Es ist Zeit für den unregelmäßig stattfindenden Themenaufguss zur Initiative
Zum Einstieg will ich überlegen, ob einiges, was wir unmittelbar bei der Initiative verorten, dort überhaupt richtig aufgehoben ist und ein für klassische Systeme eher obskures Konzept vorstellen (wer errät, wo es im Kern herkommt, bekommt natürlich einen Keks).
Es klingt erst mal schlüssig, dass wir mit einer Initiative-Regelung sowohl die Reihenfolge am Tisch als auch in der Spielwelt regeln wollen. Das müssen wir aber bei näherer Betrachtung nicht oder jedenfalls nicht immer.
Wir müssen lediglich sicherstellen, dass alle am Spieltisch Gelegenheit bekommen, ihre Handlungsabsicht zu äußern und dass am Ende einer Runde (so wir denn Runden verwenden, ansonsten über einen bestimmten ingame-Zeitabschnitt hinweg) alle gehandelt haben, die das wollten und konnten.
Und wir sehen bei näherer Betrachtung, dass die beiden Bereiche Spieltisch und Spielwelt im Hinblick auf Ini-Regeln selten auf Augenhöhe sind (ich behaupte hier einfach mal: nicht auf Augenhöhe sein können), so dass man bewusst entscheiden muss, welchen der beiden Bereiche man höher bewertet.
Für mich stelle ich fest, dass auch die Erfüllung meiner üblichen Forderung, Ini-Regeln sollten entweder möglichst einfach oder andernfalls wenigstens spielerisch interessant sein, recht zwingend eine Auswahl erfordert, welchen der beiden Bereiche man primär beackern will und damit schon festgelegt ist, in welche Richtung die Ini-Regeln gehen (Ausnahmen sind denkbar, kommen dann aber eher als exotische Designexperimente daher).
Zunächst zum Spieltisch:
Die Notwendigkeit einer Reihenfolgenregelung am Spieltisch wird gerne mit dem Zerrbild begründet, dass ansonsten ja alle durcheinanderreden und gar nichts vorwärts geht. Und natürlich ist es bei manchen Runden einfacher und schneller, wenn es eine klare Struktur gibt. Das muss freilich keine erwürfelte oder ähnlich erstellte Reihenfolge sein, sondern kann auch nur darin bestehen, dass alle reihum ihre Handlungen ansagen (was einige Systeme auch tatsächlich als "Spieltisch-Seite" ihrer Ini-Regelung festlegen).
Ich behaupte an der Stelle aber aus meiner Spielerfahrung heraus, dass handelsübliche Spielrunden mit halbwegs aufmerksamen Spielern diesen Part auch ohne klare Regelung hinbekommen und viele Runden so weit von einer Nicht-Regelung profitieren, dass sie eigentlich eindeutige Abfolgen regelmäßig ignorieren und sich etwa frei absprechen (um bisweilen am Ende nominell die Reihenfolge einzuhalten und eine formale Ansage an den SL zu machen, der an diesem Punkt aufgrund der vorhergehenden Absprache sowieso längst Bescheid weiß).
Regelungen, die auf den Spieltisch abzielen, haben aber einen großen Vorteil: Wenn man dem Spieltisch das absolute Primat einräumt und die Modellierung der Vorgänge innerhalb der Spielwelt entsprechend zurückstellt, landet man bei sehr einfachen Initiativeregeln.
Das sind dann Konzepte wie
"alle Spieler handeln reihum und die NSC geschlossen, wenn die Abfolge den SL erreicht",
"alle SC handeln in beliebiger Reihenfolge, dann alle NSC",
"wer zuerst ansagt, fängt an und bestimmt am Ende seiner Aktion, wer als nächstes handelt".
Da kann man noch eine Handvoll Extraregeln draufschaufeln wie z.B., dass im zweiten Konzept NSC für Metaressourcen doch vor den SC handeln können, aber unterm Strich sind das wie gesagt einfache und daher eingängige und schnelle Regeln.
Mehr gibt es an der Stelle dazu auch nicht zu sagen - solche Regelungen sind genau so einfach und funktional, wie sie auf den ersten Blick aussehen.
Den Nachteil haben wir schon erkannt, nämlich eine mehr oder weniger zwingend eingeschränkte Modellierung der Spielweltvorgänge - damit also zum zweiten Bereich, der Spielwelt.
Die meisten klassischen Initiativeregeln haben in diesem Kontext drei Macken.
Erstens:
Akteure handeln ihre komplette Aktion ab und deren Wirkung tritt ein, bevor der nächste an der Reihe ist. Diese Aktionen sind aber auf die Länge der Kampfrunde ausgerichtet, was dazu führt, dass eine nominelle Kampfrunde in der Spielwelt tatsächlich so lang sein muss wie die Anzahl der Akteure in der Kampfrunde.
