Wer kennt so einen Einstieg nicht: Erste Sitzung, die Charaktere kennen sich noch nicht. Zusammengewürfelte Truppe, vom Schicksal zusammengeschweißt, auf dem Weg zu Großem. Die SL sagt, man solle sich gegenseitig die Charaktere vorstellen. Und dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder gibt es nur die nötigsten Infos ("Gudrunriel ist eine Elfe und eine Magierin.") oder die Hintergrundgeschichte wird bis zum Allerletzten ausgebreitet ("...und dann sagte der Halbling: 'Moment, du bist gar nicht meine Großmutter!'"). Beide Varianten haben denselben Effekt: hinterher weiß man kaum was über die anderen. Bei der ersten, weil nix gesagt wurde, beim zweiten, weil zuviel auf einmal gesagt wurde und man sich das nicht alles merken kann. Und das war's dann auch, denn in weiteren Sitzungen wird nie wieder über Hintergründe und das Auftreten von Charakteren gesprochen, wenn nicht eins davon gezielt via Subplot angespielt wird.
Das ist natürlich eine verpasste Chance. Die Charaktere bleiben sich fremd, man bekommt kein rechtes Bild von den Figuren. Deshalb hätte ich den folgenden Vorschlag, wie sich bislang unbekannte Charaktere kennenlernen können. Das funktioniert besonders für Schicksalsgemeinschaften, geht aber auch wenn neue Charaktere in eine etablierte Gruppe kommen.
In aller Kürze: Es gibt sogenannte "Kennenlernphasen", die einen rein narrativen Zweck haben und gewissermaßen außerhalb des Spiels liegen. Niemandem passiert darin etwas, es ist als würde die Zeit stehen bleiben. Darin stellen sich Charaktere in kleinen Dosen einander vor. Das können "langsame Momente" in der Geschichte sein, z.B. Lagerfeuerabende, Reisephasen, Ruhepausen, aber man kann so etwas auch in andere Szenen einbauen. Wer kennt nicht diese Filmszenen, in denen zwei Gefährten Seite an Seite ein Dutzend Mooks wegfechten und sich dabei kennenlernen?
Es gibt in diesem Konzept vier Phasen (das ließe sich eventuell auch noch komprimieren oder erweitern):
1. Das erste Aufeinandertreffen
Hier geht um (a) Äußeres, Auftreten und Manierismen sowie (b) Name und Herkunft. Die SpielerInnen beschreiben diese Aspekte und NUR diese Aspekte ihrer Charaktere. Meistens kann man das zusammen abhandeln, aber manchmal, wenn gar keine Zeit zum Reden ist, kommt erst (a) und (b) dann später.
2. Ein Schwank aus der Vorgeschichte
Wenn man sich kennenlernt, erzählt man sich irgendwann voneinander. Das muss nicht die Wahrheit sein, wenn man ein geheimnisvoller Ninja ist, aber selbst die haben irgendetwas zu erzählen. Niemand sollte dabei seine ganze Vorgeschichte zu erzählen - so einen Infodump braucht niemand. Erzähle stattdessen eine Geschichte, die Dein Charakter gerne zum besten gibt, wenn er andere unterhalten will. Darin können und sollen natürlich Orte, Ereignisse, Personen auftauchen, die für dessen Hintergrund bedeutsam sind und einen Einblick in seine Persönlichkeit zulassen.
3. Ein Geheimnis
Erzähle etwas, was Dein Charakter Leuten erzählt, denen er vertraut. Das brauchen keine Staatsgeheimnisse sein, sondern einfach Dinge, die er/sie nur Personen erzählt, denen er/sie ein bisschen vertraut. Vielleicht eine Geschichte, in der er/sie nicht so gut wegkommt, vielleicht etwas mysteriöses oder ungelöstet - Hauptsache interessant.
4. Ein wunder Punkt
Zeige einen wunden Punkt. Dies kann ein Geheimnis sein, das der Charakter nicht preisgeben mag, verletzter Stolz, eine unangenehme Erinnerung. Die Szene beginnt damit, dass ein Thema angesprochen wird, das den Charakter in einer dieser Weisen unangenehm berührt. Er sollte dann irgendeine Reaktion zeigen, die von einem peinlich berührten Themawechsel bis hin zur Offenlegung einen unschönen Teils seiner Vergangenheit reichen kann.
Man kann diese Phasen unterschiedlich einleiten. Entweder ein/e SpielerIn sagt eine Kennenlernphase an, wenn er/sie gerade einen guten Aufhänger für eine Geschichte hat. Oder der SL sagt eine Kennenlernphase an, dann sind entweder alle SpielerInnen gefordert - insbesondere beim ersten Aufeinandertreffen - oder es steuern nur manche von Ihnen etwas bei. Jede/r Spieler entscheidet dann selbst, ob er/sie einen Schwank, ein Geheimnis oder einen wunden Punkt ausspielt oder lieber aussetzt. Die Phasen 2 bis 4 kann man für jeden Charakter bei Interesse auch mehrfach machen. Wenn jemand viel zu erzählen hat, kann er/sie das gerne tun - aber eben über verschiedene Phasen verteilt, um die MitspielerInnen nicht auf einmal unter Informationen zu begraben.
[Disclaimer: Ob dieser Ansatz auch für Kampagnen mit Gruppenkonzept oder One-Shots taugt, wäre noch zu eruieren. Prinzipiell ja, aber vermutlich gäbe es dort Anpassungsbedarf.]