Autor Thema: Der rollenspielkulturelle KANON  (Gelesen 2670 mal)

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Offline Megavolt

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Der rollenspielkulturelle KANON
« am: 21.12.2020 | 09:46 »
Erinnert euch an die guten, alten Tage. Der Krieg war gerade vorbei, eine neue Zeit brach an. Alle waren voller Hoffnung. American Diners, Schmalzlocken, Lederjacken, Motorräder. Wir spielten: Das Schwarze Auge.

Bitte klickt auf folgenden Link zur Gesamtpublikationsliste von DSA. Scrollt behutsam nach unten und spürt, wie ihr von Demut übermannt werdet angesichts der IRREN MASSE an Publikationen. Jeder schmale Eintrag ist ein ganzes BUCH.

Jetzt mal allen Hate auf DSA kurz beiseite: Erinnert ihr euch noch daran, dass es mal eine Zeit gab, in der man mit wildfremden Leuten über kleinste Hintergrund- und Regeldetails reden konnte? Als bestimme Publikationen noch richtiges Allgemeingut waren? Als man differenzierte Meinungen zu Plotlinien und so hatte? Als es vitale Monorollenspielforen gab?

Im Vergleich dazu die heutige Zeit: Unendlich viele Rollenspiele, von denen nur die wenigsten ein gewisses Standing haben, von denen viele nicht gekauft, und wenn doch gekauft, dann nicht gespielt werden. Von denen die meisten sehr schnell nur noch ein Dasein als PDF-Gespenster fristen.

Ich habe früher immer über die komischen Ur-Rollenspieler die Nase gerümpft, mit ihrem lächerlichen antiquierten Scheiß, den keiner kennt. Ich erkenne frappant, dass hier mittlerweile ein neuer Umschlag in den Erfahrungswelten stattgefunden hat, vielleicht besser gesagt: ein Abriss in der Kontinuität.

Äußert euch mal dazu. Ist die Lage heute besser als früher? War das früher eine heile Welt oder war sie beklemmend? Hat sich die Kommunikation über Rollenspiele durch die Explosion der Produkte und der Linien eher verbessert oder eher verschlechtert? Ist das Engagement im Hobby heute wertvoller geworden oder wertloser? Ist der geweitete Blick erfrischend oder führt er zu einem Gefühl der Einsamkeit? Wie geht man denn mit der neuen Generation von Rollenspiel-Latzhosen um, die jetzt 20 Jahre alt sind oder so und die KEINE AHNUNG haben, was damals abging?

Wie üblich gilt: auf Seite eins im Thread bitte noch irgendwie produktiv zum Thema äußern, ab Seite zwei dann wegen mir gerne FFA Threadpaintball und unkontrollierte Beitragsepilepsie.
« Letzte Änderung: 21.12.2020 | 09:56 von Megavolt »

Offline ghoul

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #1 am: 21.12.2020 | 11:21 »
Ich verstehe den Zusammenhang zwischen Titel (Frage nach Kanon) und Text (alles und nichts) nicht.
Tactician: 96%
PESA hilft!
PESA diskutiert.

Zensur nach Duden:
Zitat
von zuständiger, besonders staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle, Überprüfung von Briefen, Druckwerken, Filmen o. Ä., besonders auf politische, gesetzliche, sittliche oder religiöse Konformität.

Offline Megavolt

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #2 am: 21.12.2020 | 11:25 »
Der Titel soll andeuten, dass es früher mal eine Art Textkanon gab. :) Er ist vielleicht etwas unglücklich gewählt, zugestanden.

Offline Zeus

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #3 am: 21.12.2020 | 11:36 »
Der Faden könnte glatt von mir sein. Auch wenn man jetzt darüber streiten darf, ob früher wirklich alles "besser" war, gibts schon einige Veränderungen, die man als alter Hase mit etwas Abstand beobachten kann.

Grad die letzten Tage ging auf Twitter wieder so ein Faden rum, in dem man aufzählen sollte, welche Rollenspiele man denn dieses Jahr alles gespielt hat. Da zählt dann so mancher über ein Dutzend Titel auf. Gefühlt jeden Tag kommt ein neues GRW raus. Die Spielkultur entfernt sich immer mehr vom zeitfressenden Kampagnenspiel über Wochen, Monate oder Jahre hin zu One-Shots auf Cons, bei denen man dann mal in ein System für vier bis sechs Stunden reinschnuppert. Ist vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass viele heute keine Zeit mehr haben, noch einen regelmäßigen Termin in ihren Kalender zu quetschen. Mir gehts ja genauso.