Zur Illustration:
Man stelle sich die Akteure A bis D vor, die alle die gleiche Bewegungsweite pro Runde haben und in genau dieser Entfernung von einem zum nächsten in einer Reihe stehen.
Jetzt bewegt sich A zu B (und braucht dafür definitionsgemäß genau eine Kampfrunde), B startet zu C, sobald A ihn erreicht hat usw.
Bis D seine Bewegungsweite voll ausgeschöpft hat, müssten also vier Kampfrunden vergehen - es ist aber nur eine.
Dieses Sequenzphänomen lässt sich augenscheinlich beseitigen, indem man ein hochzählendes Tick-System benutzt und damit gar kein Kampfrundenende mehr braucht. Genauer betrachtet macht das Tick-System hier aber nichts anderes als die spielmechanische Dauer dieses Staffellaufs auf das Äquivalent von vier Kampfrunden auszudehnen.
Es stellt sich also die Frage, ob man diese Ausdehnung nicht auch mit weniger Verwaltungsaufwand hin bekäme, egal ob dieser vom Tick-System kommt oder dadurch, dass man penibel auf die zeitlichen Abläufe achtet - hätte man diese fest im Blick, würde und müsste man bei obigem Gedankenexperiment direkt bei der Ansage der Handlungsabsichten zu B bis D sagen: Ihr verbringt die erste Runde mit Abwarten (C und D auch die zweite und D auch die dritte).
Weiteres Gedankenexperiment:
A bis D stehen an den Ecken eines Quadrates. Sie handeln auch in dieser Ini-Reihenfolge und wollen jeweils den Nachfolger im Alphabet (und D den A) angreifen. Mit einer klassischen Initiativeregel und unter der Annahme, dass keiner sein Ziel ausschalten oder an dessen Aktion hindern kann, steht also am Ende der Kampfrunde A auf der Position von B, B auf der von C, C auf der von D und D hat sich schräg über das Quadrat zur ursprünglichen Position von B bewegt und dort den A angegriffen.
Eigentlich soll die Initiative ja aber nicht eine derartige Abfolge abgeschlossener und jeweils kampfrundenlanger Handlungen erzeugen, sondern nur darstellen, dass einige Akteure früher anfangen als andere (und dann unscharferweise auch stets früher fertig sind).
Starten A bis D nur leicht zeitversetzt und korrigieren jeweils ihre Laufwege mit der Bewegung ihres Ziels, stehen am Ende der Runde alle innerhalb des Quadrats beisammen und nicht - bis auf A und D - getrennt an den Ecken.
Wie bekommt man diesen versetzten Start und ansonsten weitgehende Gleichzeitigkeit der Abläufe ohne großen Aufwand umgesetzt?
Dass das Ganze als Kuriosum und Störfaktor auffällt, sieht man daran, dass und wie es z.B.
hier auf die Schippe genommen wird.
Zweitens:
Die in einer Kampfrunde möglichen Aktionen haben i.d.R. sehr unterschiedlichen Zeitbedarf. Das heißt aber auch, dass
a) entweder die Kampfrunde immer gleich lang ist und es damit Leerläufe gibt, wo Handlungen kürzer sind als die längste mögliche Handlung
oder in der schwächeren Version
mindestens die längste tatsächlich stattfindende Handlung die Kampfrundendauer festlegt und Akteure mit kürzeren Handlungen entsprechende Leerläufe haben
und damit
b) sehr viel kürzere Handlungen eigentlich mehrfach pro Runde möglich, vor allem aber weitgehend unabhängig von den Fähigkeiten der Beteiligten früher abgeschlossen sein müssen.
Das kann man einzuhegen versuchen, indem man nach der Initiativebestimmung verschiedene Phasen einer Kampfrunde durchläuft, in der die einzelnen Aktionen noch mal sortiert werden, sei das nun nach schnellen und langsamen (eigentlich: kurzen und langen) Aktionen oder nach Typ - wobei eine Auftrennung z.B. nach Bewegung und Angriff meistens unterschlägt, dass eine wesentlich kürzere Bewegung zwingend auch viel weniger Zeit in Anspruch nimmt als eine weitere und allein damit schon keine sinnvoll modellierende Vergleichbarkeit bzw. Sortierbarkeit nach Handlungstyp besteht.
Alternativ kann man versuchen, die aufgeführten Aktionen in ihrem Zeitbedarf möglichst einheitlich zu halten (was außer bei absurd kurzen Kampfrunden immer noch das gerade angesprochene Problem mit sich bringt). Das führt meist zu eher kurzen Kampfrunden und Aktionen, die selten begonnen werden, weil sie mehrere Kampfrunden dauern würden und der mögliche Ertrag nicht im Verhältnis zum zeitlichen Aufwand steht.
