Autor Thema: Psychologische Zustände  (Gelesen 7621 mal)

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Offline ArneBab

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Psychologische Zustände
« am: 17.06.2020 | 21:49 »
Aus https://www.tanelorn.net/index.php/topic,115432.msg134885962.html#msg134885962 hierher geholt, weil ich dazu Ansätze suche.

Kennt ihr gute Methoden zur Modellierung von psychologischen Zuständen?
Methoden, die in Regeln genutzt plausible Ergebnisse bringen und klare Unterschiede zwischen Charakteren darstellen können? Mit denen es greifbar wird, warum ein Char bei seinen Prinzipien bleibt und der andere sie bricht? Die im Spiel funktionieren und gleichzeitig Entscheidungsspielraum für die Spielerinnen und Spieler lassen?

Ich versuche aktuell erstmal über Grundantriebe ohne eigene Regeln einen winzigen Schritt vorwärts vorwärts zu gehen, um etwas zu finden, auf dem ich aufbauen kann. Ich hätte dazu aber gerne mehr.

Ich kann beschreiben, welche Auswirkungen ein Sprung aus 4m Höhe auf Asphalt hat, und habe dafür auch viele Vorbilder aus den verschiedensten Genres (von Anime "das war doch ein normaler Schritt" bis hin zu Krankenhausserien "Knöchel gesplittert, braucht eine 8-Stunden-OP").

Viel schwerer fällt es mir zu beschreiben, welche Auswirkungen eine Beleidigung hat — vielleicht noch unterschiedlich, je nachdem, wer zuschaut — oder wie sehr unfaire Kritik eines anderen SCs die Leistungsfähigkeit einbrechen lässt. Dafür fehlen mir auch die Vorbilder. Ich habe mich, und ich bin schon nicht konsistent. Wie reagieren andere? Welche Handlungsmuster sind plausibel? Wie kann ich die Unterschiede zwischen Leuten konkret festhalten — also in Worten und Werten auf dem Charakterblatt? Wie beeinflusst das wieder Proben?

In Filmen ist Stärke oft ähnlich übertrieben wie Prinzipientreue. Im Rollenspiel haben wir das für Stärke aufgebrochen, für Prinzipientreue nicht. Stärke lässt sich halt leicht in Zahlen fassen: Du kannst so und so viel heben. Konstitution ist einfach: Du kannst so und so lange laufen und bekommst erst ab so und so viel Schaden eine Wunde. Für Geschicklichkeit, Fingerfertigkeit, usw. haben wir viele Vorbilder, z.B. Ballett, Handarbeiten und Zeichnen.

Was haben wir für Prinzipientreue?
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Offline YY

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #1 am: 17.06.2020 | 22:42 »
Was haben wir für Prinzipientreue?

Da kann ich doch genau so gut Zahlen drankleben wie an Stärke oder Konstitution.


Z.B. Pendragon arbeitet da mit Begriffspaaren wie etwa "Jähzornig - Geduldig", die zusammen immer 20 ergeben. Steigt das eine, fällt das andere.
In entsprechenden Situationen wird auf Wunsch des Spielers eine Art Rettungswurf abgelegt, ob sich der Charakter entsprechend verhält; ab einem Wert von 16 muss man würfeln.

Das Knifflige daran ist eigentlich nur, die passenden Begriffspaare für das jeweilige Spiel zu bilden.
Pendragon will arthurianische Ritter darstellen und orientiert sich deswegen an ritterlichen und christlichen Tugenden.
Wenn es um etwas anderes gehen soll, braucht es recht sicher auch andere Begriffe.
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Offline Alexandro

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #2 am: 17.06.2020 | 23:01 »
Die meisten Systeme modellieren doch Schaden gar nicht so genau. Ein Sturz aus 4m Höhe auf Asphalt kann in der Realität alles bedeuten, vom verstauchten Knöchel bis zum Schädelbasisbruch. Je nachdem, wie man halt fällt.

Deswegen, weil man das nicht so genau modellieren kann, abstrahieren selbst detailliertere Systeme da gerne mal und sagen "Die Würfel sagen, du hast diese-und-jene Verletzung, da können wir uns ungefähr denken, was die ausgelöst hat...".

Genauso könnte man es bei psychologischen Zuständen machen: die Regeln sagen dir "Dein Charakter ist jetzt wütend" und er ist das in einem bestimmten (numerischen) Maße - inwieweit dass dich abgesehen davon beeinträchtigt, liegt bei dir.
Wer beim Rollenspiel eine Excel-Tabelle verwendet, der hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #3 am: 17.06.2020 | 23:45 »
Ein Grund, aus dem Psychologie nicht so oft simuliert wird, ist sicher auch, daß man damit ja eigentlich regelseitig in die Kontrolle der Spieler über ihre Charaktere eingreift. Schön, das tut man streng genommen mit Verletzungen ebenfalls -- aber bei denen sind wir als reale Menschen schon eher darauf konditioniert, sie als etwas wahrzunehmen, was man sich normalerweise nicht selbst aussucht. Bei den Dingen, die sich rein in unseren Köpfen abspielen, haben wir dagegen meist allermindestens die liebgewonnene Illusion von freiem Willen und allem, was daraus folgt, so daß da von Spielerseite her (bzw. auch schon mal von SL-Seite, wenn's um NSC geht) natürlich schon allein deswegen schneller und öfter Widerworte kommen...

