Ich persönlich empfinde Klassen-, Stufensysteme und Systeme mit einem überdimensionalen Regelkonstrukt als altbacken.
Gutes Beispiel - mir geht es genau so und ich bin damals direkt ein großes Stück von Klassen- und Stufensystemen weg, sobald ich wusste, dass es was anderes gibt
Jetzt ist es natürlich so, dass ausgerechnet der omnipräsente Erstling Klassen und Stufen hatte, was viele Konkurrenten gleich mit geprägt hat. Aber diese Konstruktion ist genau so ein Stück weit historischer Zufall (im Sinne von: man hätte es angesichts der Vorläufer und Entwicklungsumstände auch damals schon ohne Weiteres anders machen können) wie der eigene Erstkontakt:
Wenn ich mit einem System starte, das mir nicht so ganz zusagt, dann empfinde ich das leicht als "veraltet", wenn ich auf ein anderes System treffe, das mir besser gefällt - aber das ist dann eben mehr die Frage nach der persönlichen Historie und nicht nach der Erscheinungschronologie der verglichenen Systeme.
Für diese Perspektive spricht auch der Umstand, dass es sehr früh anders geartete Systeme gab und umgekehrt bis heute (erfolgreiche) Klassen- und Stufensysteme gibt.
Es gibt klare Gewinne an Verständlichkeit, weil die Präsentation dahingehend besser geworden ist.
Die sehe ich ehrlich gesagt nicht - jedenfalls nicht so pauschal und quer über die ganze Palette.
Es gibt immer noch Totalausfälle, mittelmäßige Versuche und ein paar Perlen.
Heute gibt es insgesamt mehr, aber ob sich da die Anteile verschoben haben...kann ich aus dem Bauch nicht sagen.
Mir fallen jedenfalls auf Anhieb drei Große Alte ein, die in ihrer aktuellen Edition eher Rückschritte gemacht haben; da sitzen aber auch längst nicht mehr die alten Teams dran und das ist mMn auch der wichtigste Faktor. Wie ein System präsentiert wird, steht und fällt mit einigen wenigen Leuten - und die konnten 198x genau so Pfeifen oder Leuchten sein wie 201x.
Da sehe ich auch keine große Verbesserung durch kürzere Kommunikationswege, mehr gute und schlechte Beispiele u.Ä.; jeder geht persönlichkeitsbedingt genau so weit, bis er sich für kompetent hält und wurstelt dann vor sich hin (gilt für andere Sektoren genau so - da werden immer wieder Fehler gemacht, die seit Jahrzehnten keiner mehr machen "muss", weil man das mittlerweile ohne Weiteres besser wissen könnte, wenn man wollte (und die nötige Medienkompetenz hätte)).
Was wollte er ausdrücken: "Bitte empfehlt keine Spiele, von denen wir wissen, dass sie schlecht gemacht sind."
Kurz danach ging es drüben explizit darum, dass man bei alten Spielen im nächsten Schritt mühsam auf dem Gebrauchtmarkt suchen muss, wenn es einem gefällt und man mehr Material will. Das war also viel eher auf "lebendig" gemünzt statt auf "schlecht gemacht". Und wie oben gerade geschrieben: gut und schlecht gab es früher auch, und bestimmt ist nicht alles von früher schlecht ("geworden").
Das ist das was ich meinte, war bei uns in den Achtzigern bis hinein in die Neunziger so.
Funktionierte, wir hatten Spaß aber wir kannten keine Alternativen.
Dann kam das GroFaFo und man spielte mit anderen Leuten zusammen, die einen ganz anderen Spielstil pflegten und solche Dinge wie cinematische Systeme tauchten auf.
Auch wieder so eine persönliche Sache.
Ich habe diese "moderne" Perspektive in meiner SL-Frühzeit recht schnell aus einigen wenigen als negativ empfundenen SL-Beispielen (oder auch mal aus konkreten Spielsituationen) entwickelt.
Das hat dann u.A. dazu geführt, dass ich Kaufabenteuer (gerade jene im damaligen Stil mit detaillierten Abläufen, Vorlesetexten etc. pp.) jahrelang als total überflüssig oder sogar kontraproduktiv empfunden habe.
Wenn ich heute z.B. in die Enemy Within-Kampagne der ersten Edition WHFRP schaue, wo mir knallhart gesagt wird, an welchen Stellen ich Ergebnisse hindrehen und was ich den Spielern wo aufzwingen muss, denke ich mir auch: Das würde heute keiner mehr so schreiben.
Das liegt aber nicht daran, dass das früher halt so war™ und damit damals zeitgemäß war und heute nicht mehr.
Ich hätte es damals schon anders gemacht, ich
habe es in ähnlichen Fällen damals anders gemacht und ich sage: Das war früher schon genau so scheiße wie es heute scheiße ist und stand nur drin, weil einzelne Autoren dafür - warum auch immer - kein Problembewusstsein hatten.
Dass die Ansichten einiger weniger dann so breit und lange gewirkt haben, darf und muss man den damaligen Spielleitern und der folgenden Autorengeneration aber genau so vorwerfen.
Hat Würfeldrehen und "schwarzes" Railroading damals mehr stattgefunden als heute? Ja.
War es (deswegen) damals zeitgemäß? Ganz bestimmt nicht, wenn man mich fragt.
Zeitgemäß ist vielleicht auch die Tatsache, dass man überhaupt AUSWAHL hat und nicht gezwungen ist, zwischen den 5 Platzhirschen, für die man überhaupt Spieler findet, zu entscheiden welches am Wenigsten nervt.
