So, ich bin jetzt dazu gekommen, dass Wild Lands-Regelbuch einmal (zumindest schnell) durchzulesen und kann einen ersten Eindruck schildern:
1. Einleitung
Wild Lands ist ein klassisches Pen & Paper-Fantasy-Rollenspiel mit schwertschwingenden Kriegern, blitzeschleudernden Magiern, Orks , Drachen und allem was man so erwarten kann. Der „kleine Unterschied“ besteht darin, dass die Spieler keine Menschen, Zwerge oder Elfen spielen, sondern anthropomorphe Tiere (Mäuse, Eichhörnchen, Maulwürfe, Dachse usw.)
2. Das Design – Der „Wow“-Effekt
Wild Lands ist eines der schönsten Regelbücher, die ich je gesehen habe. Man merkt schnell, dass Auto Stephen Wood aus der Animations- und Grafikdesign-Branche stemmt. Er ist ein phantastischer Künstler und jede Doppelseite enthält wunderschöne (meist farbige) Bilder. Natürlich hilft auch der Knuffeligkeitsfaktor der dargestellten Rassen, wobei es Wood damit aber nicht übertreibt, also nicht in die Chibi-Manga-Ecke „abrutscht“.
Wo immer möglich wird der Text durch Bilder unterstützt. Die Liste der verschiedenen Waffen ist mit tollen Bilder ausgeschmückt, es gibt ein ganzseitiges Bild der verschiedenen Götter-Sternbilder und das Bestiarium ist sicherlich eines der schönsten, die ich je gesehen habe.
Aber auch das Aussehen des Buches als solches zeigt, dass der Autor ein Künstler im Herzen ist: Die Seiten haben einen leicht vergilbten Sepia-Ton, es gibt eine dekorative unauffällige „Borte“ an den Seiten und selbst die Tabellen haben ein etwas ungewöhnliches, aber ansehnliches Aussehen.
Ein Buch zum Immer-wieder-Ansehen.
Auch die Texte und Terminologien sind überlegt gewählt und spiegeln durchweg die Tatsache wieder, dass es sich um ein System handelt, in dem man Tiere spielt. Die SCs werden als critter bezeichnet, die Waffenliste unterscheidet zwischen „einpfotigen“ und „zweipfotigen“ Waffen und die Standard-Maßeinheit ist ein stalk (Halm). Toll.
3. Die Regeln – Im Westen wenig Neues
Ich bin ja ein großer Freund regelleichter Systeme und da rennt Wild Lands bei mit offene Türen ein. Es ist ein W6-Würfelpool-Syste, bei dem Erfolge gezählt werden. Mich hat es an D6 Legends, das Heresy-System von Victoriana und das Ulisses Universal-Abenteuersystem aus John Sinclair erinnert.
Jeder critter hat vier stats (Physical, Agility, Intellect und Social) mit Werten zwischen 1 und 6, die die Zahl der Würfel angeben, die bei einer Probe gewürfelt werden, wobei jedes Ergebnis von 5 oder 6 als Erfolg zählt. Außerdem besitzt man zwei (frei zu wählende) skills, die jeweils einen Bonuswürfel geben und mindestens eine critter-spezifische Sonderfertigkeit. Klassen gibt es nicht, Trefferpunkte und Erfahrungsstufen schon.
Im Kampf würfelt man eine bestimmte Zahl von Angriffswürfel, die allerdings nicht von den stats abhängen, sondern ausschließlich von der geführten Waffe (allerdings durch skills modifiziert). Die meisten Waffen haben verschiedene Angriffsmodi: Man kann zum Beispiel mehrere kurze Angriffe ausführen, bei denen man viele Angriffswürfel wirft, bei denen jeder Treffer aber nur geringen Schaden anrichtet, oder aber einen schweren Angriff mit wenigen Angriffswürfeln, bei denen jeder Treffer hohen Schaden verursacht. Das klingt nicht schlecht, wird aber stark dadurch relativiert, dass der Angegriffene Verteidigungswürfel hat, mit deren Erfolgen er Erfolge der Angriffe neutralisiert. Ein schwere Angriff ist also bei einem Gegner, der sich gut verteidigen kann, wenig erfolgversprechend. Ich habe allerdings noch keine Kämpfe gespielt und kann nur schwer beurteilen, wie sich das auswirkt. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass Teamwork hier wirklich wichtig ist (was von den Regeln aber z.B. dadurch unterstützt wird, dass jede Seite im Kampf frei entscheiden kann, in welcher Reihenfolge ihre Kämpfer agieren sollen).