Interessanterweise finde ich, dass sich der Markt der wirklich bekannten Platzhirsche dadurch gar nicht so sehr verändert hat. Wer vor der aktuellen Entwicklung schon ein solides Standing in der Szene hatte, der profitiert davon heute noch, während es viele kleine (auch tolle!) Systeme im Meer der Neuerscheinungen richtig schwer haben, die Aufmerksamkeit zu bekommen, die sie (möglicherweise) verdient hätten. Unterhalten kann man sich mit den meisten PnP'ler:innen auch heute noch über DnD (und dessen Ableger), in Deutschland vielleicht noch über DSA (und dessen Ableger), Cthulhu und Shadowrun. Alles, was danach kommt, ist schon stark abhängig vom speziellen Geschmack und Umfeld. Jeder hat heute *sein* Spiel - und ist ziemlich oft damit alleine. Obwohl es - das muss man auch sehen - dank des Internets und Discord/Roll20 heutzutage überhaupt mal eine Gelegenheit gibt, diese ganzen obskuren Anschaffungen an den (virtuellen) Tisch zu bringen, die man sich günstig bei DriveThru oder im HumbleBundle geschossen hat und von denen  - wenn wir mal ehrlich sind - jeder mehr auf der Festplatte hat, als er oder sie jemals in der Lage sein wird zu lesen.

tl;dr Es gibt heute unglaublich viel mehr Spiele als früher. Ob mehr aber auch in jedem Falle besser ist, sei dahingestellt.
"Das schmerzliche Geheimnis der Götter und der Könige: daß die Menschen frei sind ... " (Zeus in Sartres "Die Fliegen")

Offline Alexander Kalinowski

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #4 am: 21.12.2020 | 11:38 »
Aaaalso, früher war's in vielerlei Hinsicht (aber nicht in jeder!) besser. Für mich persönlich war zwischen ca. DSA1 bis ca DnD3 die goldene Ära... die Spiele/Spielwelten, die zu dieser Zeit entstanden sind, waren und sind noch immer prägend. Shadowrun, Vampire/Werewolf, Warhammer Fantasy, 40K, TMNT/RIFTS/Ninjas & Superspies, Dark Conspiracy, Paranoia, GURPS, L5R, Marvel Superheroes und, ja, auch DSA. Und viele mehr.

Heute gibt's immer noch einen Kanon, aber der reduziert sich dann auf die ganz großen Namen... D&D, Star Wars, DSA, ASOIAF, etc pp. Da weiß man ungefähr was man bekommt. Die Neugier, sich auf neue Welten einzulassen, ist mMn etwas zurückgegangen; die Spieler, die sich nicht durch den Wust an Veröffentlichungen wühlen wollen, ziehen sich ein wenig auf altbekanntes zurück. Und ich glaube, dass dies nicht wenige sind.

Die viele Shovelware heutzutage müsste kein Problem sein, eigentlich müssten digitale RPG-Magazine, die mir eine kompetente Vorauswahl von diversem Content auf DriveThru ermöglichen, in so einem Umfeld erblühen. Aber vielleicht gibt's auch zu sehr einen Wust an Blogs obendrauf.
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Offline Rhylthar

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #5 am: 21.12.2020 | 11:44 »
d20, DnD-Gate.

Ein System, verschiedenste Ausprägungen, Diskussionen noch und nöcher. Manchmal hart, aber ganz viel Infos/Wissenswertes/etc.

War schön. :)
“Never allow someone to be your priority while allowing yourself to be their option.” - Mark Twain

"Naja, ich halte eher alle FATE-Befürworter für verkappte Chemtrailer, die aufgrund der Kiesowschen Regierung in den 80er/90er Jahren eine Rollenspielverschwörung an allen Ecken wittern und deswegen versuchen, möglichst viele noch rechtzeitig auf den rechten Weg zu bringen."

Für alle, die Probleme mit meinem Nickname haben, hier eine Kopiervorlage: Rhylthar.

Offline 1of3

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #6 am: 21.12.2020 | 12:12 »
Die Neugier, sich auf neue Welten einzulassen...

Ich glaube, das ist der größte Unterschied. Hintergrundwelten werden kaum noch neu gemacht und wenn dann sind sie eher dünn. Eher greift man auf Genrekenntnis des Publikums zurück. Mein bestes Beispiel wäre da Urban Shadows. Das Spiel schreibt nicht hin, was Werwölfe und Vampire können. Wenn du Vampir spielen willst, weißt du wahrscheinlich, wie ein Vampir so funktioniert. Das ist kein Vergleich zu Vampire: Maskerade.

Das ist wahrscheinlich ein Kulturwandel. Ich mein, ich benutze die Only Fantasy Worldmap You'll Ever Need ja auch tatsächlich am Spieltisch.


Offline Rorschachhamster

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #7 am: 21.12.2020 | 12:15 »
Also, aus reiner Rollenspielsicht und Zugriff darauf... war Dorf in Norddeutschland in den 80ern nicht gerade das Nirvana...  :P

Dagegen heutzutage das Medium hier, in dem wir gerade herumtippen, Blogosphäre, Informationen teilen, Offfene Lizenzen, DIY kommt auch an (selbst weirder Nischenschiet findet irgendwo Gleichgesinnte), Onlinezocken (man stelle sich Lockdown in den 80ern oder frühen 90ern vor - ohne Internet!)...

