HârnWorld (Third Edition)Verlag: Columbia Games
Seiten: 58
Verlags-Produktseite:
http://columbiagames.com/cgi-bin/query/harn/cfg/single.cfg?product_id=5001Form: PDF oder Sammlung loser, gelochter Blätter
HârnWorld ist das
Master Module der Welt von Hârn. Hârn ist eine Insel im Nordwesten des Kontinents Lythia. Auf 58 Seiten wird hier eine Einführung geboten, die Einführungen in die hârnische Geschichte, seine Völker und Königreiche, Politik, Wirtschaft und Geographie bieten. Den Abschluss bildet ein kleines Tabellenwerk u. a. zur Generierung von Spielfiguren, zur Bewegung und zum Wetter. Beigefügt ist neben mehreren ins Modul integrierten Karten (z. B. ökonomisch, politisch) eine großformatige, mit Hexagons versehene Karte, die die Insel in ihrer vollen Pracht zeigt. Das Modul beinhaltet sowohl Schwarzweiß- als auch Farb-Illustrationen. Das Layout ist sehr sauber und angenehm gestaltet, die schönen Serifen vermitteln ein angenehmes Schriftbild. Einzelne Informationen sind immer wieder in Seitenbalken untergebracht, um den Lesefluss des regulären Textes nicht zu stören.
Die große Hârn-Karte, die als PDF auch kostenfrei erhältlich ist, möchte ich nur sehr kurz behandeln, da sich jeder leicht selber einen Eindruck davon machen kann. Sie verbindet Informationen über die Topographie mit der Bevölkerungsdichte und ist dadurch sehr informativ. Man erhält schnell einen Überblick und auch die wichtige Information, das große Teile der Insel über keine hohe Bevölkerungsdichte verfügen, die Reiche und Länder nehmen nur einen Bruchteil des Landes ein und weite Flächen sind Wildnis bzw. von den Barbaren, den indigenen Völkern, besiedelt. Es gibt inzwischen eine hohe Zahl immens detaillierter abbilden.
Das Modul beginnt mit einer Einführung, in der die Modularisierung der Settingbeschreibung erläutert wird. Speziell für Neulinge wird hier erklärt, wie man sich in diesem Wust an Material zurecht findet. Dies geschieht auch sehr gut und passt insgesamt zu dem Master Module - denn auf den folgenden Seiten wird immer wieder auch auf die weiteren, hierauf aufbauenden Module verwiesen, die ein vorgestelltes Thema fortführen. So wird der/die Anfänger*in an die Hand genommen und wenn sie sich für ein Thema interessiert, erfährt sie auch sogleich, wo dies vertieft werden kann.
Doch endlich dringt der/die interessierte Leser*in zum eigentlichen Inhalt des Moduls vor. Den Anfang macht die Beschreibung der Kulturen, die durch eine politische Karte gestützt wird, die die regionale Verbreitung der Kulturen anzeigt. Neben menschlichen Reichen gibt es auch ein elfisches und ein zwergisches Reich, dazu werden die Völker der Gargun (Orcs) und einiger einzigartiger Kulturen (der Ivashu und der Ilme) vorgestellt. Die Beschreibungen verbinden nüchterne Informationen - wie etwa illustrierte Wappen, Populationen, Herrschaftssitz - mit Informationen von Eindrücken der Siedlungen über die besonderen Lebensumstände bis hin zu kleinen Teasern, in welcher Weise man dieser Kultur in einem abenteuerlichen Sinne begegnen könne. Immer wieder werden so kleine Informationshäppchen gegeben, die nicht nur über Kultur, Volk oder Königreich informieren, sondern auch Ideen geben, wie man sie im Spiel einsetzen kann. Die Texte sind dazu geeignet, einen Überblick und eine Vorstellung der Kulturen zu gewinnen.