Offline ArneBab

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #4 am: 19.06.2020 | 11:29 »
Z.B. Pendragon arbeitet da mit Begriffspaaren wie etwa "Jähzornig - Geduldig", die zusammen immer 20 ergeben. Steigt das eine, fällt das andere.
In entsprechenden Situationen wird auf Wunsch des Spielers eine Art Rettungswurf abgelegt, ob sich der Charakter entsprechend verhält; ab einem Wert von 16 muss man würfeln.
Wird damit auch abgedeckt, dass man oft eine Wahl hat, wie man sich entscheiden will, aber die Entscheidung gegen den Antrieb Konsequenzen hat?

Du kannst dich entscheiden, auf deine große Liebe zu versetzen, aber du wirst über längere Zeit unglücklich sein. Du kannst dem Jähzorn widerstehen, dann aber vielleicht Stundenlang nicht klar denken.
Und es ist zumindest in Realität massiv von der Situation abhängig. Ich kann sehr lange geduldig sein, außer jemand geht meine Kinde an.
Zitat
Das Knifflige daran ist eigentlich nur, die passenden Begriffspaare für das jeweilige Spiel zu bilden.
Pendragon will arthurianische Ritter darstellen und orientiert sich deswegen an ritterlichen und christlichen Tugenden.
Wenn es um etwas anderes gehen soll, braucht es recht sicher auch andere Begriffe.
Das ist dann für spezifische Szenarien. Ich versuche etwas zu finden, das für alle Charaktere funktioniert.
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Offline ArneBab

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #5 am: 19.06.2020 | 11:40 »
Ein Grund, aus dem Psychologie nicht so oft simuliert wird, ist sicher auch, daß man damit ja eigentlich regelseitig in die Kontrolle der Spieler über ihre Charaktere eingreift. Schön, das tut man streng genommen mit Verletzungen ebenfalls -- aber bei denen sind wir als reale Menschen schon eher darauf konditioniert, sie als etwas wahrzunehmen, was man sich normalerweise nicht selbst aussucht. Bei den Dingen, die sich rein in unseren Köpfen abspielen, haben wir dagegen meist allermindestens die liebgewonnene Illusion von freiem Willen und allem, was daraus folgt, so daß da von Spielerseite her (bzw. auch schon mal von SL-Seite, wenn's um NSC geht) natürlich schon allein deswegen schneller und öfter Widerworte kommen...
Ich gehe davon aus, dass diese Illusion etwas ist, das sich durch gute Regeln regeln ließe. Auch ohne komplett die Kontrolle zu verlieren — ich will immernoch, dass Spielerinnen und Spieler entscheiden, wie die SCs entscheiden, aber mit Randbedingungen und Konsequenzen.

Bei Stärke hatten wirja auch den Effekt: In Filmen ist Stärke absolut und ein Plotwerkzeug. In Rollenspielen haben wir einen Wert und akzeptieren, dass wir halt nicht einfach alles hochheben können, nur weil auf dem Charakterblatt "„Strak“ steht.

Und Probleme gibt es. Beim Feilschen funktioniert es noch („das kostet jetzt mehr“), beim Überzeugt-werden funktioniert es nur noch bei SCs gut, die z.B. „naiv“ als Nachteil haben, aber wir haben kaum etwas, mit dem wir festhalten können, von was ein SC überzeugt werden kann, und von was nicht.

Zum Beispiel wäre es sehr schwer, mich davon zu überzeugen, dass Trump gut und Gott real ist. Mich davon zu überzeugen, dass Habeck ein korruptes U-Boot ist, wäre mit ein paar gezielten Lügen viel leichter. Nur wie bildet man sowas regeltechnisch ab?
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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #6 am: 19.06.2020 | 11:45 »
Die meisten Systeme modellieren doch Schaden gar nicht so genau. Ein Sturz aus 4m Höhe auf Asphalt kann in der Realität alles bedeuten, vom verstauchten Knöchel bis zum Schädelbasisbruch. Je nachdem, wie man halt fällt.
Die Systeme reduzieren üblicherweise die Streubreite, bzw. versuchen sie mit würfeln zu modellieren, und der Patzer ist halt der Schädelbasisbruch.

