Andererseits, wenn es den OSR-Krempel nicht gäbe, wer hätte das Bewußtsein, daß da was fehlt? Vielleicht gibt es ja noch in einem vergessenen Winkel ein Spielmodell, eine Herangehensweise, eine Grundeinstellung, die es wert wäre? Ich wäre halt nur nicht sicher, wo.
Das ist natürlich auch von den eigenen Vorlieben abhängig. Der YY z.B. scheint ja einige Sachen zu vermissen, während ich eher noch das eine oder andere auf den Geröllhaufen der Geschichte befördern würde.
Zwei bis drei miteinander verbandelte Sachen hätte ich da tatsächlich, die sich dem abstrakten Konzept nach heute auch in der OSR finden, aber damals wie heute aufgrund ihres spezifischen Erscheinungsbildes schnell ziemlich obskur werden.
1. Das Bewusstsein dafür, dass es völlig in Ordnung ist,
gerade den Spielkern nur teilweise und eher grob zu verregeln.
Das geht ein großes Stück weit auf die banale Erkenntnis zurück, dass (ohne große Definitionen) eine gute Gruppe mit einem schlechten System eine gute Sitzung "produzieren" kann und auch das beste System einer schlechten Gruppe nicht das Spielerlebnis retten kann.
Dementsprechend sagt man sich: Wenn der Radfahrer ungeschickt genug ist, fällt der auch mit 8 Stützrädern hin - dann steht das Rad halt alleine da, aber damit ist ja keinem gedient. Und wenn einer halbwegs fahren kann, ärgert er sich, weil er mit den 8 Stützrädern keine engen Kurven hinbekommt.
Also genau der Gegenentwurf zu manchen komplett durchmechanisierten Indies. Manchmal in der Form, dass die Spielmechanik einen groben, aber harten Rahmen setzt, den man frei mit Leben füllen soll/muss (wie etwa die "personality traits" von
Pendragon) oder genau umgekehrt so, dass man bis sehr weit runter frei spielt und erst im allerletzten Moment die Spielmechanik greift (wie etwa die nur punktuell einsetzenden Initiative-Würfe von
Millennium's End).
Das betrifft auch zu großen Teilen das altmodische Verständnis der SL-Rolle: Keine "goldene Regel" u.Ä., aber auch kein Mitspieler wie alle anderen. Ohne Grundvertrauen und ohne ein Mindestmaß an SL-Fähigkeiten gehts halt nicht, da braucht man auch nicht mit Mechanik rumeiern, die das irgendwie erzeugen soll. Wenn es fehlt, hilft alles nichts und wenn es da ist, ist alle Mechanik überflüssig.
2a. Spielerwissen und -fähigkeiten auf das jeweilige Setting und den Spielfokus zugeschnitten.
Im klassischen Oldschool-Dungeoncrawl und damit in vielen Ecken der OSR gibts das natürlich. Da macht es einen guten Spieler (auch) aus, dass er Karten zeichnen und Rätsel lösen kann und viele Monster(fähigkeiten) aus dem FF kennt.
Aber abseits davon ist das schon ziemlich verlorene Kunst und ich habe das Gefühl, man will das den Spielern im Mainstream nicht abverlangen (obwohl man dann paradoxerweise in manchen Mainstream-Systemen davon ausgeht, dass die Spieler zig Feats und ähnliches spielmechanisches Füllmaterial lesen und bewerten).
Ein
Millennium's End stellt sich hin und sagt: Arbeite dich in die Materie ein - lies das Regelwerk, lies Fachbücher, guck Filme, frag Leute mit Plan von der Sache. Wenn du nicht im Thema drin steckst, sind deine Beschreibungen platt und leblos und deine Entscheidungen schlecht.
Da ist "Wir haben aber alle keine Ahnung und trotzdem unseren Spaß" gar keine Option.
2b. Spielerfähigkeiten im Sinne von: Man erspielt (sich) Charaktere.
Da geht es z.B. darum, dass natürlich alle Krieger auf Stufe 1 die gleichen Fähigkeiten haben und sich vielleicht hier und da in den zufallsbestimmten Attributen unterscheiden.
Die sind ja auch noch nicht gespielt, warum sollen die sich unterscheiden.
Dergestalt "fähige" Spieler gehen her und schreiben sich mit zwei Mann den gleichen Archetyp aus dem Regelwerk und am Ende der Sitzung sind das für den ganzen Tisch zwei völlig verschiedene Leute, obwohl die Sheets identisch ausgefüllt sind. Oder das selbe passiert mit der ganzen Gruppe und sechs quasi identischen Gewehrschützen.
Da gibts kein "Ich brauch aber eine andere ikonische Waffe/ein anderes Starttalent(-set) als der, sonst unterscheiden wir uns ja gar nicht". Weil das dort gar keine relevante Kategorie für SC-Unterschiede ist.
Vermissen ist vielleicht zu viel gesagt. Das gibts ja alles noch (und ich habe an mehreren Stellen beim Tippen konkrete Situationen nach der Jahrtausendwende oder konkrete Spieler im Kopf gehabt), aber es ist eben in der Breite nicht anzutreffen. In der ausgeprägten Form war es das wohl früher auch nicht, weil Anstrengung und Aufwand (also im Hinblick auf 2a) ein unheimlich starker Filter sind und ein Spiel sofort in die Nische verbannen.
Und deswegen gibt es z.B. heute keinen bekannten und erfolgreichen Vertreter von Spielen der Art eines
Millennium's End oder
Twilight 2013, wohl aber jede Menge Cinematik- und Narrativ-Gedöns mit ähnlichen Settings und Genres.
Letztlich war das früher nicht anders; auch damals war das schon nur was für eine recht kleine Zielgruppe. Und andersrum ist
Twilight 2013 ja quasi gestern erschienen (und sofort in der Versenkung verschwunden), wenn wir von "
richtig früher" reden.
Aber das ist im Gesamtbild trotzdem eine Herangehensweise, die mir gefühlt heute noch mehr zu kurz kommt wie früher - und T2013 war genau der zum Scheitern verurteilte Versuch einer Wiederbelebung, wie ich ihn mit mehr Zeit und verzichtbarem Geld vielleicht auch hätte unternehmen wollen.