Immer wieder wird man auch mit nicht erläuterten Begriffen konfrontiert. Soweit es geographische Angaben sind, hilft es, während der Lektüre auch einen Blick auf die enthaltene (auch kostenlos erhältliche) Karte zu haben. Im Idealfall verfügt man auch über den Hârndex, der lexikalisch etliche Begriffe der Spielwelt kurz erläutert und in älteren Ausgaben gemeinsam mit dem HârnWorld-Modul verkauft wurde (so auch in der alten deutschen Übersetzung aus den 90ern). Vermutlich werde ich den Hârndex auch noch vorstellen, jedoch nicht als nächstes.
Die beschriebenen Kulturen sind teils sehr verschieden, passen aber immer in das mittelalterliche Setting. Mit Chybisa und Kaldor hat man es etwa mit feudalen Königreichen zu tun. Orbaal ist ein junges Königreich von Eroberern, die die einheimische Bevölkerung unterjocht und ohne feudale Struktur. Mit der thardischen Republik gibt es eine Plutokratie, mit Rethem gibt es ein Königreich, in dem dunkle, anderen Ländern böse anmutende Götter verehrt werden. Die Elfen oder Sindarin leben zurückgezogen in Evael, die Zwerge in ihrem Reich Azadmere. Melderyn ist ein Hârn vorgelagertes Inselkönigreich, in dem Weise und Magier den Ton angeben.
Die Differenzen zwischen den Ländern und Kulturen bieten natürlich Chancen und Konflikte fürs Spiel. Auch wenn die Beschreibungen hier der Knappheit des Textes oberflächlich scheinen, bieten sie doch einen guten Ausblick auf den Detailreichtum des Settings. Der Platz wird nicht verschwendet - man findet keine Plattitüden, keine Stimmungstexte, kein Geschwafel, sondern komprimierte, nutzbare Informationen. Der wenige zur Verfügung genutzte Platz wird gut genutzt.
Es finden sich allgemeine Erläuterungen zu Feudalismus, zu Städten und größeren Ortschaften und deren Hierarchien und Strukturen. Das ist insofern hilfreich, als dass die Begriffe sich stark an die englischen Begrifflichkeiten anlehnen und diese vielleicht nicht jedem so bekannt sind. Schön und herauszuheben fand ich eine Erläuterung zu Gilden und Zünften, die eine wichtige Rolle in den hârnischen Städten einnehmen und, sehr schöner Fluff, auch mit Illustrationen Abzeichen versehen worden sind. Es wurden auch Informationen zu Ökonomie und, Einkommen gegeben - inkl. einer Preisliste und einer ökonomischen Karte, die die Verteilung wichtiger Ressourcen auf Hârn anzeigt. Da mag man sich vielleicht fragen: Brauche ich das? Das ist aber das schöne - wer es nicht braucht, der gebraucht es nicht. Ich finde es schön zu wissen, dass solche Gedanken hier eingeflossen sind und selbst wenn ich nicht jedes Detail gezielt nutzen möchte, glaube ich doch, dass diese im Untergrund liegenden Details dazu beitragen, das Setting insgesamt glaubwürdig und plausibel erscheinen zu lassen.
Königreiche, Völker, Städte, Ökonomie, schön und gut, aber das ist nicht alles. Das Überblicksmodul widmet sich auch Kosmos und Religion. Die Welt von Hârn ist teil eines Multiversums, Kelestia genannt, in dem der Planet Kethira einen von unzähligen Knotenpunkten darstellt, die verschiedene Welten im Multiversum enger miteinander verbinden. Dies wird auch in Illustration dargestellt und erinnert an ähnliche reale Konzepte, wie man sie etwa aus der Gnosis oder auch nordischer Mythologie kennen mag. Als ich das erste Mal mit diesen Dingen konfrontiert war und mir bewusst wurde, dass interdimensionale Reisen durchaus Spielinhalt in Hârn sein können, wurde das erste Mal deutlich mein Vorurteil von Hârn als einer langweiligen, trockenen, ultra-low, hyper-realistischen Fantasy-Welt aufgebrochen. Aber auch hier: Wie sehr man dies zum Spielinhalt macht und ob man lieber Bauern spielen möchte, die Schafe hüten, ist dem/der Spieler*in überlassen.
