Wirklich auf die Agenda kam das Thema erst mit dem Privatfernsehen, wo schon nachmittags
über dieses und jenes diskutiert wurde und damit auch ''ausgefallenere'' Themen in der breiteren
Gesellschaft einen Zugang fanden. Aber das ist ein langsam fortschreitender Prozess, der allerdings
sicher in den letzten 10-15 Jahren an Dynamik gewonnen hat, und mit der Ehe für alle in Deutschland
einen vorläufigen Abschluss gefunden hat.
Es gab den ersten Kuss zwischen zwei Männern im Fernsehen in der Lindenstrasse 1990 (übrigens war
eine Reaktion aus dem Publikum: Nach TV-Kuss hieß es: "Du schwule Sau, ab ins KZ!")
,
es gab den schwulen Regisseur Rosa von Praunheim, der in seinen Filmen auf die Situation homosexuel-
ler Menschen aufmerksam machte, aber kein sonderlich großes Publikum fand. Es gab Disco, wobei die
wenigsten in den 70ern wußten, dass die Musik aus dem schwulen amerikanischen Underground kam.
Es gab die Comics von Ralf König - u.a. Der bewegte Mann -, die eine größere Öffentlichkeit erreichten, vor
allem mit der gleichnamigen Kinokomödie. Es gab den Erfolg der Love-Parade. Es gab unfreiwillige Fremd-
Outings von deutschen Fernseh-VIPs wie Alfred Biolek.
Allerdings wurde AIDS zu Beginn die Schwulenpest und eine Strafe Gottes genannt. Die gesamte Geburtsstation
wurde 1985 in einem Krankenhaus in Paris geräumt, als sich herumsprach, dass der todkranke Rock Hudson ein
Stockwerk höher liegt.
Das Thema war also schon in gewisser Weise in der Öffentlichkeit, aber als Schwuler, zumal in der
Öffentlichkeit stehend, war es damals (wie auch heute noch etwa als Fußballer) ratsam, seine sexuelle Orientierung
nicht preiszugeben - siehe Rex Gildo. Wer ungestört leben wollte, der zog in eine größere Stadt mit einer Szene
wie Köln, Berlin, München oder Zürich.
Das sich Menschen mit einer anderen als einer heterosexuellen Orientierung organisieren und selbstbewusst auf-
treten, würde ich auch erst ins Internetzeitalter verlegen. Wobei wir ja in Bezug auf die sexuelle Orientierung und
ihre Relativität, inzwischen auch schon viel mehr wissen als vor 40 Jahren.
In der Wheel of Time Serie wird das Thema behandelt, auch wenn es sich - für meinen Geschmack - etwas zu auf-
dringlich in den Vordergrund spielt ohne eigentliche Relevanz für die Story zu haben. Es scheint jedenfalls in dieser
Welt so normal zu sein wie im Florenz von Romeo und Julia, was ich in einem, selbst byzantinisch angehauchten,
Fäntelalter-Setting nicht unbedingt erwartet hätte, aber vielleicht kommen die Homohasser ja noch irgendwann aus
den Büschen gesprungen.
Sorry wegen offtopic.
PS: Mir ist vorhin noch eingefallen, dass Romeo & Julia natürlich in Verona spielt, ich meinte aber auch eher die
Anything-goes-Haltung bei jungen Adligen und Patriziern in den oberitalienischen Stadtstaaten jener Zeit, die
dazu führte, dass Homosexualität in diesen Kreisen unter der Hand eine zeitlang mehr oder weniger toleriert wurde.
Ähnlich wie im Nachtleben Berlins in den 20er Jahren, wo auch mehr ging als gemeinhin üblich war.