Magie ist stark kampforientiert (es gibt praktisch nur Angriffs-, Verteidigungs- und Heilzauber) und funktioniert wie bei Waffen: Zauberbücher und –stäbe werden als zwei- bzw. einpfotige Waffen behandelt und geben dem Zaubernden besondere Angriffsvarianten, die er aber mit Manapunkten bezahlen muss.
Hier und auch an vielen anderen Stellen habe ich den Eindruck, dass die Regeln stark von Computerrollenspielen und MMOs beeinflusst werden. So kann man bei Wild Lands etwa auf höheren Stufen Gilden und Magierschulen beitreten und Waffen mit magischen Edelsteinen aufwerten.
4. Der Hintergrund – Been there, done that
Okay, die „Große Insel“ (der Kampagnenwelt von Wild Lands) wird von allerlei Getier bevölkert, aber ansonsten treffen wir dort alle klassischen Fantasy-Klischees: Es gibt ein „Reich des Bösen“, das von den Guten im Zaum gehalten werden muss, der Gott des Bösen will sich über das Pantheon hinwegsetzen, Magiergilden konkurrieren miteinander, Paladine schützen Unschuldige, Diebe und Assassinen treiben ihr Unwesen, nur halt mit Mäusen und Eichhörnchen.
5. Die Details – die häßliche Wahrheit
Ich mag Wild Lands wirklich gerne, aber an einigen Stellen merkt man, dass Wood ein Grafik- und kein Regeldesigner ist. Die Texte sind (wahrscheinlich bewusst) kurz gehalten, aber oft habe ich mir mehr Erörterungen und Beispiele gewünscht. Auch sind Informationen nicht immer dort zu finden wo man sie gerne hätte und die Reihenfolge der Kapitel ist nicht immer glücklich. Manche Dinge muss man sich aus dem Kontext erschließen (zum Beispiel was ein +2 Bonus bewirkt) und tragischweise gibt es keinen Index.
Beispiele? Gerne:
Im Bestiarium sind verschiedene Größenkategorien angegeben, sie aber wirklich nur angeben, wie groß die Wesen sind und sonst kein Auswirkung haben (glaube ich zumindest).
Die Währungseinheiten sind nuts, berries und grain. Es ergibt sich allerdings erst aus dem Hintergrund-Kapitel, dass damit keine echte Nüsse und Beeren gemeint sind, sondern dass es ein Münzsystem gibt und die entsprechenden Münzen nur so heißen.
In Ausrüstungs- und Waffenlisten haben sich einige Fehler eingeschlichen, teilweise durch schlechtes Copy & Paste. So kennt das Kurzschwert die Verwendungsart counter thrust, die dem Kämpfer eine zusätzliche slash attack gibt. Allerdings kann man mit einem Kurzschwert keine slash attack, sondern nur eine thrust attack ausführen.
Am Schlimmsten allerdings finde ich, dass es zwar Tabellen zu den erforderlichen Erfahrungspunkten für einen Stufenaufstieg gibt, aber keinerlei Hinweise, nach welchem Schlüssel Erfahrungspunkte vergeben werden sollen.
Alles in allem mag ich das System sehr und will es unbedingt mal ausprobieren (hoffentlich machen meine Spieler das mit den Mäusehelden mit). Das Regelsytem gefällt mir und dass es sehr sehr klassische Fantasy ist, sehe ich eher als Vorteil an. Aber dass es einige Fehler und Auslassungen im Regelbuch gibt, die man durch eine bessere redaktionelle Arbeit leicht hätte ausmerzen können, das stößt mir sauer auf. Aber auf die 2nd Edition warten mag ich dann aber auch nicht,