Die Sache ist deutlich komplexer als das. Demokratie als das Abhalten von Wahlen und das Wählen von Autoritätspersonen ist keine quasi-moderne Vorstellung und die Übertragung von repräsentativer Gewalt an, Zitat Samwell, "everyone" – die existiert seit unserer Antike (zugegebenermaßen ist die Definition von "everyone" dann das, worauf es ankäme. Das hat auch mit einer "Sagenwelt" nichts zu tun, in mittelalterlichen Sagen gibt es auch selten Kriegsmaschinen oder wilde, mongolische Reitervölker oder proto-kapitalistische Bankhäuser. Ist nicht vielmehr der Gedanke, das Mittelalter habe mit Demokratie (
entgegen einer nuancierteren Betrachtung) gar nichts am Hut gehabt, nicht mindestens genauso eine moderne Vorstellung, geprägt durch die Darstellung dieser Epoche in der Popkultur.
Samwell Tully ist ein Maester. Zugegeben, kein wirklich Guter oder meisterlich informierter, aber zumindest einigermaßen belesen. Es wird auch auf einer Welt wie Westeros Konzepte der Volksherrschaft gegeben haben, zumal im Gegensatz zum europäischen Mittelalter die Glaubensvorstellung nicht auf einem einzelnen Gottpatriarchen fußt, sondern auf einer Vielzahl an Gottheiten, die sich auch irgendwie zu einigen haben (und das bildet eine Parallele zur antiken Glaubenswelt, in der demokratische Konzepte verbreiteter waren).
Ich bin sogar der Ansicht, GoT ist mit seiner halbgaren Aristokratie, die letztlich dabei rauskam, nicht weit genug gegangen. Die ganze Geschichte war letztlich ziemlich zwecklos.
(Ich steige aber zugegebenermaßen auch nicht dahinter, warum das Gros an Rezipienten in Fantasy-Stoffen, die große, gesellschaftliche Umbrüche thematisieren und dadurch zumindest ein Fenster für eine repräsentative Volksvertretung öffnen, doch lieber darüber spricht, wer nun der beste König wäre und die autoritäre Herrschaftsform sogar als vollkommen natürlich erachtet, so als müsse es so sein – und das dann im Fall von "Game of Thrones" sogar bei einer Serie in der sich 60% der On-Screen-Herrscher als Tyrannen und 40% als leicht manipulierbare Einfaltspinsel erwiesen haben. Da wird Daenerys oder Cercei dann nicht vorgeworfen, dass die beiden über Leichen gehen, sondern dass sie taktische Fehler machen.
Beim "Herrn der Ringe" kann ich Aragorn als gerechten, weisen König akzeptieren, weil die Story ins Mythische und eben Sagenhafte ausgreift. "Game of Thrones" ist quasi eine Dekonstruktion dieser Motive, nach dem Motto: "Fragt euch: Was wäre wenn euer mythischer Fantasyretter kein volksnaher Waldläufer-Heroe ist, sondern eine verblendete Idealistin mit Misogynie-Erfahrungen und geflügelten Massenvernichtungswaffen? Und das ist noch die Fairste in dem Haufen!" Und vor der Konsequenz dieser Dekonstruktion macht "GoT" dann am Ende eben einen Rückzieher.