In der Tat ist es beim Design eines solch simulationistischen System wichtig zunächst ein ausgiebiges Studium statistischer Quellen vor zu nehmen; um dann entsprechende beschreibende Spielnechanismen zu entwickeln
Das ganze Unterfangen ist als Gedankeninstrument interessant, wird aber seiner eigenen Prämisse letztendlich nie gerecht werden können und in diesem Versuch scheitern. Trotzdem kann es unterhalten, bei jeder Probe eine Hand voll bunter Würfel in die Hand zu nehmen und auf irrwitzige Tabellen zu würfeln, die zu allem Überfluss auch nicht situationsbedingt ausgewählt werden müssen. Die Annahme, die Realität bzw. Erfolgswahrscheinlichkeiten der Realität, lasse/ließen sich durch
Rafinesse [sic!] wenigstens näherungsweise durch Würfelwürfe, Mathematik und Tabellen plausibel abbilden, beinhaltet den Grundirrtum, welcher das gesamte System ins Absurde führt. Ich wage nicht zu verkennen, dass gerade in dieser Absurdität ein Witz gefunden werden kann, der unterhält. Aber ein Aufruf zur Ehrlichkeit sei angezeigt und es sollte dringend davon Abstand genommen werde, das was der Autor heier betreibt als wissenschaftlich unterfüttert zu bezeichnen. Wissenschaftlichkeit lässt sich auch nicht dadurch erzeugen, wild irgendwelche Fachbegriffe zu okkupieren (Somatyp, etc.), das ganze wirkt dann einfach nur lächerlich.
Es wird mir vor allen Dingen nicht klar, was der Autor eigentlich erreichen bzw. abbilden möchte. Geht es darum, die Realität so genau wie möglich, wenigstens näherungsweise zu simulieren? Und wenn ja, zu welchem Zweck soll das überhaupt geschehen? Geht es darum, mehr Spaß am Spieltisch zu erzeugen? Oder geht es darum, dem SL ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, um seine
Autorität zu unterfüttern, deren anderweitige Vermittlung ihm nicht gelingt? Frei nach dem Motto:
Schau! Wir haben es simuliert, so ist es jetzt, Du fällst in den Abgrund... mit Echo eines Schreis! Widerworte und Einwände sind zwecklos, denn wir haben ja auf die heiligen Tabellen gewürfelt!In seinen Beschreibungen führt der Autor seltsame dem Spiel eigene Begrifflichkeiten ein, die weder aus sich selbst heraus verständlich, noch erklärt werden z.B.:
Fehlleistungsquote, Kompetenz, natürliche Begabung, etc. Was soll das?
Blunder/Fumble/Patzer/usw. gibt es in fast jedem Rollenspiel, nur nicht als Verhältnis (sprich: einem erfahren Arzt (Koryphäe) unterläuft wesentlich seltener ein Kunstfehler, als einem Anfänger bei selbigem Eingriff. [...] [und] Ich vereine alle Parameter(Begabung, Erfahrung, Schwierigkeitsgrad und Kunstfehlerrisiko) in einem einzigen Wurf und bekomme ein differenziertes Ergebnis.
Ufff... hier muss ich dann doch mal einhaken, denn das ist Unfug und zeigt die Untauglichkeit der Grundannahmen des Autors auf. Mit Kunstfehlern beschäftige ich mich irl beruflich jeden Tag und das fast ausschließlich: ich bin Fachanwalt für Medizinrecht, Schwerpunkt Arzthaftungsrecht. Ich habe dazu zwar keine Statistiken zur Hand, aber jedenfalls aus
meiner beruflichen Erfahrung lässt sich die Annahme, einer Koryphäe unterliefen weniger Kunstfehler als einem Berufsanfänger (i.e. ein Weiterbildungsassistent / Arzt in Weiterbildung) keinesfalls bestätigen.
Tatsächlich lässt sich am Ende vor Gericht
fast nie mit wissenschaftlicher Sicherheit aufklären, warum eine Behandlung einen schlimmen Verlauf genommen hat oder erfolglos geblieben ist. Die klassischen und in den Medien verbreiteten Fälle des verkehrten Beines, das amputiert worden ist oder der Tupfer, der in der Bauchhöhle verlorengegangen ist, sind selten. Und auf die hier im Rollenspiel zu betrachtende Ebene bezogen, lässt sich im Nachhinein auch nicht mehr aufklären,
warum genau der Tupfer in der Bauchhöhle verblieben oder das falsche Bein amputiert worden ist. Tatsächlich ist es aber praktisch nie mangelnde Erfahrung oder Begabung. Fast immer sind es aber Nachlässigkeit, Fahrigkeit und Unkonzentriertheit.
Haftungsauslösend ist sehr häufig das Verlassen bzw. die Nichtbeachtung des ärztlichen Standards. D.h. der Behandler macht etwas, was den Regeln der ärztlichen Kunst zu wider läuft. Aber Haftungsauslösend heißt nicht zwingend kausal! Hinter der Haftung steckt nämlich eine normative Wertung, welche ihren Ausdruck in der Verlagerung der Beweislast findet und schließlich in der Kausalitätsvermutung mündet: § 630h BGB. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das:
Machst Du etwas anders, als es im Lehrbuch steht und am Ende geht es dem Patienten schlecht, nehmen wir an/unterstellen wir, dass Du schuld bist!Zurück zu Berufsanfänger und der Koryphäe: Statistisch hat ein Berufsanfänger, der gerade von der Uni kommt und den ganzen Stoff in Vorbereitung auf das Examen noch auf dem Kasten hat, ein geringes Haftungsrisiko als die Koryphäe, die seit 20 Jahren seine Alma Mater nicht mehr gesehen hat. Es ließe sich daher sagen: statistisch betrachtet unterlaufen Berufsanfängern weniger Kunstfehlern als Koryphäen.
Damit also das ganze System, dass der Autor hier andeutet, funktiort, müsste sich axiomatisch beschreiben lassen, dass es a.) so etwas wie eine Erfolgswahrscheinlichkeit gibt und sich diese b.) durch Parameter (nennen wir sie
Begabung, Erfahrung, Schwierigkeitsgrad und Kunstfehlerrisiko) errechnen ließe. Wenn der Autor behauptet, er könne das "Kunstfehlerrisiko" auch nur näherungsweise wissenschaftlich fundiert für alle möglichen Lebensbereiche abschätzen, halte ich das nicht nur für kühn, sondern für komplett überhoben. Obschon ich mich damit tagtäglich beruflich befasse, würde ich es nicht wagen mir anzumaßen, auch nur für eine Facharztrichtung das Kunstfehlerrisiko plausibel einschätzen zu können...
Kurzum:
Würfelorgien und Tabellenkataloge sind witzig und können unterhalten. Aber nenn es nicht wissenschaftlich oder wissenschaftlich fundiert, denn das ist einfach nur lächerlich und wirkt anmaßend.
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Menschen machen auch auf hohem nominellen Niveau jede Menge auch scheinbar banale Fehler.
(Aus einer meiner Erinnerung nach britischen Militärstudie: nach 2h Wache wird ein Ausguck quasi selbst ein vor ihm auftauchendes Uboot erst erkennen, nachdem er beschossen wurde, Schon nach einer halben Stunde gingen die Werte rapide in den Keller)
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Ich kenne diese Studie nicht, halte das Ergebnis aber für absolut plausibel und es bestätigt die von mir aufgezeigten Befunde.
edit: typos