Auf der anderen Seite spiele ich jetzt wieder in einer abgewandelten Form den gleichen Scheiß wie früher, und das hat ja auch seine Gründe... Überflüssige Setting-mit-System-Verschwurbelung, Regelmonster, Sehr große Einsteigerhürden, Charakterbau anstatt Charakterspielen, Indiefreeformquatsch (persönliche Präferenz, zugegeben, eignet sich einfach nicht für's Kampagnenspiel), Kanon in Stein gesetzt, Balancing ...   

Ja, auch ein Schuß Nostalgie, aber wie immer, einiges so, anderes so... Meh! ¯\_(ツ)_/¯   
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DMG Pg. 81 " The mechanics of combat or the details of the injury caused by some horrible weapon are not the key to heroic fantasy and adventure games. It is the character, how he or she becomes involved in the combat, how he or she somehow escapes — or fails to escape — the mortal threat which is important to the enjoyment and longevity of the game."

Offline nobody@home

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #8 am: 21.12.2020 | 12:18 »
Kanon? Könnte ich nicht sagen -- es gab auch früher schon, spätestens in den Mitt- bis allmählich späteren Achtzigern, als ich so meine ersten "richtigen" Nerd-Spieleläden entdeckt habe, eine Menge Systeme. An viele davon erinnert sich nur heute kaum noch jemand, weswegen durch die rosarote Brille betrachtet dann natürlich der Eindruck entstehen mag, früher wären alles nur "Klassiker" gewesen... ::)

Damals gab's natürlich auch noch kein großes Internet für Jedermann, auch wenn der eine oder andere schon mal per Akustikkoppler "online" auf Serversuche gegangen sein mag. Entsprechend hielten sich denn auch die Diskussionen außerhalb des persönlichen Bekanntenkreises und vielleicht in der einen oder anderen Hobbyzeitschrift ziemlich in Grenzen -- man hatte halt sich, seine Regeln, und mit etwas Glück ein paar Mitspieler, und das war's.

Offline Zed

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #9 am: 21.12.2020 | 12:25 »
Formuliere ich Deine Frage folgendermaßen richtig für mich um?

Sollte bei jungen Rollenspielinteressierten die Geschichte des Rollenspiels und insbesondere ihrer Meilensteine eine ... Rolle spielen?  :)

Meine kurze Antwort: "Sollte" - keinesfalls. "Könnte" - na klar.

Ich wundere mich nicht selten, dass so viele neu erschienene Rollenspiele immer noch einen Passus haben "Wie geht Rollenspiel?" inklusive der obligaten protokollierten "Szene vom Spieltisch". Aber daraus lässt sich ableiten, dass diese Systeme ganz von vorne beginnen und jeden mitnehmen möchten, auch die Neueinsteigenden. Die Spielgruppen-Zahlen scheinen ja unter anderem dank der 5e zu steigen. Das 5e-Material ist an sich breit aufgestellt, insbesondere, wenn man das Third-Party-Material hinzunimmt. Man kann also tief in ein aktuelles System hineinwachsen und viel Zeit in ihm und seinen Publikationen verbringen.

Das war schon immer so. Die Publikationsflut der 3e beispielsweise war für mich zu groß. Ich bin gottseidank nie zum Sammler geworden. Core Rules (+ Psionics) only - das hat mir den Kopf freigehalten.

Daraus folgen zwei Dinge:

1. Ganz in der Materie aufzugehen ist schon mit nur einer Edition schwierig. Je mehr Editionen es gibt, in die man sich hineinlesen könnte, desto mehr wird das zu einer Sache der Unmöglichkeit. Aber darum fragst Du ja nach einer Auswahl, einem Kanon, den ich hier in "Meilensteine" umgetauft habe.

2. Ich sehe die neuen Editionen im Ganzen als Progression. In die Zeiten von AD&D möchte ich nicht mehr zurück. Ihre DNA ist tief genug in aktuellen Systemen verwurzelt, und eine Person, die direkt mit 5e einsteigt, braucht nach meiner Meinung gar nichts von der 1st Edition, der 3e oder der 4e zu wissen. Es bereichert den Interessierten nicht in demselben Maße, das er für ihre Aneignung aufwenden muss.

Um meine klare Meinung etwas einzuschränken: Ja, ich denke, es ist sinnvoll zu wissen, dass es klassenbasierte, fertigkeitenbasierte und "freiere" Rollenspiele gibt, alleine, um die Chance zu haben, das zu den eigenen Vorlieben kompatibelste System kennen zu lernen. Dazu braucht es aber nicht die Kenntnisse der Meilensteine.

