, dass die Maschinenintelligenz ganz simpel über den Code des Auserwählten ein Antivirenprogramm über Smith drüberlaufen lassen kann?
Und wenn Teil 3 den freien Willen so voran stellt, stellt sich mir wiederum die Frage, wozu man erst erblinden muss, um sehen zu können, oder was die ganze christliche Symbolik noch soll.
Hier haben sich nach meinem Eindruck die Wachowskis schlicht einen Scherz erlaubt. Schau Dir mal Minute 3:03 ff. von diesem Video an:
Sweet NovemberDieser zurecht vergessene Film ist die vorletzte Arbeit Keanu Reeves, bevor er für Reloaded wieder in die Rolle Neos schlüpfen musste. Die verbundenen Augen stellen also einen denkbar trivialen Kontext zu einem weiteren Film des Schauspielers her und betonen so, dass auch Neo nur eine "Rolle", also bloße Fiktion ist.
Innerhalb der Handlung, scheint mir, soll Neo begreifen, dass nicht er "the One" ist, sondern dass alle - auch die Maschinen - "one" sind, also Teil einer platonischen Weltseele.
Diese Erkenntnis wird - wie üblich in der Trilogie - durch den Vernichtungsakt Smiths (der wie ein Schmied erschafft, indem er draufhaut) allererst ermöglicht, indem er durch die Verbrennung der leiblichen Augen die geistigen Augen öffnet.
Dabei erkennt Neo, dass sogar die Maschinen Teil dieser Weltseele sind. Während im Krieg um Zion die Maschinen noch als die seelenlosen "Anderen" gezeichnet sind, die man ohne schlechtes Gewissen abknallen und zerballern kann, begreift Neo bereits, dass Menschen und KI Teil eines größeren Ganzen sind.
[Wie gesagt, ich finde Interpretationen innerhalb der Matrix-Reihe schwierig, aber das wäre zumindest meine Deutung.]
Wenn ich mich richtig erinnere, dann wurde zumindest der Merowinger als einer der 5(?) ehemaligen Auserwählten bei einigen Theorien angenommen.
Ich finde diese Theorie spannend und spaßig, aber auch sehr 'far fetched'.
Was den Merowinger angeht, so ging ich immer davon aus, dass er eine veraltete Version des Orakels darstellt, die menschliches Verhalten anhand einfacher Kausalitätsmuster zu berechnen versucht (und dabei nach einer gewissen Zeit zwangsläufig falsch liegt).
Bei Seraph dachte ich, er sei eine Vorläuferversion des "Agenten" aus der allerersten Matrix-Version, die - wie the One - noch fliegen durften. Aber bei ihm erfährt man ja nicht einmal die Motivation, warum er dem Orakel überhaupt hilft. Mein Verdacht war, dass auch er das perfekte Paradies wiederherstellen will und deshalb ein Ende der Matrix herbeiführen möchte, aber - keine Ahnung.