Huhn, Rumpel, Hotze und einige andere haben schon viel Schlaues zum Thema geschrieben und der Thread ist ja auch schon auf S. 10 (er ist tot, Jim). Ich schreibe jetzt trotzdem auch noch mal meine Perspektive.
Ich bin ein in fast jeder Hinsicht privilegierter Mensch, und ich bin in einem Milieu aufgewachsen, indem man sich über emanzipatorische Bewegungen jeder Art, sagen wir mal, gutmütig lustig machte. Ich habe 2005 ein satirisches sexistisches Rollenspiel geschrieben (2009 veröffentlicht), und bin, dadurch aber auch generell, ab 2005 stärker mit Aktivist*innen in Kontakt gekommen, die sich beim Thema Diversity politisch engagieren und zugleich Indie-Rollenspiele schreiben. Eine der Keimzellen war damals der Knife Fight, ein experimentelles, zugangsbeschränktes Forum von Meg und Vincent Baker, wo unter anderem Leute wie Julia Bond Ellingboe, Graham Walmsley oder auch Avery Alder rumhingen und wo ich eine Weile sehr aktiv war.
Gleichzeitig hat sich mein Bekanntenkreis um Menschen aus der LGBT-Community und People of Color erweitert, die die gesellschaftlichen Verhältnisse stark reflektierten. Sie waren alle sehr lieb und geduldig mit mir, aber haben mich hier und da doch auf das ein oder andere Verhalten hingewiesen, das ggf. uncool war. In der Folge habe ich dann das ein oder andere im Netz und in der Zeitung zum Thema gelesen. Leider ist es schwer, wirklich unaufgeregte und ausgewogene Stimmen zu dem Thema zu finden.
Doch während ich las, fühlte ich mich oft, sehr oft, ertappt. Ich war der Typ, der mal gesagt hatte: „Ich kann doch kein Rassist sein, ich bin doch mit einer nicht-weißen Frau zusammen!“ Ich war der Typ, der seine Kommiliton*innen mit anderer Hautfarbe nach ihrer Familiengeschichte fragte (nur aus Interesse!) Ich war der Typ, der auf den ersten Tanelorn-Treffen das „Männerzimmer“ mit begründete und dort Pin-Ups aufhängte. Ich war der Typ, der einem Trans*Mann, den er kaum kannte, aufdringliche Fragen über seine Hormonbehandlung und OP stellte (nur aus Interesse!) Ich war der Typ, der sich aggressiv gegen feministische Kritik an Diesem Dummen Exalted-Cover (tm) verteidigte. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Der Defensivreflex ist verständlich. Man hat es nicht böse gemeint, sich nichts dabei gedacht, und deswegen möchte man sich nicht entschuldigen müssen, möchte sich nicht ändern müssen, möchte, dass die Kritiker*innen bitte Unrecht haben, fühlt sich angegriffen, fühlt sich herabgesetzt, zumal die Kritik oft ihrerseits in wütender und pauschaler Weise vorgebracht wird. Been there. Den Defensivreflex zu überwinden und zuzuhören, ist aber nicht die einzige Schwierigkeit. Zu lernen und das eigene Verhalten zu reflektieren, es hier und da zu ändern, ist nicht die einzige Schwierigkeit. Für mich ist die größte Schwierigkeit, dabei die richtige Balance zu finden. Bei respektvollem Verhalten gegenüber Angehörigen marginalisierter Gruppen gilt, genau wie bei ethischem Konsum oder ähnlichen Fragen: Immer alles richtig zu machen ist unmöglich. Niemand kann sich darauf einigen, was überhaupt im Einzelfall richtig ist, teilweise stehen die Handlungsaufforderungen in direktem Widerspruch zueinander. Wer versucht, es allen recht zu machen, wird darüber unglücklich werden. Ich selbst habe gemerkt, dass ich dabei die Leichtigkeit und Freude verloren habe, gerade in größeren Gruppen war ich stiller, weniger präsent, hatte keine positive Ausstrahlung. Ich habe mich daher bewusst entschieden, es wieder etwas lockerer anzugehen.
Letztendlich kann zwar jeder von uns einen Beitrag dazu leisten, unsere Gesellschaft besser zu machen, und da wir es können, sind wir als moralische Wesen auch dazu aufgefordert, es zu tun. Man sollte darüber aber nicht aus den Augen verlieren, dass gerade bei diesen indirekten Sachen wie z.B. dem (Nicht-)Reproduzieren von Stereotypen der gesamtgesellschaftliche Einfluss verschwindend gering ist. In diesem Kontext darf man das durchaus gegen das eigene, legitime Interesse abwägen, einigermaßen entspannt durch den Tag zu kommen und auch gelegentlich mal zu lachen (oder zu flirten). Das hat jetzt natürlich alles mit dem Thread-Thema nicht mehr wahnsinnig viel zu tun, irgendwie aber doch, wenn am Ende dieses besagten hypothetischen Tages, durch den man kommen möchte, eben die Rollenspielsitzung wartet.
Rollenspiel ist für mich Eskapismus, es ist Unterhaltung, es ist, wenn es gut läuft, ein besonderes, intimes Erlebnis mit Freunden, mit anderen Worten: Es ist privat. Das Private sei politisch, heißt es in Roll Inclusive, und das ist ja auch generell ein Leitsatz der emanzipatorischen Bewegungen. Das mag man so sehen, daraus allerdings zu schlussfolgern, dass man sein jegliches privates Handeln unablässig und kompromisslos an seinen politischen Überzeugungen auszurichten hätte, ist ebenso brutal wie absurd. Ich nehme mir heraus, in gewissen Bereichen meines Lebens einfach mal zu sagen, ey sorry, heute nicht.
Unbenommen bleibt, dass ich gute Romane, Filme und Serien, die beim Thema Diversität punkten und alte Stereotype gekonnt aufbrechen, echt abfeiere, und dass ich mir das auch für neue Rollenspiel-Produkte im Idealfall wünsche.