Diesem oberflächlichen Wissen von verschiedenen Rollenspielsystemfamilien entkommt sowieso niemand, wenn eine Person sich weitergehend mit ihrem System beschäftigt. Von meinen 4 Spielern haben vielleicht 2  e t w a s  mehr Interesse über die eigenen Regeln hinaus, und die wissen um die Existenz von DSA, D100 und Fate, aber auch nicht mehr. Die anderen beiden haben genügend Struggle mit ihren 3.5e-Zauberlisten, die beschäftigen sich nicht weiter mit den Meilensteinen des Hobbies, und sind trotzdem tolle Spielerin und Spieler.
« Letzte Änderung: 21.12.2020 | 14:20 von Zed »

Tegres

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #10 am: 21.12.2020 | 12:48 »
Als jemand, der im Vergleich zu den meisten hier im Forum sehr neu dabei ist (so richtig erst seit 2017, ich bin also völlig unbefleckt, was die Hochzeiten von DSA, 3.X, Shadowrun, Vampire und Konsorten anbetrifft), kann ich sagen: Für mich lohnt es sich mit dem "alten Scheiß" zu beschäftigen. Ich stelle immer wieder fest, dass es zu Urzeiten des Rollenspiels für mich genauso ansprechende Produkte gibt, wie heutzutage. Die Entwicklung des Rollenspiels scheint mir nur in Teilen eine Verbesserung, sondern vielmehr eine Auffächerung.
Mein Fokus liegt mehr auf der Beschäftigung mit alten Abenteuern als mit Systemen. Bei Abenteuern kann ich konkret sagen, dass sich die Präsentationsformen verbessert haben, Mainstream-Abenteuer in der Regel aber immer noch völlig unzureichend für den Spieltisch aufbereitet sind. Eine Progression fand also statt, aber die macht sich nicht bei den Großen bemerkbar, sondern eher bei den Kleinen.

Offline Azaghal

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #11 am: 21.12.2020 | 12:58 »
Hallo allerseits,
betreibe schon seit einiger Zeit Forumlurking und fühle mich als (RL- und Hobby-) alter Knacker bemüßigt, endlich auch mal meinen Senf dazu zu geben.
Zwei Aspekte:
- Damals war definitiv nicht alles Gold. Als ich Mitte der 80er mit BECMI-D&D ins Hobby einstieg, gab es parallel natürlich auch frühe DSA und AD&D (müsste 1e gewesen sein)-Runden. Aber das waren Spalter! Mit denen hat man nicht geredet, allenfalls die Nase gerümpft. Wenn heute für die meisten Spieler viele Väter schöne Töchter haben und (wie hier) systemübergreifend diskutiert und meientwegen auch gestritten wird, ist das für mich ganz klar ein Fortschritt.
- Die Eröffnungsbeitrag beschriebenen Entwicklungen beobachte ich auch an mir selbst. Inzwischen sammle ich mehr, als dass ich wirklich spiele. Aber gerade das eröffnet mir die Möglichkeit, aus der Masse der Publikationen auszusuchen, was ich sammeln möchte oder für sammelnswert halte. Eine Wertung im Sinne von früher=besser oder heute=schlechter würde ich damit gerade vor dem Hintergrund, dass es Foren wie diese gibt, wo intensiv, kreativ und häufig auf hohem Niveau diskutiert wird, nicht verbinden wollen.
Gruß
Azaghal
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Offline JS

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #12 am: 21.12.2020 | 13:23 »
Eine spannende Diskussion und in interessanter Beitrag von Azaghal.

Die Beobachtung machte ich damals auch mit dem "Schmuddelkonkurrenten" Midgard. Wir DSAler schätzten zwar dessen Spieler als Hobbykumpels, aber sprachen selten mit ihnen über Rollenspiel, obwohl es Ende 80er  / Anfang 90er noch keine so breite Palette gab. Midgard war für uns irgendwie so ein unbekanntes Anderszeug, und Mers eine seltsame Nische für seltsame Nischisten.

Ab Mitte der 90er bis Ende d20-Boom schnatterten wir uns aber die Münder in der Szene wund, obwohl es da schon sehr viel Angebot auf dem Markt gab, dem man sich eifrig zuwandte.

Heute entdecke ich in Läden i.d.R. ziemliche spezielle Nischenkenntnisse. Früher kam man schnell mal am Regal ins Gespräch, aber heute ging es zumindest mir des öfteren so, daß man zwar nett schnackte, aber von den speziellen Systemen des Gegenübers null Ahnung hatte. Ich möchte aber nicht ausschließen, immer zufälligerweise dann am Regal gewesen zu sein, wenn die Nischenfraktion gerade etwas suchte.

Aber dafür gibt es heute wiederum so viel Austausch über Foren, Discord, YouTube & Co, daß ich die modernen Zeiten deutlich besser finde und mir ein Kanon ziemlich egal ist.
« Letzte Änderung: 21.12.2020 | 14:20 von JS »
Wer gern sagt, was er denkt, sollte vorher etwas gedacht haben.

Offline First Orko

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #13 am: 21.12.2020 | 14:10 »
Ich habe früher immer über die komischen Ur-Rollenspieler die Nase gerümpft, mit ihrem lächerlichen antiquierten Scheiß, den keiner kennt. Ich erkenne frappant, dass hier mittlerweile ein neuer Umschlag in den Erfahrungswelten stattgefunden hat, vielleicht besser gesagt: ein Abriss in der Kontinuität.

