Mal was anderes:
Wenn ich die DIY-Szene angucke, dann hat Settembrini leider recht. Mein Eindruck ist allerdings, dass es sich in Deutschland bessert (siehe zum Beispiel die vielen Einreichungen beim Fanzine-Wettbewerb von System Matters).
Wirklich?
Nein, das sehe ich in der Absolutheit für die internationale Rollenspielszene und auch für die deutsche Szene nicht. Im Gegenteil: Früher gab es wesentlich größere Hürden, Rollenspielprodukte und Rollenspiel
fanprodukte effektiv zu veröffentlichen. Die mussten damals noch zum Selbstkostenpreis gedruckt, mühevoll getackert und dann über Mailinglisten oder Addresslisten verschickt werden oder wurden auf der örtlichen gegen einen Obolus abgegeben. Damit einher ging eine geringere Reichweite.
Heute kann jeder einfach so eine PDF ins Internet stellen und teilweise unterstützen sogar die Verlage Fanwerke jetzt viel stärker als früher noch. Ich meine, da
übersetzt ein Typ die englischen Exalted 3rd Edition-Charms auf deutsch und stellt sie online und White Wolf sagt "Noice!". Und auch die deutschen Rollenspielschaffenden sind
wirklich nicht untätig (einfach mal unter der Fanveröffentlichung die anderen Einträge durchklicken (eine gute Übersichtsseite für die deutschen Veröffentlichungen habe ich auf die Schnelle nicht gefunden).
Nein. Nun.
Wirklich. Nicht. Zumindest nicht untätiger als andere Rollenspiel-Szenen in anderen Ländern.
(Wir erinnern uns: In Deutschland gibt es auch verhältnismäßig weniger Rollenspieler als z.B. in den USA; da ist es doch klar, dass in den Staaten in absoluten Zahlen auch mehr Fan-Rollenspielzeugs seinen Weg in die Szene findet. Aber relativ gesehen: Das bezweifle ich. Und die deutschen Rollenspielschaffenden, die auf englisch veröffentlichen, haben wir noch gar nicht betrachtet (im Storyteller's Vault sind das z.B. recht viele).)
Außerdem ist es, glaube ich, auch eine Sache der eigenen Blase. Wer, nur so als Beispiel, in den 2000ern keine WoD gespielt hat, der weiß nichts vom Schrecknet oder von Caern.de - wer mit Exalted nichts anfangen kann, der ist auch noch nie
hier im Wiki unterwegs gewesen. Und wer mit DungeonSlayers nichts am Hut hat, dem sagt der Slay!-Adventskalender auch nicht. Es kann also durchaus sein, dass in der eigenen Nische weniger produziert wird, aber das lässt sich nicht auf das Rollenspiel als gesamtes Schöpfungsfeld beziehen.
Und die ganzen nicht-textuellen Formate moderner Prägung wie Actual-Plays oder Podcasts oder so haben wir noch gar nicht eingerechnet. Die gab es früher nämlich einfach gar nicht, also, gar nicht. Ganz abgesehen von den Leuten, die sich daheim hinsetzen und Rollenspielmaterial in veröffentlichungsreifer Qualität nur für die eigene Runde herstellen. Ich kann mich an keine Zeit im Hobby erinnern, wo nicht irgendwer in meinem engeren Rollenspielkreis nicht wenigstens 2 selbstgebastelte Regelwerke und 4 selbstgebastelte Settings am Start hatte (in meinem Umfeld mit so klingenden Namen wie "Shadowwar", "Wizards & Warlocks" oder "D&Disney")
Im Gegenteil, ich würde sogar sagen, die Szene ist mindestens so kreativ wie eh und je. Der Do-It-Yourself-Gedanke ist in Rollenspiel als Hobby eingebacken und diese Kreativität hat ständig neue Impulse bekommen. Ich weiß, dass gewisse Kreise das vielleicht nicht hören wollen, aber neben der OpenGaming-Licence von Wizards hat in den Nuller Jahren auch die Forge
Einiges dafür getan, dass in der Szene viel neues Zeugs nachkam und Leute angefangen haben, ihr Zeugs auch wirklich zu veröffentlichen. Die Indie-RPG-Welle hält ja bis heute an. Jeder fühlt sich beflügelt sein eigenes, thematisches Rollenspiel zu veröffentlichen. Die Zine-Kultur von D&D ist ein wichtiger Inkubator für Fankreativität gewesen. Die Forge ein anderer, denn die hat gesagt: "Hey, ihr müsst nicht White Wolf sein, um coole, narrative Games zu veröffentlichen. Es ist sogar besser, dass ihr nicht White Wolf seid, denn dann könnt ihr echte, narrative Games veröffentlichen."
Und dieser Trend setzt sich fort, auch in der deutschen Rollenspielerschaft. PbtA ist ein neuer, großer Inkubator, die OSR ein anderer.
Also bitte, Leute, ist alles nicht so schlimm. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die schiere Auswahl an Material, auch an deutschsprachigem, jemals größer war als heute - zumindest nicht mit dieser Verbreitung und nicht lokal begrenzt. Es mag für das eigene Lieblingssystem stimmen, dass früher mehr Lametta war (siehe z.B. in meinem Fall das grandiose Exalted-Wiki der 0er-Jahre im Vergleich zu den paar popeligen Vault-PDFs zum System alle Jubeljahre). Aber die Grundaussage, dass es überall so sei deckt sich absolut nicht mit meiner Wahrnehmung.