Der eigentliche Knackpunkt dabei ist aber:
Egal ob die Handlung vor der Initiativebestimmung angesagt werden muss oder nicht, zäumt man mit klassischen Ini-Regeln das Pferd von hinten auf.
Es wird bestimmt, wer zuerst handelt und erst im nächsten Schritt wird darauf geschaut, was da überhaupt stattfindet.
Dabei ist ja eigentlich relativ egal, wer zuerst mit seiner Handlung anfängt, aber um so wichtiger, wer zuerst damit fertig ist. Das kann aber gar nicht getrennt von der Art dieser Handlung gedacht werden.
Stehen sich beispielsweise zwei Akteure in Nahkampfdistanz gegenüber und A will einen Heiltrank vom Gürtel nehmen und trinken (was zugunsten des Beispiels in einer Kampfrunde möglich sei), während B ihn genau einmal schlagen will - wie soll denn da keine völlig schräge Vorstellung von den Abläufen entstehen, wenn A die Initiative gewinnt und mit seiner elend langen Handlung vor B mit seiner sehr kurzen Handlung fertig ist (siehe oben verlinktes Video)?
Es wird doch umgekehrt ein Schuh draus: Die beabsichtigten Handlungen sind es, die zuallererst die Reihenfolge der (möglichen) Wirkungseintritte bestimmen und erst im zweiten Schritt muss man sich anschauen, welche Handlungen in ihrer Dauer so nah beisammen sind, dass sich die Frage nach der Reihenfolge überhaupt sinnvoll stellen kann.
Wie also diese Handlungen idealerweise so fein sortieren, dass auch Handlungen des selben Typs sauber nach ihrer Dauer sortiert werden (kurze vs. weite zurückgelegte Distanz) und zugleich kein absurder Verwaltungsaufwand entsteht?Drittens:
Einige Handlungen beruhen auf Interaktion und sind damit zwingend zeitlich aneinander gebunden.
Paradebeispiel (pun intended) Nahkampf:
Wenn jemand eine ganze Runde lang angegriffen wird, wehrt er sich auch die ganze Runde lang und kann nicht "danach" noch etwas anderes tun,
weil die Runde zu Ende ist. Es gibt kein "danach". Höchstens gibt es ein "stattdessen", d.h. man tut etwas völlig anderes und ist damit kein Kampfteilnehmer, sondern ein schlichtes Ziel (wenn dieses völlig andere nicht schneller umgesetzt ist und dazu führt, dass der Nahkampf nicht mehr stattfindet).
Das gilt unabhängig davon, ob man quasi traditionell den Nahkampfwurf als Zusammenfassung aller Einzelkomponenten des Nahkampfs in einem Zeitraum X definiert (wobei dann eine Sequenzierung erst recht sinnlos ist: erst macht A alles, was so zu einem Nahkampf gehört mit Abtasten, Fintieren, Distanz suchen, eigentlichen Angriffen, Paraden usw. - und danach macht B das selbe, wobei jeweils nur der aktiv Handelnde eine Wirkung erzielen kann? Das ist völlig wirr) oder ob man ihn als einzelnen Angriff oder höchstens eine kurze Kombination betrachtet (und dann entsprechend kurze Kampfrunden braucht, um das überhaupt irgendwie glaubwürdig erscheinen zu lassen - Stichwort Leerlauf).
Nebenbei sollte man nicht übersehen, dass die verbreitete Definition eines Nahkampfwurfes als Zusammenfassung eines längeren Schlagabtausches bedeutet, dass uns dieser Wurf gar kein Ergebnis mehr liefern kann (!), wer zuerst etwas versucht, sondern nur, wer zuerst oder überhaupt Erfolg hat.
Damit ist es aber erst recht unsinnig, einen oder noch schlimmer mehrere dieser Abläufe nach Ini-Reihenfolge sortieren zu wollen.
Wenn es jenseits von Erfolg oder Misserfolg eine zeitliche Reihenfolge braucht, bestimmt sich diese nach den zugehörigen Aktionswürfen (was allerdings voraussetzt, dass einheitliche Würfelmechaniken verwendet werden und damit eine direkte Vergleichbarkeit besteht): Derjenige mit dem höchsten Wurf hat zuerst Erfolg. Ob das auch der erste Versuch war, bleibt unscharf.
Wie passt man diese Art der Gleichzeitigkeit und Interaktion in den Initiativeablauf ein?Den gordischen Knoten der markierten Fragen zerschlagen wir, indem wir in ähnlicher Weise wie bei pbtA die Kernaufgabe des SL in Sachen Ini ändern von der reinen Verwaltung der Initiativeregeln zur Bewertung der angesagten Handlungen.
