Clickbait much? Ich habe doch gar nichts gegen den Indie-Mainstream! Okay, und es sind zwei Seiten, aber die zweite enthält wirklich nur das Spielmaterial ...!Ties ist ein kleines Rollenspiel, das ich ganz explizit mit der These im Kopf entwickelt habe, die
diesen Thread hier bewegt:
Die meisten populären Indie-Rollenspiele simulieren "nur" ein anderes Medien-Genre oder sogar ein anderes Medium. Was können wir also als Spielentwickler tun, wenn wir uns von diesem Trend wegbewegen wollen? Ties ist in diesem Sinne nicht die megageile neue Design-Granate, sondern ein kleines Experiment, das die These ein bisschen greifbarer machen und in der Praxis erkunden soll.
Direktlink als PDF (v0.1)Ein paar ÜberlegungenIch will in diesem Spiel zwei Aspekte betonen, die unser Medium kennzeichnen: Die absolute Freiheit im "Theatre of the Mind" und die Interaktion der Mitspielenden als Einschränkung. Es gibt definitiv weitere (felixs hat im Thread bspw. schon die analoge Natur genannt), aber diese beiden Aspekte sind wahrscheinlich die, die das Medium Rollenspiel für mich so reizvoll machen.
Die Regeln von Ties bewegen sich also bewusst weg von einigen Konzepten, die ich als medial wahrnehme:
1. "Genre" (Medienbegriff!) und "Setting" (Medienbegriff!). Ich glaube, diese Regeln würden sich ziemlich fucking gut für ein Whodunit eignen, oder für eine Soap Opera ... und ich gebe GERNE zu, dass meine Gedanken direkt in diese Richtung gewandert sind!
Aber ich will ja weg von diesen festen Konzepten, eben weil es sehr gut sein kann, dass sich die Regeln ebenso gut – oder sogar deutlich besser! – für Geschichten eignen, die überhaupt nicht in irgendeine kohärente Definition von Genre oder Setting passen. Wenn die Mitspielenden ein bestimmtes Genre wollen, können sie das natürlich liebend gerne spielen, aber ich will ihnen die Möglichkeit geben, vom Medium des Rollenspiels zu profitieren und darüber hinauszugehen.
2. Feste "Charaktere" (Medienbegriff!) mit Charaktereigenschaften und treibenden Motivationen. Es gibt durchaus Figuren in Ties, und die haben sicher auch Motivationen und Eigenschaften und Konfliktpotenzial, aber all das soll aus den Mitspielenden heraus entstehen und nicht, weil man sich zwangsweise an irgendwelchen medialen Standards entlanghangelt. Man denke bspw. an das Konzept des "charakterzentrierten Schreibens", das zweifelsohne Spiele wie Fate – über die Charakteraspekte! – und PbtA – über die Playbooks und Moves! – beeinflusst hat: Charaktere tun halt das, was sie tun, weil das
nun mal ihr Charakter ist, und weil dieser Charakter ihre Rolle in der Geschichte zementiert. Das ist cool und produziert richtig gute Geschichten, aber eben auch zwangsweise Geschichten, die sich nur an den Maßstäben anderer Medien orientieren. Ich will stattdessen, dass im Spiel passiert, worauf die MITSPIELENDEN Bock haben, auch wenn es nicht auf den ersten Blick zu den Rollen und Regeln anderer Medien passt. Und das dann in eine interessante Gesamtgeschichte zu überführen, ist hier das Spannende, und vielleicht auch die Herausforderung. Und vielleicht der Punkt, an dem dieses Design scheitert. xD'
3. "Szenen" (Medienbegriff!), "Spannungsaufbau" (Medienbegriff!) und ähnliche formative Konzepte. Ich habe ein Setup, und ich habe ein paar rudimentäre Regeln für das Ende des Spiels, und genau genommen habe ich wahrscheinlich sogar Regeln für Szenen. Aber ich werde das nicht explizit machen und vor allem nicht darüber hinausgehen, damit sich niemand gezwungen fühlt, sich abermals an die Standards anderer Medien zu halten. Und wie bei den beiden anderen Punkten auch: Natürlich KANN die Runde ganz klassisch Spannung aufbauen. Dann aber bitte, weil sie Bock drauf hat und nicht, weil das die Regeln des Spiels vorgeben. Umgekehrt erlauben die Regeln sogar jedem einzelnen, einen Stock in die Speichen dieser Spannung zu werfen.
Das heißt, um diesen wichtigen Punkt noch mal eindeutig klarzumachen: Es KANN natürlich sein, dass die Spielrunden Ties, die am Tisch herauskommen, abermals verdächtig nach anderen Medien riechen. Und das ist voll okay! Denn das ist ja offensichtlich etwas, was Rollenspiele gut können, und etwas, auf das die Leute am Tisch oftmals Bock haben. Da stelle ich mich nicht quer! Ich möchte aber halt Regeln bieten, die zumindest den Versuch unterstützen, darüber hinaus zu gehen.
Man könnte alternativ natürlich auch ein Spiel entwickeln, dass explizit verhindert, dass wir andere Medien simulieren, aber das wäre a) wahrscheinlich deutlich mehr Aufwand (?) und würde b) auch irgendwo gegen meine Intention gehen. Ich habe ja kein Problem mit Fate, PbtA und anderen Rollenspielen, die Medien simulieren ... Ich will unser Hobby nur nicht so krass darauf fokussiert sehen. Aber ja, vielleicht wäre das dann der zweite Schritt.
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