Das ist doch aber nur die Folge davon, dass es bei längerer Laufzeit des Hobbys natürlich mehr Auswahl* gibt, dass die Produktionshürden gesunken sind usw. usf.
Den Bedarf hätte man früher aber auch schon gehabt. Nach der hier angerissenen Definition von zeitgemäß wäre also eine größere Auswahl auch damals schon eben das gewesen...
*Was sich ja nicht in der reinen Zahl von verfügbaren Spielen erschöpft, sondern auch an der Verfügbarkeit von Spielern hängt. Da sind moderne Kommunikationsmittel genau so hilfreich wie nicht völlig pleite und immobil irgendwo in der Provinz zu sitzen.
Zeitgemäß ist auch die Erkenntnis, das Rollenspiel, was man gerade spielt eher als Werkzeug zu sehen, welches man auf seine und die Bedürfnisse der Gruppe anpassen darf/kann/sollte und nicht als Dogma und als Abgrenzungsvehikel ggü. anderen Gruppen.
Was soll daran zeitgemäß sein?
Das war in den Anfangstagen völlig offensichtlich und selbstverständlich, nur hat sich dann der "Hunger" nach mehr offiziellem Material verselbständigt und es gab eine Zeitlang eine gewisse Strömung von Hausregelwiderständlern u.Ä.
Hier sei nur auf das Kuriosum verwiesen, dass es mal ein offizielles DSA-Regeltelefon gab. Mir wäre nicht im Traum eingefallen, da anzurufen, aber der Bedarf war wohl da.
Dazu dann auch das:
Zeitgemäße Systeme langweilen damit auch nicht mit Regeln, die irgendeinem Dogma folgen sondern fokussieren eben auf den Spielspass.
Wer sich verrannt hat, hat sich verrannt, früher wie heute. Für mich wieder keine Frage von altbacken oder zeitgemäß, sondern von gut oder schlecht umgesetzt.
Zeitgemäß ist vielleicht auch einfach, das man nicht mehr mit Büchern um die Ecke kommt, die aussehen, als wären die Bilder von Kinderhand gemalt worden und beim ersten Aufschlagen in alle Einzelteile zerfallen.
Das hat sich tatsächlich ein Stück weit gewandelt.
Hardcover und Farbe sind heute weitgehend normal, wo es früher Boxen mit schwarz-weiß-Heftchen waren. Oder auch nur Heftchen ohne Box
(Randbemerkung: Ein hiesiger Forenuser hat einen französischen Traveller-Abklatsch, der in Format, Layout und sonstigem Produktionsgedöns als völlig normales Taschenbuch daherkommt...sehr kurios, ungewohnt und unpraktisch, aber so gehts auch)
Aber auch heute sieht man es immer wieder, dass selbst solche vermeintlichen "Edelprodukte" stinken wie die Pest oder in kürzester Zeit auseinanderfallen, was dann noch mal wesentlich ärgerlicher ist als bei früheren Produkten - wobei geklammerte Heftchen ja idiotensicher sind. Da ist eher das Mittelfeld gefährdet.
Und wenn man den höheren Preis bezahlt, steigen natürlich auch die Erwartungen an das Gesamtbild, das mit dem Preisunterschied erstmal nichts zu tun hat: Dann muss/soll gefühlt auch in Sachen Lektorat, Regeldesign, Spieltest usw. alles perfekt passen, obwohl das ja beim günstiger produzierten Regelwerk nicht anders wäre.
Content tax: Bedeutet nicht "zeitgemäß" für jeden etwas anderes?
So wirds sein, wie bei "modern" auch.
Wer seinen Geschmack gut bedient sieht, für den ist das entsprechende Produkt "zeitgemäß" oder gar eine ganze Branche "erwachsen" geworden, wenn deren Mainstream sich mal zufällig mit seinen lang gehegten Vorlieben deckt.
Für die andere Bedeutung von "zeitgemäß", also Maarzaans Achse 1, sehe ich wie ausufernd beschrieben keine hinreichende Grundlage.
Eine wirklich weitgehend flächendeckende technische Veränderung finde ich nur bei der physischen Umsetzung, nicht aber beim Spieldesign, was der Anlass für diesen Thread war.
Gerade die Jay Little- und Fria Ligan-Generation an Systemen (GeneSys inklusive Vorläufer, 2d20, Y0 Engine) sind ein Trend, aber keine Weiterentwicklung in dem Sinne, dass zukünftige Spieldesigner nicht drum herum kommen, sich damit zu befassen.
In diesem Zusammenhang, ist D&D4E nicht eigentlich das zeitgemäßeste Spiel, das je geschrieben wurde? - Sie haben ja die damals neuesten rollenspieltheoretischen Erkenntnisse genommen und das Gaspedal durchgetreten, um das gamistischste D&D ever zu bauen. Und es paßte zum Zeitgeist, denn es erschien ungefähr zu der Zeit, als Brettspiele wie Descent populär wurden.
Wie kann es aber zeitgemäß gewesen sein, wenn es ein ziemlicher Flop war? Die aktuellen Erfordernisse der damaligen Kundschaft hat es dann doch eher schlecht bedient.
MMn war dieser absolute Gamismus- und CaS-Fokus der letztlich letale Geburtsfehler von D&D4. Dabei war die Umsetzung dieses Ziels gar nicht mal schlecht, nur wollte und will die breite Kundschaft eher das etwas Unfokussierte, Verzettelte, den gewissen "für jeden ist was dabei"-Faktor - siehe DSA und D&D5.