Dabei sind dann aber nicht dramaturgische Betrachtungen die zentrale Leitlinie, sondern die physischen Abläufe in der Spielwelt.
Damit erledigen sich die offensichtlichen Fälle ohne regelseitigen Aufwand, sowohl was extrem verschiedene Handlungsdauern betrifft (Trank vs. Schlag) als auch die zwingende Gleichzeitigkeit und Wechselwirkung von Abläufen (Nahkampf). Hier ist schlicht keine Initiativebestimmung notwendig (und eine Reihenfolge lässt sich wie gesagt bei Bedarf meistens aus den eigentlichen Aktionswürfen ableiten).
Initiative bestimmt wird also nur noch in den Fällen, in denen es fraglich ist, wer zuerst handelt bzw. wessen Handlung zuerst wirkt. Das betrifft sehr oft nur einzelne Akteure und selten ganze Gruppen oder alle Beteiligten.
Das bedeutet, dass die Spieler lernen müssen, klar verständliche und bewertbare Handlungsansagen zu machen und es
als Normalfall begreifen, keine Initiative zu bestimmen, weil diese Bestimmung in den meisten Fällen überflüssig und reine Gewohnheit ist.
Ebenso muss der SL eine ganzheitliche Vorstellung davon entwickeln, wie Kampfsituationen im bespielten Setting ablaufen und das der Gruppe vermitteln.
Bildlich gesprochen hat der SL mit dieser Herangehensweise in Situationen, wo üblicherweise Initiative bestimmt wird oder das zumindest unmittelbar bevorsteht, einen Schalter mit drei Positionen:
- Schneller Vorlauf:
Die Spieler sagen ihre Handlungsabsichten an und der SL lässt diese Handlungen so lange laufen, bis sich die Notwendigkeit zu einer neuen Entscheidung ergibt.
Es finden also keine Kampfrunden statt, sondern es wird bis zum nächsten Entscheidungspunkt "vorgespult" (in Anführungszeichen, weil die Spielweltabläufe bis dahin natürlich nicht übersprungen, sondern beschrieben werden).
Meistens verwendet man das da, wo kein
unmittelbarer Feindkontakt besteht.
Das entspricht dem üblichen Vorgehen außerhalb des Kampfes.
- Normale Geschwindigkeit:
Die Spieler sagen ihre konkreten Handlungen für die anstehende Kampfrunde (i.d.R. also die nächsten X Sekunden) an, danach präsentiert der SL erkennbare NSC-Absichten, die ggf. ein Umschwenken erfordern und die Runde nimmt ihren Gang.
- Zeitlupe:
Die unmittelbar Beteiligten einer entsprechenden Situation bestimmen Initiative und handeln in der sich ergebenden Reihenfolge.
Wohlgemerkt kann die Entscheidung des SL für eine Ini-Bestimmung aus dem schnellen Vorlauf oder der Normalgeschwindigkeit erst nach der Ansage von Absichten oder konkreten Handlungen erfolgen.
Damit ist die Initiative also nicht mehr der große Hauptschalter, mit dem in den Kampfmodus gewechselt wird und im weiteren Verlauf die Liste, nach der sich alles zu richten hat, sondern ungefähr auf die Bedeutung eines Wahrnehmungswurfes o.Ä. zurechtgestutzt.
Dieser Ansatz lässt sich in viele konventionelle Systeme implementieren, sofern sie die angeklungenen Voraussetzungen erfüllen (Vergleichbarkeit von Kampfproben untereinander sowie mit "normalen" Proben, Umbaumöglichkeit auf vergleichende Nahkampfwürfe, kein weit ins System reichendes Tick-System o.Ä.).
Man hat dann aber kein bequemes Schema, das man immer wieder abarbeiten kann und muss sich die Arbeit machen, eine stringente gemeinsame Vorstellung von den Abläufen im Kampf zu erarbeiten (was je nach Gruppe sowohl trivial oder das unumgängliche Aus für diesen Ansatz sein kann - wobei mir selbst im letzteren Fall nicht klar ist, wie man mit so weit abweichenden Vorstellungen überhaupt "genießbar" miteinander spielen kann. Wohl nur, indem man sich stumpf auf die Regelmechanik beruft und jeder sein eigenes Bild entwickelt, das dann auch gerne mal deutlich von dem der anderen Spieler abweichen kann).
Damit der Thread in Gang kommt:
Wäre das was für euch und wenn das alles Kappes ist, warum?
Was stört euch warum an den Ini-Regeln eurer aktuellen Systeme?
Und wenn ihr damit gar nichts anfangen könnt, beschreibt einfach unsortiert irgendwelche Ini-Regeln