Dadurch geben sie allerdings verlässlichkeit: Innerhalb der Fiktion kann ich einschätzen, was eine bestimmte Handlung an körperlichen Folgen nach sich ziehen kann. Psychische Folgen finde ich da viel schwerer.
Zitat
Genauso könnte man es bei psychologischen Zuständen machen: die Regeln sagen dir "Dein Charakter ist jetzt wütend" und er ist das in einem bestimmten (numerischen) Maße - inwieweit dass dich abgesehen davon beeinträchtigt, liegt bei dir.
Mechanical dream hat das versucht, indem es alle körperlichen Eigenschaften nochmal für die Psyche gibt. Das bewirkt, dass sowas wie Schrecken sich viel realer anfühlt, hat aber nur Schaden abgedeckt, aber keine komplexeren Zustände. Eigentlich gab es dafür sogar Systeme, mit Machinations of the Mind o.ä., mit Triggern und Panzerung der Psyche, aber das haben wir nie wirklich eingebunden bekommen.
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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #7 am: 19.06.2020 | 12:10 »
Ich schätze das muss man auf mehrere Ebenen herunterbrechen. Erst einmal völlig laienhaft und weitgehend unsortiert sammelnd:

Ethikwerte: Jede Person hat Werte  im Sinne von sozialen Verhaltensleitlinien - , welche ihr initial von der Umwelt vermittelt worden sind, insbesondere als Erziehung.
In der Praxis wird sich das noch für jeden dieser Ethikwerte aufteilen in den Wert, welchen die Person dann persönlich für richtig hält, den sie selbst zu erreichen glaubt und dem Wert, den jemand dann von außen gefordert sieht.
Werteforderungen sind typischerweise auch Teil von Rollenbeschreibungen.

Ängste/Mängel/Wünsche: Ängste sind Befürchtungen möglicherweise kommender nachteilige Zustände, Mängel sind bereist vorliegend und Wünsche sidn Verbesserungsabsichten für die Zukunft - wobei die jeweiligen angenommenen Chancen und Risiken da noch einmal deutlich mit reinspielen.

Ein Teil dieser Werte befasst sich mit sozial bei Fehlen oft disruptiver "Triebkontrolle" im weitesten Sinne: Lust, Gier, Zorn, ... .

Für Gruppen ist dies das Wertetripplet des Wertes, den sie nominell vertritt, der Wert, den sie typischerweise lebt und der Wert, ab dem sie beginnt Sanktionen zu initiieren.

Rollen: Jede Person nimmt diverse Rollen ein. Zu solchen Rollen gehören Kompetenz und Verhaltensansprüche, welche jemand dann wiederum unterteilt in "selbst angestrebt", "gefordert", "aktueller Stand".
 
Individualkontakte: Die Bezüge zu Einzelpersonen

Gruppenbezüge: Die Bezüge zu größeren Gruppen. Hier kommt dann noch hinzu, in wie weit man dann näher oder ferner dazu gehört. Gruppen haben wiederum wie Rollen Verhaltensansprüche und ggf. auch Kompetenzansprüche sowie manchmal auch weitere Zugehröigkeits und Rangfolgekriterien.

Soziales Gewicht sowie ggf. Rang und Amt beschreiben, in wie weit eine Gruppe den Eingaben eines Individuums folgt.
Soziales gewicht ist dann wiederum von der Passgenauigkeit zu den jeweiligen eingenommenen Rollen abhängig.


Soziale Energien:
Selbstvertrauen ist rollenabhängig und hängt von dem wahrgenommenen Verhältnis Anforderung zu eigener Leistung ab.

Stress wird durch Herausforderungen an die Rollenkompetenz ausgelöst. Stress unterhalb der eigenen Erwartungen oder bei guten Gewinnchancen gegenüber vernachlässigbarem Risiko erzeugen positiven Stress, alles darüber dann negativen Stress.

Frust wird durch Diskrepanzen zwischen Soll- und Istwerten bezüglich idealen und aktuellen Zuständen erzeugt.

Emotionale Energie ist dann das, was einem an Motivation und Einsatzwille zur Verfügung steht.

Relevanz: Teil der Werte und Rollenbetrachtung ist noch die relative Wichtigkeit für die Person. Wem eine Rolle oder Beziehung nicht so wichtig ist, schert sich weniger, wenn er in dieser Rolle schlecht ist. Die Rangfolge von Rollen ist wiederum eine oft gesellschaftliche Setzung wie die Ethikwerte oben.