Vielleicht...gaaaanz vielleicht ist es ja auch so, dass den meisten u30er-Rollenspielern die Meinung von ein paar alten Säcken in so antiquierten Austauschplattformen herzlich egal sind und die einfach ihr Ding machen, sich heraussuchen, worauf sie Bock haben und einfach loslegen. Über Facebook, Instagramm, Discord, Twitter-Kontakte. Über Freunde und Bekannte. Über Vereine vielleicht auch?
Und die spielen dann so ein halbgare Systeme von irgendwelchen Youtube-Rocketbeanstars. Und vielleicht macht ihnen das Spass.. oder nicht so. Und ein paar gucken, was es sonst noch gibt. Probieren aus. Reden und schreiben darüber, filmen sich, schreiben selbst. Machen Fehler, die wir gemacht haben - einige nicht, andere nochmal und noch ganz neue, die es früher nie gab!

Und vieleicht...gaaanz vielleicht ist ja auch manchmal so, dass einem der verklärte Blick auf den eigenen Werdegang oftmals als die beste Variante erscheint, euch wenn es neutral gesehen einfach.. immer weiter geht?  ^-^

Ehrlich: Wenn es damals nichts Anderes als DSA, Vampire, D&D und Shadowrun gegeben hätte... dann würde ich heute nicht mehr spielen. Die Vielfalt, die ich über Messen, andere Spieler, Foren usw. entdeckt habe und heute noch auskoste, möchte ich nicht missen.
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Der Titel soll andeuten, dass es früher mal eine Art Textkanon gab. :) Er ist vielleicht etwas unglücklich gewählt, zugestanden.

DAS wäre erstmal zu beweisen! Als ob DSA Spieler alle Shadowrun kannten (Heck - ICH habe es bis heute nie gespielt!) Oder Vampire-Leute Midgard. Oder DnD-Spieler DSA. Von grundsätzlicher, übergreifender Kenntnis eines Kanons mal ganz zu schweigen.
« Letzte Änderung: 21.12.2020 | 14:17 von First Orko »
It's repetitive.
And redundant.

Discord: maniacator#1270

Dir ist schon klar, dass es in diesem Forum darum geht mit anderen Leuten, die nix besseres mit ihrem Leben zu tun haben, um einen Tisch zu sitzen und sich vorzustellen, dass wir Elfen wären.

Offline Zed

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #14 am: 21.12.2020 | 14:16 »
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« Letzte Änderung: 21.12.2020 | 14:18 von Zed »

Offline flaschengeist

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #15 am: 21.12.2020 | 14:17 »
Vielleicht...gaaaanz vielleicht ist es ja auch so, dass den meisten u30er-Rollenspielern die Meinung von ein paar alten Säcken in so antiquierten Austauschplattformen herzlich egal sind und die einfach ihr Ding machen, sich heraussuchen, worauf sie Bock haben und einfach loslegen. Über Facebook, Instagramm, Discord, Twitter-Kontakte. Über Freunde und Bekannte. Über Vereine vielleicht auch?
Und die spielen dann so ein halbgare Systeme von irgendwelchen Youtube-Rocketbeanstars. Und vielleicht macht ihnen das Spass.. oder nicht so. Und ein paar gucken, was es sonst noch gibt. Probieren aus. Reden und schreiben darüber, filmen sich, schreiben selbst. Machen Fehler, die wir gemacht haben - einige nicht, andere nochmal und noch ganz neue, die es früher nie gab!

Und vieleicht...gaaanz vielleicht ist ja auch manchmal so, dass einem der verklärte Blick auf den eigenen Werdegang oftmals als die beste Variante erscheint, euch wenn es neutral gesehen einfach.. immer weiter geht?  ^-^

Ehrlich: Wenn es damals nichts Anderes als DSA, Vampire, D&D und Shadowrun gegeben hätte... dann würde ich heute nicht mehr spielen. Die Vielfalt, die ich über Messen, andere Spieler, Foren usw. entdeckt habe und heute noch auskoste, möchte ich nicht missen.
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Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern dann, wenn man nichts mehr weglassen kann (frei nach Antoine de Saint-Exupéry). Ein Satz, der auch für Rollenspielentwickler hilfreich ist :).
Hier findet ihr mein mittelgewichtiges Rollenspiel-Baby, das nach dieser Philosophie entstanden ist, zum kostenfreien Download: https://duodecem.de/

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #16 am: 21.12.2020 | 14:27 »
Ich war so frei deine Fragen zu numerieren, um sie nicht "auseinader" zu zitieren.

1) Äußert euch mal dazu. Ist die Lage heute besser als früher?

3) Hat sich die Kommunikation über Rollenspiele durch die Explosion der Produkte und der Linien eher verbessert oder eher verschlechtert?

5) Ist der geweitete Blick erfrischend oder führt er zu einem Gefühl der Einsamkeit?

