Allerdings sehe ich da jetzt persönlich keine Verbindung mehr zur Frage was man von bezahlten SLs hält.
Die Verbindung zum bezahlten Spielleiten kam durch den wiederholten Verweis auf die MCU und die (vermeintliche) Vergleichbarkeit in der Korrelation Kommdifizerung <-> Kommerzialisierung <-> Werte- und Qualitätsverfall auf.
Es wird ja allgemein die These vertreten, dass bezahltes Spielleiten ein Symptom oder zumindest ein Katalysator für eine (weitere) Kommerzialisierung, Industrialisierung und kreative Aushöhlung des Hobbys sei. Critical Role und 5e seien oder beförderten seelenlose Dosenkost a la MCU. Eben überoptimierte und massentaugliche Konservenkost vom Fließband.
Ich hab die von dir angesprochene, immer wieder zyklisch verlaufende, Erneuerung, als Gegenpunkt dagegen gebracht. So wie die Film- und Videospielindustrie, durchläuft auch das Nischen-Hobby Rollenspiel mit Sicherheit solche Zyklen, wird auf der einen Seite aufgeblasen und auf der anderen implodiert sie. Daraus entsteht dann oft etwas Neues, was Kreativität und Originalität befördert. Ist auch im Rollenspiel passiert. Bei RPGnet gibts einen Thread zu "gab es ein Dark Age des Rollenspiels?" mehrere Hinweise auf inflationäre Bubbles, die irgendwann geplatzt sind. Wohl zum Beispiel eine D20 bubble kurz vor der 3.5, wo es massenweise (minderqualitäre) D20 Adaptionen gab, oder Flautephasen im Fantasy-Bereich in den 90ern, die dann teilweise von anderen / neuen Genes und Spielen wie Vampire / Urban Fantasy abgelöst wurden, bis dann mit der Herr der Ringe Trilogie, der klassische Fantasy-Bereich wieder Aufwind bekommen hat.
Der Punkt ist: Selbst
wenn es sich um eine andauernde Verschlimmerung und Zuspitzung eines kommerzialisiert-kommodifizierten Seelenverlusts des Rollenspiels handeln würde (der unter anderem durch sowas wie bezahltes Spielleiten befördert oder symtpomatisch ans Licht gebracht würde), würde man anhand der Vergleiche zu anderen Industrien sehen, dass solche Entwicklung a) keinesfalls neu b) alles andere als endlos und c) oft am Ende förderlich für die Neuentwicklung und Neuerfindung des Bereichs sind. Das ist natürlich für Niemanden ein Argument, für den alles jenseits der ersten Editionen aus den 70ern keine Weiterentwicklung sondern eine Regression oder Schlimmeres darstellen.
Ich würde zum Beispiel absolut behaupten, dass die jeweiligen Tiefphasen ganz erheblich zu der Erweiterung des Hobbys beigetragen haben. Ich sehe es als absolutes Plus, das es mittlerweile eine Vielzahl an Spielstilen gibt, mit dutzenden Ansätzen an die Tätigkeit und das Thema "Rollenspiel" und hunderten von Spielen, die eine Auswahl bieten.
Ich glaube allerdings
nicht, dass es sich um den beschriebenen Werterverfall handelt. Und das unter klarer Berücksichtigung des MCU-Vergleichs.
So wie die moderne Filmentwicklung in Hollywood, haben auch die modernen Entwicklungen im Hobby dazu beigetragen, dass eine längst überfällige Veränderungen stattgefunden haben, die Beides a) inklusiver b) für marginalisierte Gruppen fördernder und c) allgemein zugängiger gestaltet haben.
Es gibt mehr weibliche Regisseurinnen als je zuvor, es gibt viel mehr Repräsentation für gerade in den USA immer marginalisierte oder ausgegrenzte Gruppen. Gerade die MCU hat afroamerikanischen und asiatischen Filmemachern, Schauspielern
und Zuschauern mehr gebracht, als die Filmindustrie zuvor je zustande gebracht hat. Es kommen so viel mehr und so viel diversere Stimmen zu Wort, als zuvor - und allein die Serien bieten Dutzenden von Autoren, Schauspielern und Produzenten eine Möglichkeit, sich zu verwirklichen, die im "alten" Hollywood die Glasdecke schon als Kabelträger erreicht hätten.
Etwas Vergleichbares gilt für Critical Role und die von einigen so verteufelten "modernen" Rollenspiele von 5s bis Pbta. Sie haben das Hobby unglaublich weit geöffnet und ermöglichen Menschen, die nichts mit Dungeoncrawl oder Wargames am Hut haben die Möglichkeit, sich im Rollenspiel auszudrücken, zu verwirklichen und kreativ zu beteiligen. Die Indie-Szene wächst gefühlt immer weiter. Shows wie Critical Role erzeugen nicht nur den Mercer-Effekt, sondern inspirieren vor allem auch hunderttausende junge Menschen dazu, sich im Rollenspiel auszuprobieren, das Hobby kennenzulernen und sich damit zu beschäftigen. Für viele aus der LBTQ+-Community ist das Hobby damit auch zu einem Zufluchtsort geworden, um kreative Outlets im Eskapismus zu finden - oder sich sogar in einem Charakter viel näher in ihrer natürlichen Form ausdrücken zu können, als es ihr Privatleben zulässt.
Mit anderen Worten: Nein, bezahltes Spielleiten ist nicht neu und auch kein Symptom für den Werteverfall im Hobby. So einen Werteverfall gibt es ohnehin nicht. Ganz im Gegenteil wird das Hobby immer bunter, fördert immer mehr Optionen und Diversität und damit auch Kreativität.