Von klassen-basiert zu klassenlos z.B. scheint mir keine "höhere Stufe der Entwicklung" darzustellen. Beide Modelle machen unterschiedliche Dinge unterschiedlich gut und schlecht. Genauso die Vereinheitlichung/Reduktion auf einen Resolutionsmechanismus stellt keine "höhere Stufe der Entwicklung" dar, sondern bringt eigene Vor- und Nachteile mit sich.
Ich glaube das ist hier ein Knackpunkt. Es hängt nämlich davon ab, wie Du "höhere Stufe" definierst (bzw. dass Du Fortschritt damit gleichsetzt). Aus Deinem Post entnehme ich eine präferenziell bewertende Definition, d.h. Fortschritt heißt bei Dir Verbesserung oder zumindest Entwicklung zu etwas systemisch komplexeren.
Das ist aber nur EINE von möglichen Definitionen. Man könnte auch einfach eine historisch-ontologische Definition verwendern. Klassenlose Syteme als Antwort auf ein als restriktives empfundenes Klassensystem. Das hat dann nicht
per se eine höhere Komplexität, und die Bewertung ist subjektiv. Es war trotzdem ein Fortschritt im urpsrünglichen Sinne eines "es hat sich aus dem alten entwickelt und war etwas anderes oder neues".
Innovation =/= Verbesserung von etwas vorhergegangenem.
Eine Innovation setzt sich dann durch, wenn sich genügend Nachfrage dafür entwickelt.
Das mindert aber erst einmal nicht bewertend das Ursprungsding, sondern bedeutet eher eine Materialisierung der vorhandenen (oder sich entwickelnden) Bedürfnisse in neuen Instrumenten der spezifischen Bedürfnisbefriedigung.
Natürlich waren Traveller und Runequest Innovativ. Natürlich waren sie anders.
Sie machen aus Deiner Warte vielleicht die Dinge nicht besser, aber diese Bewertung ist Deine, subjektiv.
Objektiv muss man sagen, dass sie erfolgreich waren, weil sie eine Alternative boten, die ausreichend anders war, und die ausreichend Menschen gekauft und gespielt haben.
Und genauso ist es mit den anderen Innovationen, wie z.B. XP für Handlungserfolge (statt Gold), XP für gutes Rollenspiel (statt erfolgreiche Proben), klassenlose Systeme, Stufenlose Systeme, XP-freie Systeme, Skills für alle, Metaplots, soziale Mechaniken, Mechaniken der Reise, Geistige Gesundheit, Würfelpools, Story-telling Systeme, narrative Systeme, narrative Würfel, würfellose Systeme, Aktionstabellen, Bennies/Fate Points/Metawährungen etc pp.
Das sind alles Materialisierungen von Bedürfnissen nach einer anderen oder bisher fehlenden Spielerfahrung. Will sagen: Alle Innovationen sind nur Symptome von unbefriedigten Bedürfnissen nach einer anderen Art von Rollenspiel, nach einer anderen Art Dinge zu realisieren.
Bestimmte Änderungen wurden auch nur deswegen realisiert, weil jemand dachte "Ich mache genau das, aber 3mal besser." Das ist dann ein Bedürfnis nach (erstmal hochsubjektivem) "besserem Design", vielleicht auch wegen des kulturellen Kapitals (z.B. auch "Prestige").
Ob die Änderungen sich dann durchsetzen, egal welches der ursprüngliche Motivator war, hängt zum Teil einfach von historischem Glück ab, und letztendlich natürlich davon, ob genügend andere Menschen ähnliche Bedürfnisse haben und darauf anspringen.
Der Motivator ist nicht (immer) der Wunsch nach Optimierung, der Motivator ist erst einmal Unzufriedenheit. Die Antwort auf Unzufriedenheit kann dann Optimierung sein, oder das Suchen und Finden von Alternativen. Und das kann auch dazu führen, dass man nach dem ausprobieren vieler verschiedener Systeme wieder beim Ursprungssystem landet. Nicht, weil es das beste wäre, sondern weil man etwas über sich selbst gelernt und erkannt hat, dass z.B. alle verschiedenen Mechaniken bestimmte Grundproblematiken nicht lösen können (die z.B. zwischenmenschlicher Natur sind oder mit der eigenen Psyche zusammenhängen), und man dann doch auch beim Altsystem bleiben kann. Oder bei einer "optimierten" Version (wie z.B. die ganzen OSR-Ableger).
(Manchmal ist es auch einfach Nostalgie, die einen zu alten Systemen zurücktreibt. Das ist dann ja auch ein Bedürfnis, aber weniger nach einem System als nach der Reproduktion einer Lebenserfahrung.)