6) Wie geht man denn mit der neuen Generation von Rollenspiel-Latzhosen um, die jetzt 20 Jahre alt sind oder so und die KEINE AHNUNG haben, was damals abging?

Ad 1) Mein persönlicher zeitlicher Horizont ist zu begrenzt für eine Biographische Antwort. Aus dem Gespräch mit Zeitzeugen und der "akademischen" Auseinandersetzung habe ich den Eindruck gewonnen, dass die wilde Kreativität der Gründerjahre weniger stark zu sein scheint. Mir fehlen jene Leute, über die Dr. Thompson sagen würde: "There he goes. One of God's own prototypes. A high-powered mutant of some kind never even considered for mass production. Too weird to live, and too rare to die." Ist natürlich eine Geschmacksfrage, aber ich würde lieber bei Gene Weigel als bei Matt Mercer mitspielen.

Ad 3) Die Kommunikation zu Rollenspielen scheint mir zumindest Tiefe eingebüßt, aber an Breite gewonnen zu haben.

Ad 5) Hier teile ich die Annahme nicht, dass der Blick sich geweitet hätte. Im Gegenteil sehe ich vielerorts eine Verengung dessen, was gespielt wird und inwieweit diese Spiele Einfluß auf die Rollozock-Praxis nehmen.

Ad 6) Mein Umgang besteht darin, alle, die wollen z.B. zu den Wilden Gestaden einzuladen. Die historische Einordnung finde ich persönlich spannend, aber die Spielpraxis "von früher" bleibt ja weiterhin hochaktuell.

Offline Jiba

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #17 am: 21.12.2020 | 14:29 »
@Orko

Engel – ein neues Kapitel enthüllt sich.

“Es ist wichtig zu beachten, dass es viele verschiedene Arten von Rollenspielern gibt, die unterschiedliche Vorlieben und Perspektiven haben. Es ist wichtig, dass alle Spieler respektvoll miteinander umgehen und dass keine Gruppe von Spielern das Recht hat, andere auszuschließen oder ihnen vorzuschreiben, wie sie spielen sollen.“ – Hofrat Settembrini

Offline JS

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #18 am: 21.12.2020 | 14:44 »
Scheiß auf Kanon. Scheiß auf die Meinungen von uns Alten Säcken.

Hm, naja, die Meinung einiger alter Säcke in meinem Umfeld hat in den letzten zwei Jahren mehr als zehn neue Spieler u30 ins Hobby gebracht. So ganz flöte ich also nicht darauf, aber ich finde sie nicht per se wertvoller als die Meinung der Noobs, Nischies und u30-Motivierten. Alles hat und findet seinen Platz beim Rollern.
Wer gern sagt, was er denkt, sollte vorher etwas gedacht haben.

Offline takti der blonde?

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #19 am: 21.12.2020 | 14:48 »
Und vieleicht...gaaanz vielleicht ist ja auch manchmal so, dass einem der verklärte Blick auf den eigenen Werdegang oftmals als die beste Variante erscheint, euch wenn es neutral gesehen einfach.. immer weiter geht?  ^-^

So wie ganz objektiv Justin Bieber besser als Beethoven ist, weil es ja immer weiter geht? ;)

Offline Isegrim

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #20 am: 21.12.2020 | 15:03 »
Ist die Lage heute besser als früher? War das früher eine heile Welt oder war sie beklemmend? Hat sich die Kommunikation über Rollenspiele durch die Explosion der Produkte und der Linien eher verbessert oder eher verschlechtert? Ist das Engagement im Hobby heute wertvoller geworden oder wertloser? Ist der geweitete Blick erfrischend oder führt er zu einem Gefühl der Einsamkeit? Wie geht man denn mit der neuen Generation von Rollenspiel-Latzhosen um, die jetzt 20 Jahre alt sind oder so und die KEINE AHNUNG haben, was damals abging?

Was die Kommunikation über alles seit dem damals der 80er/90er und dem heutigen Ist-Zustand dramatisch verändert hat, ist va eines: Das Internet. Das hat Kommunikationskanäle geschaffen, die es so "damals" schlicht nicht gab. Und ich wage die Behauptung, das ist auch ursächlich für viele Veränderungen, die das rollenspielerische Damals vom Heute unterscheiden.

Für mich bewerte ich es insgesamt als positiv. Pro: Ich hab neue Ideen, Konzepte und Mitspieler kennen gelernt. Und "Internet-Foren" als neues Hobby. Contra: Man vergängelt verdammt viel Zeit... ;)

EDIT
Eher greift man auf Genrekenntnis des Publikums zurück. Mein bestes Beispiel wäre da Urban Shadows. Das Spiel schreibt nicht hin, was Werwölfe und Vampire können. Wenn du Vampir spielen willst, weißt du wahrscheinlich, wie ein Vampir so funktioniert. Das ist kein Vergleich zu Vampire: Maskerade.

Das ist wahrscheinlich ein Kulturwandel.