Zentral für die hârnische Religion ist das sogenannte Konkordat, das Befugnisse göttlicher Mächte klärt. In Hârn sind 10 Götter bzw. die Anbetung dieser verbreitet - hier finden wir etwa Ilvir, den Schöpfer der Ivashu, Larani, Göttin der Ritterlichkeit und des Kampfes oder Siem, Gott der Träume und Geheimnisse. Diese Gottheiten werden aber nicht einfach als Personen oder Glaube vorgestellt, sondern es wird auch wert auf die Kirchen, Orden, also insgesamt die soziale Einbettung der Religion in die Gesellschaft gelegt. Auf diese Weise wird der Mystik, dem Geheimnisvollen des Göttlichen ebenso Ausdruck verliehen wie der konkreten Relevanz für das tägliche Leben und damit auch die Einbettung in spielrelevante Dimensionen. Ich fand das sehr schön. Als Religionswissenschaftler bin ich bei der Behandlung von Religion im Rollenspiel oft besonders skeptisch, oft werden sie auf mystische Elemente oder Glaube reduziert und die gesellschaftliche wie historische Einbindung kommt zu kurz. Das kann ich von Hârn keinesfalls sagen. Und obwohl es so plausibel, so glaubwürdig gemacht ist, bekomme ich direkt lesen, wie ich es im Spiel einbringen kann. Ob der Abt als Auftraggeber auftritt, ein bewaffneter Konflikt zwischen zwei Orden nach Unterstützung sucht oder man sich in der Verfolgung einer indigenen Bevölkerungsgruppe durch einen fanatischen Orden auf die eine oder andere Seite schlägt, das sind alles Möglichkeiten, die hier plausibel und überzeugend geschaffen werden. Es handelt sich keineswegs um eine theoretische Abhandlung, die den Wissenschaftler zufriedenstellend nicken lässt ob der Akkurazitit, sondern um eine glaubwürdige Vorstellung, die den/die Spieler*in anspricht.
Natürlich kommt auch die Geschichte Hârns zur Sprache, die den wesentlichen textuellen Abschluss darstellt. Der Natur des Moduls geschuldet liefert sie einen Überblick über die Geschichte Hârns von der ersten Besiedlung durch die Earthmasters, die im wesentlichen als Settinggeheimnis zu funktionieren scheinen. Verschiedene Einwanderungswellen durch menschliche Völker, Elfen und Zwerge haben das Bild Hârns geprägt bis zur nächsten großen menschlichen Einwanderungswelle und der Bildung erster beständiger menschlicher Königreiche, die zur Verdrängung von Elfen und Zwergen führten sowie zur Schaffung der modernen hârnischen Orcs durch Lothrim den “Foulspawner”. (Orcs werden auch Foulspawn genannt.) Die Geschichte schafft einen Hintergrund für die gegenwärtlichen Reiche und Konflikte, sie schafft aber auch Gründe für verlassene Orte, Ruinen und Abenteuerschauplätze. Das Entstehen und Vergehen mancher Reiche wird durch Kartenmaterial veranschaulicht und der/die Leser*in erfährt von den Grausamkeiten und Gefahren der hârnischen Geschichte. Wie in der Einleitung bereits erwähnt, endet die Geschichtsschreibung im Jahr 720 TR. Es gibt keinen Metaplot, keine lebende Geschichte, keine zeitliche Entwicklung des Settings über den Willen der Spieler*innen hinaus. Dementsprechend widmet sich das Geschichtskapitel auch den “aktuellen” Ereignissen der letzten Jahre - und gibt so wieder einige Ideen zur Fortführung im Spiel.