Wie wird nun sozial interagiert? -> Man manipuliert die Wahrnehmung/Meinung der Zielperson zu entsprechenden Werten und Kompetenzen, vorzugsweise unter Nutzung von bestehenden anderen Werten oder aber auch durch den Bezug auf bestehenden passenden Frust und/oder Stress. (Oder man erzeugt solchen erst, oft unter diskreter und geschickter Nutzung von passenden Ängsten, Mängeln oder Wünschen.
Bisherige gegenläufige Werte wirken hier erst einmal als Widerstand und die Kunst ist oft diese Gegenläufigkeit klein zu reden. 
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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #8 am: 19.06.2020 | 15:04 »
Interessant wäre vielleicht wirklich, erst mal zusammenzutragen, was es da bereits gibt. Ich meine, in gewisser Hinsicht ist die Abhandlung von "psychologischen Zuständen" im Rollenspiel ja mindestens so alt wie Call of Cthulhu, wo's dann halt nur um eine recht spezielle Kategorie von solchen Zuständen geht... ;)

Und natürlich haben viele Systeme da draußen zumindest in irgendeiner am konkreten Spieltisch meist vernachlässigten Regelecke doch so etwas wie einen Willenskraft- oder Selbstbeherrschungswert versteckt, der im Prinzip angeben soll, wie gut sich der betreffende Charakter zumindest ganz allgemein unter Kontrolle hat. Das mag nun nur so ziemlich das absolute Minimum dessen sein, was man erwarten sollte, ist aber immerhin noch besser als überhaupt nichts -- man hat wenigstens etwas, das man konsultieren und grundsätzlich auch zu Würfelzwecken heranziehen kann.

Also -- was gibt's noch so? :)

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #9 am: 19.06.2020 | 15:09 »
Die andere Herangehensweise wäre dann zu schauen, welche Fragen/Situationen man da überhaupt verregeln möchte.
Das Feld ist da ja doch eher breit von "Verführen" über "Kampfmoral" zu "Wahnsinn kraft unirdischer Erfahrungen"
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Offline flaschengeist

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #10 am: 19.06.2020 | 16:12 »
Interessant wäre vielleicht wirklich, erst mal zusammenzutragen, was es da bereits gibt. Ich meine, in gewisser Hinsicht ist die Abhandlung von "psychologischen Zuständen" im Rollenspiel ja mindestens so alt wie Call of Cthulhu, wo's dann halt nur um eine recht spezielle Kategorie von solchen Zuständen geht... ;)

Und natürlich haben viele Systeme da draußen zumindest in irgendeiner am konkreten Spieltisch meist vernachlässigten Regelecke doch so etwas wie einen Willenskraft- oder Selbstbeherrschungswert versteckt, der im Prinzip angeben soll, wie gut sich der betreffende Charakter zumindest ganz allgemein unter Kontrolle hat. Das mag nun nur so ziemlich das absolute Minimum dessen sein, was man erwarten sollte, ist aber immerhin noch besser als überhaupt nichts -- man hat wenigstens etwas, das man konsultieren und grundsätzlich auch zu Würfelzwecken heranziehen kann.

Also -- was gibt's noch so? :)

Das ist mir auch als erstes in den Sinn gekommen. Immerhin gibt es einige Rollenspiele, die entsprechende Werte vorsehen:
Bei Arcane Codex hat jeder Charakter einen Geistigen Widerstand, bei Earthdawn gibt es die Soziale Widerstandskraft, bei ERPS Geistige Stabilität, viele Rollenspiele haben ein Attribut wie Willenskraft, D&D hat Rettungwürfe auf Weisheit (obwohl Weisheit kein Attribut sondern ein Konglomerat aus Fertigkeiten ist, aber das ist ein anderes Thema).

Ein Problem sehe ich darin, dass konsequent verregelte "mentale" Angriffe die Entscheidungsfreiheit des Charakters einschränken (müssen), womit viele Spieler aus psychologisch nachvollziehbaren Gründen (Frustration des Grundbedürfnisses nach Kontrolle) Schwierigkeiten haben. Also etwa, wenn eine Mechanik wie Überreden oder Verführen nicht nur gegen NPCs funktioniert.
Interessant finde ich hier Arcane Codex (3), das einige Persönlichkeitseigenschaften als Nachteile hat, die in mehr oder minder genau definierten Trigger-Situationen Willenskraftproben erfordern. Falls der Spieler scheitert, muss er dann entsprechend handeln (z.B. als blutdürstiger Charakter den Feind töten, statt ihn, wie oft klüger, zu Befragung am Leben zu lassen).

Als Fachmann für menschliches Erleben & Verhalten (bin von Beruf Psychologischer Psychotherapeut) finde ich übrigens besonders interessant, was passiert, wenn zwei oder mehr Ziele einer Person in Konflikt miteinander geraten (Stichwort "Ambivalenz"). Z.B. der Wert "Loyalität" und der Wunsch nach neuen Erfahrungen, wenn ich in einer festen Beziehung bin und sich mir Gelegenheit zum Seitensprung bietet (der Klassiker sozusagen ;)). Oder der Wunsch, einen als langweilig und sinnlos erlebten Beruf zu verlassen versus dem Ziel finanzielle Sicherheit.
« Letzte Änderung: 19.06.2020 | 16:22 von flaschengeist »
Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern dann, wenn man nichts mehr weglassen kann (frei nach Antoine de Saint-Exupéry). Ein Satz, der auch für Rollenspielentwickler hilfreich ist :).
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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #11 am: 19.06.2020 | 16:33 »
Das Problem bei den bestehenden Regelungen sehe ich darin, dass sie oft das Äquivalent zu "Peng du bist tot sind", bzw. auch Situationen, welche nicht offen konfrontativ sind wie einen Zweikampf modellieren und damit so grundlegende Konzepte wie Kompromissvorschläge nicht kennen. Dazu kommt, dass mangels Ver"wertung" eben diese für den Spieler die Figur definierenden Umstände üblicherweise völlig ignoriert werden und somit nach einem irgendwoher geholten Wurf WTF-Situationen auslösen.
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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #12 am: 19.06.2020 | 16:43 »
In Wraith gibt es die dunke Seite des SC als eigenen Charakter mit der Ressource Angst.

