Ich habe mal über Cyberspace nachgedacht und dann ist das außer Kontrolle geraten…
Ein Cyberspace, also die Annahme, dass es eine gute Idee sein könnte, als UI eine neonbunte Drahtgitter-VR-Welt in 800x600 Pixel zu nutzen, existiert ja nicht, damit Spielercharaktere dort illegale Operationen durchführen, sondern damit Leute dort Zeit zur Unterhaltung oder Belustigung (Katzenbilder betrachten oder Pornos gucken) allein und miteinander verbringen können, oder weil sie einkaufen, lernen oder abschalten und in einigen Fällen auch kreativ sein wollen. Und weil dort potentielle Kunden sind, wollen sich Unternehmen dort präsentieren, Dienstleister (auch Behörden) ihre Dienste anbieten, Künstler um Fans buhlen, Leute sich selbst oder andere darstellen. Und wenn das Ding schon da ist, kann man's natürlich auch B2B nutzen; oder staatlich bzw. militärisch, wenn es denn einen Staat gibt.
Ich würde ihn in ein "Userverse", also dort, wo man sich zum oben erklärten Zweck aufhält, sowie ein "Dataverse", die Welt der Datenbanken und Informationen, die dort leicht zugänglich gespeichert werden und insbesondere ein "Thingverse" einteilen.
Letzteres ist die Welt der Cyberware, die, solange es nicht rein kosmetische Veränderungen sind, natürlich auch Computersysteme integriert und man dort (weil die Vorteile überwiegen) beschlossen hat, dass auch diese alle Teil des Cyberspace sein sollen. Denn man kauft vielleicht die Hardware, aber niemals deren Software. Und schon weil komplexe Software immer Fehler enthält, die man später noch fixen können möchte (so ein Wartungsvertrag existiert), eine stete Verbindung zum Cyberspace für automatische Updates nützlich ist.
Natürlich gibt es dann Spaßvögel, die versuchen, alle Cyberarme in ihrer Umgebung zum Hitlergruß umzuprogrammieren, aber sowas funktioniert in der Regel nicht, weil die Leute jetzt fantastische Computerkenntnisse haben, sondern weil sie Glück haben und die Gegenseite Pech, sprich, einen vermeidbaren Fehler gemacht hat. Oder weil sie einen "Exploit" besitzen, von jemandem, der mit ausreichend Zeit und vor allem Ausdauer, die Lücke gefunden hat, die sie jetzt leichtfertig nutzen und damit verbrennen.
Offiziell verfügbare Hardware wehrt sich so gut es geht gegen Programmierung durch Dritte, nur wenige Konzerne geben sich gegenseitig die Erlaubnis dazu. Chips zu finden, die hier ausbrechen, ist schwer und sie einzusetzen ist illegal. Hinzu kommt, dass jeder Nutzer theoretisch eine eindeutige Identität besitzt, die zu verlieren einem Rauswurf auf dem Cyberspace und damit aus dem normalen Leben gleich kommt.
Ach ja, der Cyberspace ist natürlich ein weltweites Netz aus Computernetzen. Nur eben rezipiert als VR, die direkt auf die Sehnerven mittels Cyberware-Implantat übertragen wird und nicht als aufgehübschter Text in einem speziellen Programm. Und man stöpselt sich wie beim Kabelfernsehen ein und hat das nicht auf einem drahtlos weltweit verbundenen Handy dabei.
Es gibt daher streng genommen nicht einen Cyberspace, sondern beliebig viele. Es ist daher wahrscheinlich, weil total sinnvoll im Sinne der Sicherheit, dass Unternehmen eigene private Cyberspaces haben. Dass das systemkritische Kraftwerk trotzdem die Cyberspace-Software nutzt und nicht ein ganz eigenes System hat, liegt einfach darin, dass die Software kostenlos verfügbar ist und jeder sie kennt.
Um Sicherheitslücken zu finden und zu fixen, streifen pausenlos KIs (autonome automatische Programme, keine Persönlichkeiten) durch den Cyberspace. Da im einfachsten Fall aus- und wieder einschalten hilft, ist ein Zeichen für die Anwesenheit dieser KIs, dass der Cyberspace zu flackern beginnt. Dann sind Watchdogs nicht weit weg.
Bloodhounds beschränken sich nicht darauf, den Urzustand wieder herzustellen, sondern spüren aktiv nach der Ursache des Problems. Sie prüfen die Integrität von Hard- und Software sowie Legitimität der anwesenden Nutzer (einfach einen Moment still halten, wenn sie schnüffeln). Sie können verschwundene User zurückverfolgen und kicken, d.h. temporär aus dem Cyberspace werfen.
