Meine Vermutung ist, dass es nicht an dem Argument liegt, dass Rüstung und Nahkampf dann unplausibel würden. Ich denke eher, dass es durch Genre-Konventionen konserviert ist, dass Feuerwaffen nicht in Fantasy-Settings verwendet werden. Ich vermute da Gründe der Nostalgie, Romantik und Eskapismus. Es ist eben vielleicht heldenhafter, den Drachen im Nahkampf mit dem Schwert zu erschlagen, als ihn aus 200 m zu erschießen. Face-to-Face ist der Kampfmodus des wahren Kriegers. ?
Ja, nicht nur Genrekonventionen, sondern als deren Fundament auch (Pop)Kultur.
Das landläufige Mittelalterbild ist in der Hinsicht ja doppelt schräg, weil das "gefühlte" oder wahrgenommene Mittelalter quasi erst im Spätmittelalter anfängt, aber man dann gleichzeitig nicht auf dem Schirm hat, dass es da bereits Feuerwaffen gab.
Und wieder ja, eine deutliche Unterströmung, dass die Schusswaffe und zuvor schon der Bogen die Waffe des Feiglings sei, ist schon deutlich wahrnehmbar. Andersrum muss man aber auch nicht sonderlich tief bohren, um viele berühmte Schützen in Mythologie, Literatur, Geschichte & Co. zu finden.
Auch in zeitgenössischen Unterhaltungsmedien finden sich ohne große Verrenkungen unterhaltsame Darstellungen von Fernkämpfen, die ein ziemlich breites Spektrum abdecken.
Da ist die Behauptung vom per se dramatischeren und erzählerisch ergiebigeren Nahkampf mMn ziemlich kurzsichtig (pun intended
).
Zumal das im Rollenspiel sowieso mit der Spielmechanik steht und fällt - wenn man das nicht verrafft, sind Fern- und Nahkampfwaffen natürlich auf Augenhöhe bzw. haben beide ihre Existenzberechtigung. Den Schuh müssen sich gerade die frühen DSA-Autoren anziehen, die sich mit mMn recht schrägen Tödlichkeitsargumenten von Anfang an gegen Feuerwaffen gewehrt haben.
Fast alle Legendenstoffe und Heldensagen unserer Welt handeln von Nahkämpfern. Dir fallen bestimmt auf Anhieb etliche Namen von sagenhaften Schwertern ein, aber womöglich kein einziger Bogen und noch weniger benamte Feuerwaffen. Feuerwaffen werden maximal nach Typen oder Aussehen benannt (Peacemaker, Henrystutzen, Silberbüchse), aber Schwerter haben Eigennamen wie Gram, Excalibur, Durendal.
Will sagen, der Nahkampf-Bias in der Fiktion ist keine neumodische Romantisierung, den gibt es schon seit tausenden von Jahren.
Hm...berühmte Schützen fallen mir schon ein paar ein. Da wird sich aber so auf den ersten Blick eher auf die Personen konzentriert als auf ihre Gerätschaften - was ja eigentlich aus Erzählerperspektive sogar für die Schützen sprechen würde statt für die materalistischen Nahkampf-Powergamer
So halb in die Gegenrichtung: bei moderneren Feuerwaffen sieht man es immer wieder, dass der Waffe keine besonderen Eigenschaften zugeschrieben werden, aber ihre Geschichte sehr wohl registriert wird und die Dinger immer noch entsprechende Aufmerksamkeit bekommen (z.B. Gavrilo Princips M1910 oder die Waffen von Bonnie und Clyde; von den ganzen Wildwest-Schießeisen in verschiedenen kleinen Museen gar nicht angefangen).
Edit/Nachtrag:
Und wenn ich so darüber nachdenke, finde ich reihenweise Beispiele, wo sehr viel Nahkampf stattfindet, selbst wenn Handfeuerwaffen fest im Setting etabliert sind. Es ist nämlich gar nicht auf klassische Fantasy reduziert. Ganz prominent: Star Wars mit seinen Lichtschwertern. Mit denen kann man Laserschüsse abwehren...! (was ist da eigentlich mit kinetischen Projektilen?). Shadowrun hat seine Katana-schwingenden Straßensamurai. Selbst Star Trek hat relativ viel Nahkampf (Hallo Klingonen), nicht selten inklusive Phaser im Handgemenge. Warhammer 40k hat reihenweise Einheiten, die auf Nahkampf spezialisert sind. Bei den Avengers wird sich auch primär auf die Birne gehauen. Bei Mass Effekt steckt man auch Ruckzuck im Nahkampf usw.
Da muss ich sagen: So richtig funktioniert das für mich von den genannten nur bei Star Wars.
40K und noch mehr Star Trek halten sich mMn eher unbeholfen ziemlich was ab, um dem "dramatischeren" Nahkampf zu huldigen, was bei mir aber eher lächerlich rüberkommt.
Mass Effect mag man da stellvertretend für jede Menge Videospiele sehen, wo einfach durch die Engine, durch Level- und allgemeiner Spieldesign die Schusswaffen ihre Stärken nicht recht ausspielen können. Das schlägt dann in die gleiche Kerbe wie das genannte Encounterdesign, das auch gerne mal von der Dimensionierung der Battlemap geprägt wird...
Gut, das kann auch seine Berechtigung haben - der Dungeon-Gedanke ist ja schon folgerichtig. Da haben langsame, laute, unzuverlässige Feuerwaffen im Vergleich mit magischem Nahkampfgerät auch mal recht glaubwürdig nicht viel zu melden. Aber man kann das auch deutlich zu weit treiben.