Zuerst der Hinweis: ich nehme kaum an Crowdfundings im deutschsprachigen Raum teil. Meine Erfahrungen sind mehrheitlich von internationalen Projekten geprägt.
Ich bin zu Crowdfundings extrem zwiegespalten. Die Grundidee, aus der Crowdfunding-Plattformen entstanden sind, war ja kleinere (oder auch größere) Projekte zu realisieren, ohne gleich mit Businessplan zur nächsten Bank dackeln zu müssen und sich die Finanzierung dort zu sichern. Gute Idee!
Was in der Rollenspielszene seitens der Verlage aus meiner sehr zynischen Betrachtungsweise daraus geworden ist:
- Risiko-Minimierung der Verlage. Abwälzung des finanziellen Risikos auf den Verbraucher
- Längerfristige Liquiditätssicherung. Manche Crowdfundings finanzieren am Ende über Stretchgoals eine ganze Produktpalette, die über ein oder mehrere Jahre abgearbeitet wird
- Marketing. Wobei das zweischneidig ist. Wer heute nicht in 24-48 Stunden das Finanzierungsziel erreicht hat, hat oft wenig Chancen. Größere Verlage stellen das CF dann auch gerne mal ein
- Community Building. Die Crowdfunding Plattformen dienen dem Aufbau einer Community, die das Produkt dann auch hypt
Erlebte Nachteile aus meiner Sicht:
- Die PDFs wurden schon oft kurz nach Abwicklung des letzten Produkts aus dem CF über Humble Bundle zum Bruchteil des CF Preises verschleudert
- Mit Lieferung der PDFs ging bereits der Hype beim Spielen los, so dass beim Erscheinen des tatsächlichen Buches in der Post bzw. dann auch im Handel der Hype-Train schon weiter gezogen war
- Der Kunde wird als Korrektorat in Anspruch genommen (und wird dafür nicht bezahlt, sondern im Gegenteil: musste dafür auch noch blechen)
- Die gesamte Produktpalette wurde im CF finanziert, so dass auch nichts mehr nachkommt
Meine Konsequenzen:
- Ich bevorzuge seit einiger Zeit Crowdfundings kleinerer Verlage
ohne Stretchgoals, die versprechen innerhalb von weniger als 6 Monaten zu liefern Ich hab da inzwischen eine Handvoll Verlage, die tatsächlich alles vorher fertig haben, schnell liefern und moderate bis gar keine Stretchgoals haben. Finde ich top.
- Echte Vorbestellungsaktionen mitmachen, bei denen mir nicht erklärt wird, wie toll doch alles ist, sondern einfach ein Vorab-PDF plus späteres Buch geliefert wird
- Mich nicht am Korrektorat beteiligen - sollen doch andere machen, wenn sie wollen
- Warten bis alles in den Handel kommt
- Gezielt Verlage unterstützen, die keine Crowd-Fundings machen
Durch Corona sind ja Schieflagen offensichtlich geworden, die dazu führen, dass CFs nicht mehr gut laufen oder scheitern. Ich denke, die Grundidee war ursprünglich gut, ist aber jetzt nur noch ein zynischer Marketingkanal und dem Kunden/Verbraucher werden Vorteile suggeriert, die bei realistischer Betrachtung ohne rosarote Brille und dem Marketing Cool-Aid in der Hand keine sind. Vorteile haben aus meiner Sicht nur die Verlage.
Ja, das ist negativer geworden als ich dachte, deswegen der bösartige Nachtrag: seriös agierende Verlage würden keine Crowdfundings sondern nur Vorbestellungen machen. Und da gibt es tatsächlich einige von. Namen möchte ich weder in die eine noch in die andere Richtung nennen. Beispiele hat glaube ich jeder genug parat.