Hmmm, wenn das wirklich ein allgemeiner Trend oder Kulturwandel wäre, müsste ich das meinen Contras hinzuzählen. Ich denk allerdings eher, dass es für die, die ausgestaltete Welten wollen, genug vorhandene gibt, sei es alte, inzwischen "gereifte" Rollenspielwelten, oder neue aus anderen Medien (GoT bspw). Der von dir angesprochene Trend der, ich nenn es mal, "klischee-getriebenen Welten" ist sicher vorhanden, aber ist das over all wirklich mehr als nur eine Nische? Kann ich schwer einschätzen.
« Letzte Änderung: 21.12.2020 | 15:14 von Isegrim »
"Klug hat der Mann gehandelt, der die Menschen lehrte, den Worten auch der Anderen Gehör zu schenken."  Euripides

Offline 1of3

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #21 am: 21.12.2020 | 15:25 »
Der von dir angesprochene Trend der, ich nenn es mal, "klischee-getriebenen Welten" ist sicher vorhanden, aber ist das over all wirklich mehr als nur eine Nische? Kann ich schwer einschätzen.

Ich lass mich total gern vom Gegenteil überzeugen. Als hier im Forum das letzte mal ein Rollenspiel mit eigener Spielwelt vorgestellt wurde (überwuchterte Dschungelwelt und du fährst da mit "Schiffen" durchs Gehölz, Name: Wild Sea), hieß es gleich: "Warum machen die das denn nicht mit System X?"

Offline Der Läuterer

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #22 am: 21.12.2020 | 15:33 »
Im Vergleich dazu die heutige Zeit: Unendlich viele Rollenspiele, von denen nur die wenigsten ein gewisses Standing haben, von denen viele nicht gekauft, und wenn doch gekauft, dann nicht gespielt werden. Von denen die meisten sehr schnell nur noch ein Dasein als PDF-Gespenster fristen.
Die Schwemme an immer neuen GRWen, zu immer neuen Settings, kann m.M.n. langfristig die eigene Kreativität hemmen.

Vieles, von dem was auf den Markt kommt, ist oft nur Blendwerk. Hochglanz, vielfarbig, ansprechend aufgemacht, mit vielen stimmungsvollen Bildern...

Und alles möglichst fett ausgewalzt. Auf 500+ Seiten für ein Regelwerk, in dem vielleicht noch nicht einmal wirklich etwas Neues drinsteht.

So etwas haben die Verlage in den 80ern zum Teil auf 100 Seiten hinbekommen und dann war da noch das Magie und Monster Kapitel mit drin.

Das war nicht besser, aber simpler, einfacher und leichter handhabbar.

Damals gab es, genau wie heutzutage auch, gute wie schwache Produkte.

Ich glaube aber, dass es in der Anfangszeit viel mehr um den Inhalt und weniger um die Aufmachung ging als heutzutage.


Ist die Lage heute besser als früher? War das früher eine heile Welt oder war sie beklemmend?
Ohne verklärend oder verdammend zu sein, war es schlicht einfach nur anders.

Im Prinzip haben wir damals gespielt, was einer von uns an den Tisch gebracht hat, ohne zu wissen, dass es hinter dem Horizont noch etwas anderes gibt.

Wollte ich früher ein Computer Spiel oder einen Film nachspielen, dann habe ich mir die relevanten Werte herausgesucht, auf ein mir bekanntes RPG System übertragen und dann haben wir losgelegt.
Wir haben Mitte der 80er schon Alien(s) gespielt, da war das erste (alte) Regelwerk noch nicht auf dem Markt.

Heutzutage erschlägt mich die Flut an Produkten schier und den Horizont sehe ich aufgrund von Neuerschwinungen, Adaptionen, Werbungen, Crowdfundings und Empfehlungen schon lange nicht mehr.

Habe ich früher mit den langjährigen Mitspielern über Alternativen diskutiert, frage ich heutzutage auch das anonyme Netz und lasse mich direkt oder indirekt von Leuten beeinflussen, mit denen ich vielleicht nichts teile, ausser dass man den Avatars des anderen erkennt.
Und ich laufe dadurch womöglich Gefahr, dass mir etwas empfohlen wird, weil der andere dadurch einen Gewinn erzielen kann.

Weshalb ich auch (zumeist) bei mir Bekanntem bleibe.

Hat sich die Kommunikation über Rollenspiele durch die Explosion der Produkte und der Linien eher verbessert oder eher verschlechtert?
In jedem Fall lebten wir, im Gegensatz zu heute, damals aber sowas von hinter dem Mond. Was, in Bezug auf unsere Phantasie und Kreativität, aber, im Nachhinein betrachtet, eher positiv war.

Der Markt ist breiter und gleichzeitig auch tiefer geworden. Und wenn den etablierten Verlagen nichts mehr einfällt, dann bringen sie ihre xte Auflage heraus - überarbeitet, verbessert, neu - natürlich dann auch mit alten Szenarien im neuen Gewand.

