Etwas spät, aber ich teile die Einschätzung, auch wenn ich glaube, dass die Komplexitäten nicht unbedingt vergleichbar sind.
Das Grundgerüst mag, wie Andre sagt, recht simpel sein. Aber alles darüber hinaus ist es oft nicht - und das ist viel. Hier zerfranst sich das System mMn an vielen Fronten in Sonderregeln, schwer zu findende Regelelemente und Quasi-Regelelemente, die eigentlich nur vercrunchte Settingbrocken sind.
Dabei ist es wenig gestreamlined, simuliert Situationen an einer Stelle völlig anders, als an vergleichbaren Stellen und liefert irre Formeln, die ich mir keine Sekunde lang merken kann, an wieder anderen Stellen.
Als Beispiel sei der Umgang mit Modifikatoren genannt. Mal sind es -20%, dann wieder halber Fertigkeitswert hier, ein Drittel dort usw. Und man schaue sich nur mal den MAN-Steigerungswurf an (S.420). Irre.
Man merkt dem Spiel an, dass es gewachsen und nicht neu designed worden ist, das stimmt.
Beim RuneQuest-Regelsystem ist es wie mit der Welt Glorantha:
Nur weil etwas auf den ersten Blick ähnlich aussieht ist es noch nicht das selbe und muss in der Spielwelt anders gehandhabt werden. Leider führt das auch dazu dass zunächst ähnlich erscheinende Regelteile, die dann aber doch anders sind, auch anders gehandhabt werden.
Dies ist aber auch Teil des Flairs des Spiels: Es wirkt authentisch.
Wenn du ein W100-Regelsystem suchst, was ähnlich erscheinende Regelteile auch fast gleich abhandelt, dann ist MYTHRAS das richtige für dich. Dem merkt man an, dass es sich (als es noch RuneQuest 6 war) nicht aus den vorherigen Editionen weiterentwickelt hat, sondern auf Basis der alten Editionen neu durchdesignt wurde.
Ich habe es in einem anderen Thread mal mit den USA und Europa verglichen:
In den USA hast du Meilen, Yard und Fuß, Pfund und Gallonen.
In Europa hast du Kilometer, Meter und Zentimeter, Kilogram und Liter.
Das zweite ist effektiv und einfach, aber man merkt ihm an, dass es in neuerer Zeit designt wurde.
Das erstere wirkt unnötig komplitiert und inkonsequent, man muss aber zugeben, dass es sich authentisch gewachsen anfühlt.
Ich glaube mit einer fitten Spielleitung ist die Komplexität für die Spieler:innen wirklich eher überschaubar, wenn die Charaktergenerierung mal geschafft ist.
Als SL hat man dafür den vollen Brocken. Man muss nicht nur die Grund-Regeln, sondern auch jene Regeln verstehen, die sich in langen Fluff-Fließtexten verstecken, wie dies zum Beispiel beim Geisterkapitel der Fall ist. Weglassen ist da leicht gesagt, viele Abenteuer benutzen diese Regeln und sie sind für die Welt wichtig. Da kommen sonst schnell Fragen auf seitens der Spieler:innen; und das ist schon doof, wenn man die nicht beantworten kann.
Seien wir mal ganz ehrlich:
RuneQuest ist kein Drittrollenspiel, oder Mal für Zwischendurch... zumindest nicht für den Spielleiter.
Ja, der Spielleiter muss sich in die Welt einarbeiten mit all ihren Details, und auch von allen nicht zu abwegigen Sonderregeln sollte er zumindest wissen wo er sie schnell nachschlagen kann, aber die WENN er sich darauf einlässt und auch nur ein Drittel seiner Faszination davon an seine Spieler weitergeben kann, ist es mit das intensivste was einem im Hobby Rollenspiel widerfahren kann.