In Exalted kann man den Wert Willpower angreifen. Ebenfalls eine Ressource mit welcher man z. B auch Würfe verbessern kann.
« Letzte Änderung: 19.06.2020 | 17:30 von fivebucks »

Offline YY

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #13 am: 19.06.2020 | 18:21 »
Wird damit auch abgedeckt, dass man oft eine Wahl hat, wie man sich entscheiden will, aber die Entscheidung gegen den Antrieb Konsequenzen hat?

Nein, da wird nur die Entscheidung modelliert/unterstützt, aber einen fortdauerenden inneren Konflikt nach bzw. emotionale Konsequenzen der Entscheidung sind nicht abgedeckt.

Und es ist zumindest in Realität massiv von der Situation abhängig.

Dafür gibt es im Zweifelsfall Modifikatoren.

Das ist dann für spezifische Szenarien. Ich versuche etwas zu finden, das für alle Charaktere funktioniert.

Wie bei anderen Regelkonstrukten wird es dann eher grobkörnig oder umfassend mit dem Schönheitsfehler, dass man oft große Teile davon nicht braucht.

Dadurch geben sie allerdings verlässlichkeit: Innerhalb der Fiktion kann ich einschätzen, was eine bestimmte Handlung an körperlichen Folgen nach sich ziehen kann. Psychische Folgen finde ich da viel schwerer.

Wenn man den Blick vom Gesamtthema nimmt und sich konkrete Situationen anschaut, finde ich das eher einfacher.

Das ist ja nicht unüberschaubar komplex, sondern nur unsicherer im Ergebnis als das, was man sonst im Alltag so gewöhnt ist.



Ein Problem sehe ich darin, dass konsequent verregelte "mentale" Angriffe die Entscheidungsfreiheit des Charakters einschränken (müssen), womit viele Spieler aus psychologisch nachvollziehbaren Gründen (Frustration des Grundbedürfnisses nach Kontrolle) Schwierigkeiten haben. Also etwa, wenn eine Mechanik wie Überreden oder Verführen nicht nur gegen NPCs funktioniert.

Da vertut sich eben auch so manches System in den Auswirkungen.
Solange das nachvollziehbar bleibt und Spielräume in der Umsetzung lässt, haben Spieler meiner Erfahrung nach keine übermäßig großen Probleme damit.
Aber das ist dann eben auch was anderes wie "Der hat Überreden 25, du musst jetzt alle deine Freunde verraten und dein ganzes Leben im Klo runterspülen"  ;)
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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #14 am: 19.06.2020 | 18:37 »
Da vertut sich eben auch so manches System in den Auswirkungen.
Solange das nachvollziehbar bleibt und Spielräume in der Umsetzung lässt, haben Spieler meiner Erfahrung nach keine übermäßig großen Probleme damit.
Aber das ist dann eben auch was anderes wie "Der hat Überreden 25, du musst jetzt alle deine Freunde verraten und dein ganzes Leben im Klo runterspülen"  ;)

Guter Punkt und genau weil das Ergebnis sozialer Interaktionen - anders als bei körperlichen Herausforderungen - nicht nur von der Situation (hohe vs. niedrige Wand, schneller vs. langsamer Gegner oder sozial: Gegenüber in Eile vs. entspannt) sondern auch von der Persönlichkeit des Interaktionspartners abhängt (die sich anders als körperliche Expertise schlecht in einem Wert wie "Athletik 5" abbilden lässt), sehe ich keine Lösung, die soziale Interaktionen ähnlich eindeutig verregelt, ohne eine gegen unendlich gehende Kompliziertheit zu produzieren.
 