Den Abschluss bilden eine Tabelle zur zufälligen Generierung von Spezies, Geschlecht, Geburtsdatum, Geschlecht und Geburtsort, welche system-agnostisch sind. Das macht Sinn, denn HârnMaster, das Regelwerk zum Setting, ist nur ein Angebot und dies ist ernst gemeint. Eine Erläuterung der Überblickskarte, eine Erläuterung für Wachen, Regeln für Bewegung in Hârn sowie zur Wettergenerierung sind ebenso enthalten. Kurz zu den Wachen, das fand ich spannend. Eigentlich eine kleine Nebensache, aber hier wird, wohl ausgehend von britisch-königlicher Nautik (man korrigiere mich, wenn ich da falsch liege), ein kleines System vorgestellt, wie man alle möglichen Situationen über sog. “Wachen” abhandeln kann. Das kann die Nachtwache sein, aber auch das Vorankommen in der Wildnis oder eben Ablösungen auf einem tatsächlichen Schiff. In gewisser Weise erinnert es an abstrakte Zeiteinheiten mancher Rollenspiele (wie der Szene, der Spielrunde usw.), ist hier aber auch ein Begriff des Settings selbst und ich finde es spannend, mit natürlichen Einheiten (einer Anzahl von Stunden), das Spiel so zu strukturieren. Ich benutze das Modell seitdem auch in anderen Settings und Spielen.
Schließlich gibt es eine “schöne” Karte, weniger detailliert und von einer Machart, dass man sie gerne seinen Spieler*innen geben möchte als Orientierung dessen, wie gut ein geographisch gebildeter Bewohner Hârns diese Welt vielleicht kennen möge. Diese Karte ist auch in dem Modul HârnPlayer enthalten, das sich stärker an Spieler*innen richtet, während HârnWorld vor allem den/die Spielleiter*in adressiert.
FazitMein Gesamteindruck von HârnWorld ist hervorragend. Es nimmt seinen Job ernst, einem Anfänger eine gute Einführung in dieses Setting zu bieten, indem konsequent vom Allgemeinen zum Speziellen hin beschrieben wird, aber auch auf weiterführende Module verwiesen wird. Die Texte sind sachlich gehalten, ich empfinde das als sehr angenehm und sehr leicht lesbar. Man bekommt eine Information nach der anderen. 58 Seiten mögen verglichen mit dem Umfang der Quellenbücher anderer Spiele wenig wirken, doch ist der Informationsgehalt hier höher als in vielen solcher Quellenbücher. Dabei hat das Modul einen klaren Fokus: Einen Überblick zu bieten. Mit den Verweisen auf weitere, vertiefende Module ist klar, welche Richtung es einzuschlagen gilt.
Vielleicht vermisst man das Besondere, das Einzigartige, das Neue. Radikal einzigartig ist Hârn aber in der Form, in der es sich präsentiert. Ich kenne in dieser Gesamtheit nichts vergleichbares. Was mich wirklich beeindruckt ist die Qualität des ganzen, aber auch der Ansatz. Ich möchte hier N. Robin Crossby aus der Einführung zitieren: “
With roleplaying, there is a vital element of mood, and this elusive principle lies at the heart of HârnWorld. While it is true that magic-strong, hack-and-slash environs can keep players busy for a time, only an environment that is fundamentally rational can give the feeling that one is involved in an epic. [...] HârnWorld is, I believe, an epic product, with all the fantasy you want, and all the realism you need.” (HârnWorld, Introduction)
Ich möchte hier gar nicht debattieren, ob wirklich nur diese Form der Rollenspiel-Umgebung (ein sehr schöner Begriff, wie ich finde) dieses Gefühl der Integration geben kann. Was ich aber unmittelbar nachvollziehen kann ist die Zielsetzung, das Anliegen von HârnWorld - und ich glaube, dieses Master Module setzt seinen eigenen Anspruch in exzellenter Weise um.
Daher gibt es von mir alle Sterne für HârnWorld.