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Theodor Fontane - Effi BriestIch gehörte nicht zu jenen Kindern, die in der Schule mit dem Standardwerk Theodor Fontanes geprügelt, gequält oder konfrontiert wurden. Sicher, andere Deutschkurse meiner Altersklasse mussten. Wir hörten den Horror, die von Fontane angeblich oder tatsächlich zelebrierte, niedergeschriebene Langeweile, in viel zu viele Worte gegossen, nur da, um mit havelländischer Ödnis über den Norddeutschen gestülpt zu werden.
Jetzt ist mein Schulleben einige Zeit her, und wie es so ist, irgendwann holen einen Fragmente der Vergangenheit ein, und als ich Effi Briest im Rahmen einer Haushaltsauflösung überreicht bekam, legte ich es einige Zeit auf die lange Bank, bis ich es vor einigen Tagen in Angriff nahm. Manchmal muss man sich ja auch selbst herausfordern.
Und was soll ich sagen?
Als Schüler hätte ich mich dem Chor der Klagenden angeschlossen, so viel ist mal sicher. Aber mit einigen Jahren mehr auf dem Buckel kann ich durchaus die Faszination verstehen, die dieses Buch umrankt. Die titelgebende Protagonistin erscheint auf den ersten Blick als das, was ihr von meinen Altersgenossen vorgeworfen wurde. Eine naive, nach dem Glück trachtende, dein eigenen Gefühlen stumpf folgende, junge, bevorzugte Dame, die dennoch nicht so ganz in ihren gesellschaftlichen Rahmen zu passen scheint und dann am Ende scheitert.
Das Faszinierende des Romans ergibt sich weniger aus der Handlung bzw. der Beschreibung der Handlung selbst, sondern aus den sich dahinter auftürmenden, sozialen Verflechtungen. Dass die Moralvorstellungen und der preußische Ehrenkodex in ihrem Ehemann den Gegenentwurf zu ihrer naiv-natürlichen Art darstellt, ist im Rahmen der brechenden Ehe, die sich eben mit der Ausgrenzung Effis und ihren späten Tod beschließt, vielfach moderiert, kommentiert und analysiert, sodass ich da wenig beitragen kann, um das Bild zu entkräften oder zu bereichern. Vernunft gegen Gefühl, Karrierismus vs. Treibenlassen sind sicher die großen Themen des Werkes, mit den Konsequenzen, die Fehlverhalten im wilhelminischen Preußen gesellschaftlich trägt.
Effis naives Verhalten, das ewig Kindliche, ist ja nicht nur durch ihre Beschreibung belegt, sondern kulminiert in einem gemeinsamen Erlebnis mit ihrem viel älteren Mann Innstetten. Es geht darum, dass es in Innstettens Haus spuken soll und Effi das tatsächlich glaubt, während Innstetten auch davon spricht, aber von Crampas entlarvt wird als Mann, der diesen Spuk nutzt, um Effi zu kontrollieren und zu "erziehen". Das ganze Werk ist Innstetten tatsächlich räsonierender, aber gleichwohl nicht so gefühllos wie häufig dargestellt. Gerade, dass er mit Effi die Tochter seiner Jugendliebe ehelicht, sagt einiges über die von Anfang überschattete Beziehung.
Ich will mich gar nicht zu viel auslassen, aber tatsächlich fand ich die Nebenfiguren (vor allem Innstetten und die ambivalente Rolle der Eltern) durchweg interessant, die Protagonistin weniger. Allerdings verändert sich das Bild Effis sicher mit moderner Lesart, sodass ich ihr wenig Süßes, sondern stattdessen hedonistischen Egoismus attestieren kann. Sie ist zu ihrer Umwelt (mit der Ausnahme von Roswitha und ihren Eltern) häufig, ja fast ausnahmslos ätzend. Nicht, dass sie sich nicht treiben lassen darf, aber sie lässt sich aushalten und verhätscheln. Die dargestellte Langeweile ist nicht der Grund für Taten Effis, es ist tiefer in ihrem Wesen vergraben, und zieht sich durch das ganze Buch von Anfang bis Tod. Ein modernes Psychogramm auf das Verhalten Effis wäre interessanter als die romanistische Standardauseinandersetzung und würde mich durchaus interessieren (wer weiß, vielleicht gibt es sowas? Ich habe es nicht recherchiert).
Am deutlichsten ist dies, als die inzwischen ins Bürgertum abgerutschte, von den Eltern aristorkatisch verlassene, aber doch finanziell ausgehaltene Effi in einer Wohnung lebt und ihre Tochter Annie nach Jahren wieder sehen will. Nachdem das Kind nicht so liebevoll und offen in der ersten Begegnung ist, wie von der kindlichen Effi erhofft, verwirft sie den Gedanken auf ihre Tochter und flieht gänzlich in sich. Wenn das nicht zu denken gibt.
Am Ende nehmen die Eltern die Tochter wieder auf und betüdeln sie bis zum Tode. Ein rein um sich selbst drehendes, egoistisches, gleichwohl durchgehend behütetes Leben endet in havelländischer Kulisse.
Interessante Charaktere, eine eher seichte Handlungsbeschreibung, aber eine auf einen gewissen Realismus und auf Prägnanz setzende Situationsbeschreibung macht dieses Werk auf jeden Fall lesbar, und es provoziert mit seinen Charakteren zum Nachdenken, ob man sie mag oder nicht. Insofern kann ich nicht das Urteil meiner Altersgenossen unterschreiben, ich kann aber einsehen, wenn man sich nicht so sehr um die Charakterisierung der Handelnden schert und so handelt wie Effi, nämlich nur liest, um verhätschelt und kindlich unterhalten zu werden, wird man sich von diesem Buch abwenden wie Effi sich von ihrer Ehe und Kessin abwandte.
6 von 10 Punkte.