« Letzte Änderung: 19.06.2020 | 18:44 von flaschengeist »
Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern dann, wenn man nichts mehr weglassen kann (frei nach Antoine de Saint-Exupéry). Ein Satz, der auch für Rollenspielentwickler hilfreich ist :).
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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #15 am: 19.06.2020 | 18:52 »
Guter Punkt und genau weil das Ergebnis sozialer Interaktionen - anders als bei körperlichen Herausforderungen - nicht nur von der Situation (hohe vs. niedrige Wand, schneller vs. langsamer Gegner oder sozial: Gegenüber in Eile vs. entspannt) sondern auch von der Persönlichkeit des Interaktionspartners abhängt (die sich anders als körperliche Expertise schlecht in einem einzelen Wert wie "Athletik 5" abbilden lässt), sehe ich keine Lösung, die soziale Interaktionen ähnlich eindeutig verregelt, ohne eine gegen unendlich gehende Kompliziertheit zu produzieren.

Na ja -- daß soziale Interaktion zumindest unter Leuten ohne relevante Superkräfte keine Instant-Gehirnwäsche ist, sollte ein anständiges Regelsystem eigentlich schon irgendwie abbilden können, auch ungeachtet der Tatsache, daß sich da längst nicht alle existierenden Systeme unbedingt mit Ruhm bekleckert haben. Oder irre ich mich und sollte selbst dieses bißchen Anspruch aufgeben? >;D

Offline BBB

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #16 am: 19.06.2020 | 18:52 »
sehr spannend.
erstmal ein Abo, später hoffentlich mehr
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Spielt zur Zeit: DSA Briefspiel, sowie 3-6 DSA Larps pro Jahr. Am Tisch: derzeit nix ;D

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Offline YY

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #17 am: 19.06.2020 | 20:10 »
(die sich anders als körperliche Expertise schlecht in einem Wert wie "Athletik 5" abbilden lässt)

Das sehe ich anders.
Natürlich kommt es auch bei körperlichen Sachen drauf an, wer (d.h. mit welchen Fähigkeiten und Eigenschaften) da was versucht und da pressen wir auch enorm komplexe Sachverhalte in einige wenige Werte oder gar nur eine einzige Zahl.
Wenn wir mit dem selben "Kompressionsfaktor" an psychologische/mentale Situationsbetrachtungen gingen, würde ich eher vermuten, dass wir bei Systemen wie Pathfinder, GURPS oder DSA4/5 an den Punkt kommen, wo wir alles auf der entsprechenden Zoomstufe sinnvoll abgebildet haben und trotzdem noch lange nicht so viel Regelaufwand betrieben haben, wie er dort für den Kampf zu finden ist. 
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Offline OldSam

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #18 am: 19.06.2020 | 22:55 »
Ein Grund, aus dem Psychologie nicht so oft simuliert wird, ist sicher auch, daß man damit ja eigentlich regelseitig in die Kontrolle der Spieler über ihre Charaktere eingreift.

Ja, das ist sogar ein sehr wichtiger Grund - ich habe z. B. auch schon einiges darüber gelesen, warum solche Ansätze dann letztlich verworfen wurden, wenn es um soziale Konfliktregeln geht, welche die Spielercharaktere betreffen, weil eben der starke Eingriff in die Spielerfreiheit ein äußerst problematischer, sehr herausfordernder Schritt ist. Das kann letztlich selbst schon so etwas vergleichsweise simples sein wie der bekannte "Verführen"-Skill - kann ich z. B. den SC einfach dazu zwingen zu entscheiden, dass der NSC ihn/sie jetzt verführt hat...? ("Du bist angetörnt, kannst nicht mehr klar denken und folgst ihr benebelt in das Nebenzimmer...") - Sehr schwierig sowas und erfordert sicherlich auch viel Metadiskussion vorher...

Aber vom Grundsatz her finde ich das Thema aber eigentlich sehr spannend und mit den richtigen Spielern, die offen für sowas sind (also Kontrolle / Freiheit abzugeben in gewissem Rahmen) und im passenden Spielkontext kann das bestimmt echt cool sein.
« Letzte Änderung: 19.06.2020 | 23:02 von OldSam »

Offline flaschengeist

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #19 am: 20.06.2020 | 09:48 »
Das sehe ich anders.
Natürlich kommt es auch bei körperlichen Sachen drauf an, wer (d.h. mit welchen Fähigkeiten und Eigenschaften) da was versucht und da pressen wir auch enorm komplexe Sachverhalte in einige wenige Werte oder gar nur eine einzige Zahl.
Wenn wir mit dem selben "Kompressionsfaktor" an psychologische/mentale Situationsbetrachtungen gingen, würde ich eher vermuten, dass wir bei Systemen wie Pathfinder, GURPS oder DSA4/5 an den Punkt kommen, wo wir alles auf der entsprechenden Zoomstufe sinnvoll abgebildet haben und trotzdem noch lange nicht so viel Regelaufwand betrieben haben, wie er dort für den Kampf zu finden ist.