Und wenn aus alt macht neu weniger kostet, weshalb dann Risiken eingehen, wenns auch so geht.
So ein Verlag will ja schliesslich auch leben.
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Offline Der Läuterer

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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #23 am: 21.12.2020 | 15:33 »
Ist das Engagement im Hobby heute wertvoller geworden oder wertloser?
Es ist definitiv nicht die Zeit, die man hat, die weniger geworden ist. Jeder Mensch hat bekanntlich 24/7 zur Verfügung.

Als Schüler oder Student hat man andere Prioritäten als ein Vater, Ehemann und Chef einer Firma. Denn damals ging es ja nur um einen gelungenen Samstag.

In vielerlei Hinsicht hat sich die Gewichtung bei mir verschoben und andere Dinge sind in den Vordergrund getreten.

Ich spiele gezielter als damals. Und ich teile mir meine vorhandene Zeit anders ein.


Ist der geweitete Blick erfrischend oder führt er zu einem Gefühl der Einsamkeit?
Gute Frage.
Ich glaube, es macht vielleicht wirklich einsamer, weil sich die Gemeinschaft mehr und mehr aufzusplittern scheint und immer mehr Nischen entstehen.

Überlegt bitte einmal, was für ein Hype heutzutage losbricht, wenn ein neues RPG angekündigt wird, das zu einem bekannten Roman, Film, Spiel oder zu einer Serie herauskommen soll.

Niemand kennt es bislang. Niemand weiss etwas genaues, oder ob es überhaupt etwas taugt. Aber 'alle' sind griepig und wollen es unbedingt haben, weil es so toll aussieht und noch toller beworben wird. Und am liebsten will man es dann doch bitte schon gestern haben.

Man hat sich früher auch nicht so leicht in der Materie verlaufen. Es gab eine überschaubare Anzahl von Möglichkeiten. Zu jedem Genre nur wenige Settings. Heutzutage gibt es hunderte verschiedener Regelwerke. Das kann überfordern.


Wie geht man denn mit der neuen Generation von Rollenspiel-Latzhosen um, die jetzt 20 Jahre alt sind oder so und die KEINE AHNUNG haben, was damals abging?
Das müssen sie auch gar nicht.
Sollen sie doch ihre eigenen Erfahrungen sammeln

Ich begleite sie dabei so gut ich kann und sehe zu, dass die positiven Eindrücke überwiegen.

Dann teile ich mit der neuen Generation unser beider neuen Erfahrungen. Und irgendwann werden diese neuen Erfahrungen die alten Erfahrungen der neuen Generation sein. Und so weiter und so weiter.
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Re: Der rollenspielkulturelle KANON
« Antwort #24 am: 21.12.2020 | 15:36 »
Ich glaube, um zu spielen braucht es keinen Kanon, da reicht die Frage "habt Ihr Spaß? Ja? Gut."

Um über das eigene Spiel zu sprechen braucht es an sich auch noch keinen Kanon. Wenn man die vorherige Frage aber mit einem "schon, aber da müsste doch mehr drin sein" beantwortet, dann kann es helfen, mehr gelesen oder sonstwie gelernt zu haben. Nur damit man ein Vokabular und Denkanstöße hat, um das eigene Spielverhalten und die eigenen Vorlieben besser in Worte fassen zu können.

Wer darüber hinaus Dinge tun will, braucht irgendwann aber auf jeden Fall Bezugsmaterial. Dieses Material braucht es IMHO um sich irgendwie fruchtbar mit anderen auszutauschen, Spiele selbst zu gestalten ohne einfach nur das Rad neu zu erfinden, eine Rollo-Schule zu eröffnen, oder um zu theoretisieren.

Dieses Bezugsmaterial kann man glaube ich in einige Kategorien einordnen, was da genau hineingehört weiß ich gerade nicht auf die Schnelle:
  • ein paar grundlegend verschiedene Spielsysteme. Also ein Mix aus "hat Prozentwürfel", "hat verteilte Erzählrechte", generisch vs auf ein Setting zugeschnitten, und so weiter
  • Sekundärliteratur, die einem die Leute um das Hobby nahebringt. Also so Sachen wie Designers&Dragons, oder verschiedene Presseartikel mit Portraits
  • Literatur zum bespielten Genre. Also wahrscheinlich diverses aus Fantasy & Science Fiction, um die Klischees und Genrekonventionen zu lernen
  • ein paar Stunden auf TV Tropes rumsurfen, um zu sehen, wie breit Klischees verstanden werden, und wie man sie wiedererkennt.

Wer des fröhlichen Orks holistische Rollo-Lehre folgen will, braucht bis zum einschließlich 5. Grad allerdings wirklich gar kein Fremdmaterial außer den tatsächlich bespielten Spielen gelesen zu haben.
Fürs Protokoll: Ich bitte hiermit ausdrücklich darum, mich in der Zukunft auf schlechte oder gar aggressive Rhetorik meinerseits hinzuweisen. Sollte ich das dann wider Erwarten als persönlichen Angriff werten, bitte auf diesen Beitrag hier verweisen und mir meine eigenen Worte um die Ohren hauen! :)