Hellhounds greifen Nutzer an, deren Aktivitäten als nicht im Einklang mit den Nutzungsbedingungen erkannt und daher als den Cyberspace gefährdend eingestuft wurden. Durch gezielte Überlastung der Cyberware wird versucht, den Anwender außer Gefecht zu setzen, ggf. auch zu verletzen. Ein Tod des Anwenders wäre ein bedauerlicher Unfall. Parallel dazu werden Spider in den Thingverse geschickt, um weitere auf diesen Nutzer eingetragene Cyberware zu identifizieren und zu blockieren (einzuspinnen) oder in härteren Fällen Bugs, die selbige Cyberware zerstören sollen.
Guardians und Gatekeeper erhöhen die temporäre Sicherheitstufe und patrouillieren auch schon mal vor wichtiger Infrastruktur. Guardians verteidigen Systeme, die weiterlaufen müssen, während Gatekeeper den Zugriff blockieren. Ein Daemon (ja, mit ae, das ist so Tradition) kombiniert diese mit den Angriffsmöglichkeiten eines Hellhounds. Killer beenden alles, was auf dem aktuellen Knoten läuft, als letzte Rettung gegen eine Kompromittierung des Systems. Danach ist hier der Cyberspace schwarz denn alle Programme sind tot und Nutzer haben bestenfalls leichte Nervenschäden ob des plötzlichen Rauswurfs. Nukes sind noch gefährlicher, denn sie löschen auch alle Daten bevor alles durch Zerstörung der Hardware abgeschaltet wird.
Es heißt, es gibt einen Shadowspace, nicht immer vollständig, mit vielen toten Enden und Sackgassen, unvollständig, kaum operabel und navigierbar, aber dort findet man alte Dinge, die eigentlich gelöscht wurden. Es heißt, tote Programme gehen dahin um zu sterben. Sicherlich nur Gerüchte.
Wird ein Knoten angegriffen, sind Broker nicht weit, die mit dem Besitzer dieses Teils des Cyberspace in Echtzeit Gegenmaßnahmen zu verhandeln beginnen. Denn kostenlos ist dieser Verteidigungsservice natürlich nicht.
Harmlos sind hingegen Specters, durchscheinende Wesenheiten, die überall Inspektionen und Routinekontrollen machen und höchstens mal im Weg stehen, aber immer passiv bleiben, sowie Jesters, die rein zufällig nach Lücken suchen und dabei größtes Chaos anrichten können, wenn die Software schlecht ist. Jesters sind der einzige kostenlose Service im Cyberspace und man muss bezahlen, damit sie nicht die eigene Infrastruktur prüfen.
Ab und zu sieht man vielleicht auch in einem eigentlich gesperrten Bereich einen Mole, der aktiv versucht irgendwo einzudringen. Manchmal vielleicht in Gegenwart echter Nutzer, meist Devops, die von sich aber gerne Shadows anlegen, damit sie an mehrere Orten gleichzeitig sind, was normalen Nutzern nicht möglich sein sollte. Selten sieht man Grays, manifestiert als statische Störungen, was KIs sind, die scheinbar wahllos Dinge auf der Suche nach einer Verbesserung umbauen. Dort sieht man dann auch vielleicht mal (die Schatten von) Architects, menschlichen Entwicklern des Cyberspace … außer die Technik ist vielleicht schon so weit, dass auch dies KIs sind.
Generell baut der Userverse die normale Welt nach, mit besonderen "special interest" Zonen. Es gilt aber die Skeumorphismus-Idee, dass vertraute Gegenständlichkeit die Bedienung vereinfacht. Das Dataverse ist so langweilig wie eine Bibliothek oder ein Bürogebäude. Selten findet man hier Kreativität. Das überlagernde Thingverse ist abstrakter. Man sieht hier die Leute als Strichmenschchen, mit hervorgehobener Cyberware, in die man eintreten kann, auf das dann dann wieder ein Netz aus Räumen und Gängen ist, wie auch der Userverse, in dem 50% aller Nutzer ihre virtuelle Wohnung so bauen, wie ihre eigene Wohnung auch aussieht, weil Orkhöhle oder Robinson-Insel dann doch langweilig werden.
Man muss sich vergegenwärtigen, dass Userverse und Dataverse orthogonal zueinander sind, das Thingverse den Real-Koordinatenraum des Userverse überlappt und ebenfalls mit dem Dataverse verbunden ist und das durch historische Daten aus dem Dataverse ältere Versionen des Userverse erschaffen werden können, die ebenfalls orthogonal dazu stehen. Und dann ist da noch der Shadowspace, der verschiedenste bruchstückhafte Kopien der drei Verses enthält. Wenn ihr ein Bild dafür braucht, stellt euch den 256ten Level von Pacman vor, den es eigentlich nicht geben sollte, und den man, auch wenn er kaputt ist, doch ein kleines bisschen spielen kann.