Zur Frage ob H.G. Wells das Rollenspielhobby hätte erfinden können:
Ich denke es wäre möglich gewesen, auch ohne Gygaxische Buildingblocks. Es wäre bloß ein sehr anderes Spiel geworden als Dave und Gary es erfunden haben. Das so etwas wie Pantheon entstanden wäre, ist möglich, aber es ginge mMn auch für uns üblicher.
Wells hätte die Sache vermutlich nicht von der Perspektive der Weltmodellierung angegangen, sondern von der Perspektive des Schriftstellers, der er ja war. Die zentralen Figuren, die Charaktere, könnten über literarische Charakterisierung definiert werden.
Beispiel: Der junge englische Gentleman Y, hat in Afrika als Pionieroffizier gedient, sein Herz begehrt die Dame X, sie hat sich aber noch nicht endgültig entschieden. Ohne nun nummerische Werte festgelegt zu haben lassen sich zahlreiche Eigenschaften des Y erarbeiten. Als britischer Gentleman ist Y gebildet und besitzt gute Manieren (mindestens "gut" bei Intelligenz-, Bildungs- und Manierenproben). Er ist ein junger Mann, der gedient hat (Kompetenz in Waffen, Sprengstoff, Militär, Reiten und eine gewisse Fitness) und kennt sich als ehemaliger Pionieroffizier mit Bauwerken, Gruben, u.ä. aus. Ein Abenteuerhook kann X sein, die er begehrt und deren Herz es noch vollständig zu erobern gilt. So wissen wir auch technisch schon eine Menge über Y.
Nun greifen z.B. die Marsianer an und legen alles in Schutt und Asche. Ys Abenteuer könnte viele Optionen bieten. Y muss in dem Chaos überleben und versucht wahrscheinlich X zu retten um mit ihr zu fliehen. Oder er könnte sich der erst besten Militäreinheit anschließen und Gruben- oder Sprengfallen für marsianische Kriegsschreiter zu bauen.
Konfliktentscheidung - ist Y nun erfolgreich?
Beispielsweise könnte Y versuchen vor einem Kriegsschreiter mit einem Pferd zu flüchten. Die Frage wäre: Schafft er das?
Zwar hätte Wells die Proben schon mit Würfeln simulieren können, aber da wir hier den Charakter Y nicht über Zahlenwerte sondern über Text definiert haben, halte ich es für wahrscheinlicher das eine Art ja/nein-Regelmechanismus ohne Würfel entstanden wäre. Möglicherweise mit Münzwürfen, bei dem z.B. mehrmals geschnippt werden darf, wenn es um Ys besondere Kompetenzen geht. In dieser Art könnte man auch ein Schadenssystem etablieren: Y schafft seine Reiten-Probe nicht, ob wohl er zwei mal schnippen durfte. Das Pferd geht durch, er stürzt. Verletzt er sich? Münzwurf. Droht schwerer Schaden, zwei Münzwürfe. Der Schaden würde sich dann nicht in Hitpoints äußern sondern in narrativen Gesundheitskonditionen, deren Maßstab die Plausibilität innerhalb des Settings wäre.
Pro erlebten Abenteuer könnte der überlebende Y weitere narrative Charakterisierungen erhalten und so "aufsteigen".
( Hm ... ich scheine gerade ein Regelsystem erfunden zu haben ... ich nenne es das "Narrative-Coin-System". Lizenzanfragen bitte an mich.
)
Ich denke also, ja, Wells hätte es schaffen können. Aber vermutlich spürte er als Schriftsteller das Bedürfnis nicht. Er konnte schließlich einfach zum Papier greifen und Abenteuer als Roman herstellen. Zumal Fantasy nicht im Blickwinkel Wells gestanden sein dürfte, da hatte er andere Interessen. Conan erscheint auch später in den 1930ern und LotR in den 50ern. Wells könnte da einfach zu früh sein Sujet geprägt haben.
Nun mag das oben beschriebene aus der Perspektive eines Weltmodellbauers unakzeptabel sein, aber was denkt ihr?