Kann ich nachvollziehen, manche Kampfsysteme sind für mich allerdings bereits "gegen unendlich gehend" kompliziert. Soll heißen, die plausible Verreglung sozialer Interaktionen halte ich für relativ kompliziert aber wenn das Subsystem hierfür 20 Seiten umfasst, kann durchaus eine halbwegs "realistische" Simulation gelingen. Die spannende Frage scheint mir, was ist der Zusatznutzen gegenüber einer Lösung wie "es gibt eine Fertigkeit Überreden, deren Möglichkeiten und Grenzen von Fall zu Fall ad-hoc festgelegt werden"? Und ist der Zusatznutzen von mehr Regeln im Bereich Kampf höher oder ist das alles eine reine Geschmacksfrage?
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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #20 am: 20.06.2020 | 10:08 »
Kann ich nachvollziehen, manche Kampfsysteme sind für mich allerdings bereits "gegen unendlich gehend" kompliziert. Soll heißen, die plausible Verreglung sozialer Interaktionen halte ich für relativ kompliziert aber wenn das Subsystem hierfür 20 Seiten umfasst, kann durchaus eine halbwegs "realistische" Simulation gelingen. Die spannende Frage scheint mir, was ist der Zusatznutzen gegenüber einer Lösung wie "es gibt eine Fertigkeit Überreden, deren Möglichkeiten und Grenzen von Fall zu Fall ad-hoc festgelegt werden"? Und ist der Zusatznutzen von mehr Regeln im Bereich Kampf höher oder ist das alles eine reine Geschmacksfrage?

Daß Kampfsysteme traditionell zu Übergewicht neigen, ist mMn einfach der Herkunft des Hobbys aus dem Wargaming-Bereich geschuldet -- die Kampfregeln waren gewissermaßen, gerade in den kritischen Entwicklungstagen von Uropa und frühem Vorbild D&D, zuerst da und alles "Rollenspielerische" kam erst später.

Insofern würde ich mir persönlich tatsächlich mindestens dreimal überlegen, ob ich zur Handhabung psychologischer Effekte wirklich so was wie eine komplette Kunsthirnsimulation in Regeln gießen will oder ob's mit ein paar groben Richtlinien, Improvisation, und ggf. etwas Verhandlung auf Tischebene nicht auch schon getan ist...aber ich mag eben auch meine Kampfregeln etwas leichter, also ist das vermutlich eine Sache des persönlichen Geschmacks. :)

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #21 am: 20.06.2020 | 10:34 »
Kann ich nachvollziehen, manche Kampfsysteme sind für mich allerdings bereits "gegen unendlich gehend" kompliziert. Soll heißen, die plausible Verreglung sozialer Interaktionen halte ich für relativ kompliziert aber wenn das Subsystem hierfür 20 Seiten umfasst, kann durchaus eine halbwegs "realistische" Simulation gelingen. Die spannende Frage scheint mir, was ist der Zusatznutzen gegenüber einer Lösung wie "es gibt eine Fertigkeit Überreden, deren Möglichkeiten und Grenzen von Fall zu Fall ad-hoc festgelegt werden"? Und ist der Zusatznutzen von mehr Regeln im Bereich Kampf höher oder ist das alles eine reine Geschmacksfrage?

Die Kampfsysteme sind zu einem guten Teil auch daher zu komplex, weil sie den Beteiligten sowohl eine Vorstellung geben wollen, wie das Ergebnis zu Stande gekomemn ist und auf dem Weg dahin Einflussmöglcihkeiten geben will.
Dies führt dann tendenziell zu Transparenz, Beteiligung und folgend Akzeptanz.

Das Würfel mal mit unklaren, willkürlich erscheinenden Parametern oder gar "nackt" auf Betören ist genau das Gegenteil.

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #22 am: 20.06.2020 | 11:32 »
Daß Kampfsysteme traditionell zu Übergewicht neigen, ist mMn einfach der Herkunft des Hobbys aus dem Wargaming-Bereich geschuldet

Das hätte sich allerdings nicht über 40 Jahre gehalten, wenn es keine strukturellen Anreize gäbe, es beizubehalten bzw. wieder so zu machen (und auch einige alte konventionelle Rollenspiele kommen ja bestenfalls sekundär aus der Wargaming-Ecke wie z.B. Advanced Fighting Fantasy).

Ich sehe da drei Aspekte:

- Ein Gefühl von Legitimation für das Ergebnis erzeugen.
Wenn wir bei psychologischen Aspekten sagen "Aber beim Kampf akzeptieren wir ja auch Eingriffe in unsere Entscheidungsfreiheit", dann wird gerne übersehen, dass das großteils passiert, weil es dafür im Vorfeld bekannte und akzeptierte Regeln gibt.

- Einflussmöglichkeiten schaffen (siehe Maarzan).
Das hängt mit dem ersten Punkt zusammen, geht aber stellenweise darüber hinaus. Und eine zeitliche und spielmechanische Streckung des Ablaufs erlaubt es auch, vorhergehende Entscheidungen bzw. deren Konsequenzen zumindest zu relativieren.

- Unterhaltung.
Viele Spieler haben da schlicht Spaß dran, sei das nun wegen dem, was mit den Regeln dargestellt wird oder am "Minispiel Kampf" selbst. 


