Isegrim, deine Aussagen laufen letztendlich genau darauf hinaus:
Also darf ich einen schwarzen, adligen Charakter mit weißen Haaren niemalsnicht in eine mittelalterlich-phantastische Welt einbauen... ohne mir den Vorwurf des "Erzwungenseins" anzuhören?
Das hat nichts mit Unverschämtheit zu tun. Wenn du das Vorkommen bestimmter Menschen (egal ob jetzt schwul, oder schwarz, oder weiß, oder rechts, oder gehandicapt, oder mental eingeschränkt) in einem Kunstprodukt von der Warte aus bewertest, ob sie quasi "gewollt" repräsentieren sollen oder nicht, dann muss zwangsläufig jeder Versuch, das "unerzwungen" darzustellen, scheitern.
Einfach weil jede künstlerische Entscheidung in jedem Kunstprodukt immer gewollt und zwingend ist. Kunst repräsentiert, in ihr spiegeln sich die Wertvorstellungen und Einstellungen seiner Autoren und auch bestimmte Aspekte der Gesellschaft, in der sie entstehen wieder. Selbstverständlich wird hier ein schwarzes Adelshaus eingebaut,
weil man schwarze Schauspieler stärker in der Serie repräsentieren möchte. Das ist eine ganz normale künstlerische Entscheidung in einem Meer anderer künstlerischer Entscheidungen. Und all diese Entscheidungen, vom schwarzen Charakter bis zum Aufstellen zusätzlichen Schwerterbarrieren um den Eisernen Thron repräsentiert etwas, drückt einen Gedanken oder eine Vorstellung aus, manchmal auch für den Ausdrückenden unterbewusst. Diese Vorstellung kann auch eine ganz banale und pragmatische sein.
Das heißt es ist letztlich die Natur des Gedanken, der dahinter steht, der hier bewertet wird: Ist der Gedanke der dahintersteht im weitesten Sinne politisch, muss ich konstruieren, warum etwas, in einer Fantasywelt überhaupt möglich sein soll... und egal wie elegant ich es konstruiere – dadurch dass die Repräsentation auf eine bestimmte Weise von den Autoren angelegt ist, wird sie immer erzwungen wirken, denn...
Aber: Eine einzelne, alt-eingesessene schwarze Familie in einem weißen Umfeld? Macht keinen Sinn. Eine ethnische Gruppe innerhalb einer anders geprägten Mehrheitsbevölkerung, ohne Grund, wo die herkommen? Macht keinen Sinn. Eine Population, die gewisse genetische Merkmale teilt, aber andere nicht? Macht keinen Sinn.
Aber welche Maßstäbe legen wir da denn überhaupt an? Biologischen? Soziogeschichtlichen? Es ist nicht mal klar, ob in der GoT-Welt Genetik überhaupt existiert. Und wir schlucken so viele Kröten in Fantasy-Welten, die keinen Sinn ergeben, ohne uns darüber Gedanken zu machen. Ich habe jüngst einen Essay in einem Tolkien-Magazin darüber gelesen, warum Gil-Galad womöglich gar nicht Fingons Sohn sein kann (oder etwas in die Richtung).
Ich meine, inwieweit unterscheidet sich denn diese deine Einschätzung da oben von deiner berechtigten Kritik daran, dass schwarze Menschen nicht beim LARP mitspielen dürfen?
Übertrüge ich nämlich deine Kritik oben auf diese Spielsituation, in vollem Maße, dann würde daraus meiner Ansicht nach schnell so etwas: "Hey, das ist wirklich daneben, dass schwarze Spieler keine Ritter spielen dürfen, das ist doch nicht fair... aber eine Gruppe schwarze Spieler darf bitte kein Adelshaus spielen, das wäre dann schlechtes World-Building."
Und natürlich schränkt das in letzter Konsequenz dann auch die realen Handlungsmöglichkeiten von Menschen mit schwarzer Hautfarbe ein, denn es dürften dann eben nicht ganz so viele Schwarze gecastet werden. Das ist eigentlich auch ganz logisch denn jede kreative Entscheidung im TV schließt jemanden aus, der dann im Casting nicht mehr infrage kommt.
"Schlechtes" World-Building zeichnet sich nicht dadurch aus, dass kreative, ästhetische Entscheidungen in einer Spielwelt aus gesellschaftspolitischen Überlegungen heraus erfolgt sind. Wir haben in der Geschichte von (im weitesten Sinne) phantastischen Welten unglaublich viele Beispiele wo "das Politische" den Hauptausschlag für die Gegebenheiten in der Welt gegeben haben. Das reicht von den "Hunger Games" über "The Handmaid's Tale" über "Animal Farm" über "Die andere Seite" von Alfred Kubin bis hin zur "Nibelungenklage".
"Schlechtes" Worldbuilding zeichnet sich auch nicht daraus aus, dass Zusammenhänge nicht erklärt würden. Lovecraft erklärt dem Leser einen Furz über seine fiktiven Welten. Dasselbe gilt für die Sachen von Studio Ghibli. (
Soft Worldbuilding ist als Begriff ein guter Ansatzpunkt um zu ergoogeln, was ich meine).
Wir sollten uns fragen, warum ausgerechnet die Tatsache, dass bei eine Leerstelle bei einem schwarzen Charakter oder einer schwarzen Familie in einer Fantasywelt so starke Debatten erzeugt, andere beliebige Leerstellen im Text aber nicht?
Ich kann mich ja selbst davon nicht befreien: Was habe ich mich aufgeregt, dass in 7te See ein vormals weißer Piratenkapitän in der 2nd Edition plötzlich eine schwarze Frau ist. Aber letztlich gibt es keinen Grund, warum das nicht völlig legitim ist. Ich fand den alten Käpt'n Reis halt arschcool und die Neubesetzung bricht mit meinem alten Bild dieses Charakters. Das ist dann aber ein Geschmacksurteil.