In den meisten Spielen, wo Kampf keinen unverhältnismäßigen Anteil am Regelwerk hat, wird einfach vorausgesetzt, dass für die Zielgruppe Punkt 3 wegfällt. Und in dem Moment hat man schon viel weniger Bedarf für die anderen beiden Punkte und kann das z.B. auch erreichen, indem vor einem einzelnen Wurf vergleichsweise lang über Einflüsse und Konsequenzen gesprochen wird. Trotzdem ist das eine Stelle, wo es in sehr regelleichten Spielen öfter mal genau deswegen Knatsch gibt mit dem Ergebnis, dass man Kämpfe dort weitestgehend vermeidet oder quasi mit angezogener Handbremse gestaltet.


Daher:
Und ist der Zusatznutzen von mehr Regeln im Bereich Kampf höher oder ist das alles eine reine Geschmacksfrage?

Es gibt zwei Richtungen von Zusatznutzen.

Schaffen mehr Regeln mehr Akzeptanz, Engagement, Einflussmöglichkeiten, Ergebnisbreite?
Da ist relativ früh der Punkt erreicht, an dem das nicht mehr der Fall ist.

Haben die Spieler Spaß an mehr Regeln (=mehr "Futter" für die Beschäftigung damit sowohl am Tisch als auch zwischen den Sitzungen)?
Da tritt eine "Sättigung" wesentlich später ein und es ist nur durch die praktische Anwendbarkeit des Regelwerks begrenzt - und selbst da sind viele Gruppen bereit, über den praxistauglichen Umfang hinaus zu gehen und den Aufwand zu treiben, das für sie Interessante rauszupicken.


Analog gilt das dann für die Psychologie.
Dass eine Gruppe (beruflich nicht frustrierter ;D) Psychologen wohl nicht nur kein Problem mit, sondern Spaß an mehreren Dutzend Seiten Regeln in der Richtung hätte, ist ja allemal nachvollziehbar. Nötig oder für die breite Masse "sinnvoll" (d.h. verhältnismäßig) ist aber wesentlich weniger.
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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #23 am: 20.06.2020 | 11:47 »
Das hätte sich allerdings nicht über 40 Jahre gehalten, wenn es keine strukturellen Anreize gäbe, es beizubehalten bzw. wieder so zu machen [...]

Mag sein. Tatsächlich fällt bei mir der angesprochene Punkt 3 zumindest teilweise weg, weil ich mich für Kämpfe an sich im Rollenspiel nur bis zu einem gewissen Punkt interessiere -- reine "Kampfspiele", sogar völlig ohne überflüssigen Rollenspielballast, kann ich schließlich auch anderweitig reichlich finden, da muß also nicht auch noch dieses Hobby zu einem mutieren beziehungsweise sollte es sogar ausdrücklich nicht. :)

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Re: Psychologische Zustände
« Antwort #24 am: 20.06.2020 | 12:44 »
Um mal den Bogen zum eigentlichen Fadenthema zurückzuschlagen: ich denke, rein von der Spielerakzeptanz her mögen Sozial- und Psychologieregeln am besten ankommen, die einerseits Charakterverhalten nicht komplett einseitig zu diktieren versuchen (so etwas wie "Ich habe fünf Minuten mit dem netten Priester geflirtet und eine natürliche 20 auf Verführen gewürfelt -- Zölibat oder nicht, der muß jetzt mit mir ins Bett!" würde also schon an diesem Kriterium scheitern), andererseits aber sich und die Investition in relevante Charakterattribute und -fähigkeiten auch nicht gleich wieder durch die Möglichkeit zum beliebigen Ignorieren komplett entwerten ("Der Priester ist jetzt zutiefst empört und beleidigt und will mit dir nichts mehr zu tun haben!" als Antwort auf obiges "Verführungsszenario" etwa würde hier durchs Raster fallen -- egal, ob Bettgymnastik nun überhaupt je eine Option war oder nicht, ein kritischer Erfolg verwandelt sich nicht einfach "nur mal so" kaltschnäuzig in einen de-Fakto-Patzer.)

Immer vorausgesetzt, die Spieler (SL eingeschlossen) können den nötigen psychologischen Zustand aufrechterhalten, in dem sie sich noch der Tatsache bewußt sind, daß der Sinn des Spiels ja nicht darin besteht, sich gegenseitig am Tisch zu "besiegen", sondern in der gemeinsamen Vorstellung etwas Interessantes geschehen zu lassen und zu erleben...dann sollte sich, hoffe ich zumindest, doch eigentlich noch jedes Mal ein Ergebnis finden lassen, das zwischen den überspitzten Extremen liegt und mit dem alle Beteiligten einigermaßen leben und idealerweise sogar Spaß haben können, weil es für sie zumindest einigermaßen überzeugend klingt.