So, ich betreibe mal Thread-Nekromantie
Verfolge diesen Faden seitdem er entstanden ist, habe mich aber bisher sehr zurückgehalten. Da das Thema in unterschiedlicher Form immer wieder aufkommt (u.a. ja auch
hier), dachte ich mir, es lohnt sich vielleicht doch nochmal dazu zu posten.
Erstmal zur letzten Frage, die aufkam: Ich bin auch kein BWLer und echt kein Profi in dem Bereich, insofern seht das, was ich jetzt schreibe, mit einem „grain of salt“, wie man so schön sagt. Aber ich bin ehemaliger Firmenbesitzer und hab damit ein klein bisschen praktische Erfahrung. Deutlich kleinere Firma allerdings. Da hatten wir auch immer so etwa ein Jahr Pufferzone, das war eigentlich ganz gesund, vor allem wenn man in keiner Industrie ist, die wahnsinnig großen Schwankungen unterworfen ist.
Für mich liest/las sich das eigentlich relativ gesund.
Dann kam die Entlassungswelle bei Ulisses, aber die hat glaube ich eher etwas mit dem Ukrainekrieg zu tun… Komme ich gleich noch dazu.
Weshalb ich den Thread wiederbelebe ist aber eigentlich etwas anderes.
Ich glaube nämlich, dass der Grund dafür, dass der deutsche Rollenspielmarkt so klein ist, hauptsächlich im Geschäftsmodell begründet liegt.
Das dürfte auch der größte Unterschied zwischen deutschen/europäischen und beispielsweise US Rollenspielverlagen sein.
Was meine ich damit?
Das Geschäftsmodell Rollenspiel in Deutschland ist eigentlich recht simpel.
Schreib ein Rollenspiel.
Drucke es in Form eines Buches.
Verkaufe die Bücher.
Ende.
Das hat eine ganze Reihe krasses Vorteile. Zum Beispiel gilt das Buch in Deutschland als Kulturgut und hat damit eine ganze Reihe Privilegien. Verringerter Mehrwertsteuersatz. Buchpreisbindung. Relativ standardisierte Vertriebswege durch ISBN.
Gerade die Kombination aus Buchpreisbindung und verringertem Mehrwertsteuersatz macht das Geschäftsmodell Buchverlag äußerst attraktiv, denn
a) ich als Verlag bestimme den Verkaufspreis, nicht der Händler. Das heißt ich verhandle nur einmal über die Marge (und selbst das stimmt nicht wirklich, denn da gibt es branchenübliche Bänder) und der Händler hat danach keine Möglichkeit mehr zu mir zu kommen und zu sagen: Ey, ich finde dein Produkt ja super, aber die Kunden wollen es zu dem Preis nicht kaufen. Würde es gerne für 10% weniger anbieten, aber du müsstest mir da entgegen kommen.
Das spart jede Menge Aufwand.
b) Selbst wenn der Verlag mal ein relativ schlechtes Jahr hat und genauso viel Geld einnimmt, wie er ausgibt, macht er damit netto immernoch einen (sehr kleinen) Gewinn, denn seine Ausgaben werden mit 19% versteuert, seine Einnahmen nur mit 7%. Sprich er kriegt vom Fiskus Steuern zurück.
Das macht dieses Geschäftsmodell erstmal sehr attraktiv.
Das Problem ist, dass das Geschäftsmodell 19tes Jahrhundert ist, die Welt aber mittlerweile im 21. Jahrhundert angekommen ist. Und das bedeutet dreierlei:
1. Gestiegener Wettbewerb
2. Verringerte Aufmerksamkeitsspanne/Geduld der Konsumenten
3. Veränderte Marktbedingungen
Zum Wettbewerb:
Buchverlage stehen nicht mehr nur in Konkurrenz mit anderen Buchverlagen. Sie stehen in Wettbewerb mit allem, was Freizeitgestaltung ist. Dem Internet. Handyspielen. Kino. Streaming. Usw.
Das ist die erste Hürde, die sie nehmen müssen.
Mal ein drastisches Beispiel:
Ich bin irgendwo verabredet, die Verabredung sagt kurzfristig ab, ich hab plötzlich 120 min Freizeit gewonnen. Was mach ich damit?
Selbst wenn ich Rollenspiel kenne und grundsätzlich daran interessiert bin, ist die Hürde online zu gehen, mir etwas dazu anzulesen, mir ein Spiel zu bestellen, DEUTLICH höher als einfach schnell irgendein Handyspiel herunterzuladen, dass verspricht ein Rollenspiel zu sein.
Und das ist nur der Fall bei einer Zielgruppe, die schonmal von Rollenspiel gehört hat.
Wenn ich von einer Zielgruppe spreche, die keine Ahnung hat von Rollenspiel, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie zufällig darüber stolpert, gleich 0.
Ja, sie stolpern vielleicht (!) über D&D, weil sie Big Bang oder Stranger Things oder irgendeine andere Nerd/80er Jahre Serie schauen. Aber das ist dann D&D, nicht Rollenspiel.
Und trotzdem muss das dann noch mit all den anderen Freizeitaktivitäten konkurrieren.
Ich bin da das beste Beispiel. Ich spiele Rollenspiele seit ich 14 bin. Mittlerweile habe ich zwei Jobs und Familie. Allein Zeit zu finden, an der ich wirklich Zeit zum Spielen habe, ist nicht leicht, das dann noch mit den Terminkalendern meiner Runde zu koordinieren – nahezu unmöglich. Netflix & Chill ist da leichter.
Rollenspielverlage müssten MASSIV in Marketing investieren, um Rollenspiel (lies: Nicht D&D) bekannter zu machen in der Breite. Die RocketBeans haben gezeigt, was das bringt. Die hatten nur eins: Reichweite. Die haben sie genutzt und aus dem Stehgreif 5000+ Rollenspielbücher verkauft. Ich glaube damit waren sie aus dem Stehgreif das dritt- oder viertmeist verkaufte Rollenspiel in Deutschland.
Weil sie Reichweite haben.
Rollenspielverlage haben die nicht.
Aber selbst wenn sie Reichweite hätten – und das ist immer das sehr valide Gegenargument – wäre es für Rollenspielverlage nicht ökonomisch, denn der Aufbau dieser Reichweite würde sie mehr kosten, als sie letztlich einnehmen würden, weil es eben noch weitere strukturelle Hürden gibt. Im Geschäftsmodell begründet.
Und das bringt uns zu zweitens:
Verringerte Aufmerksamkeitsspanne der Konsumenten:
Ich hab es schon anklingen lassen: Die heutige Konusmentenschaft (und nein, das ist nicht nur auf Kids und Jugendliche begrenzt, ich kenne so viele Menschen 50+ die wenn sie etwas nicht innerhalb von 10 Sekunden verstanden haben das Interesse verlieren) hat eine Aufmerksamkeitsspanne vom sprichwörtlichen Goldfisch. Was nicht sofort klappt, ist es nicht wert.
Das ist tödlich für klassische Rollenspiele.
Nehmen wir erneut an, ich als Rollenspielverlag habe es geschafft Interesse bei Neukunden zu wecken und habe sie sogar dazu bekommen, eigeninitiativ und aktiv nach Rollenspielen zu suchen (das müssen sie nämlich machen, um überhaupt an Rollenspielbücher ranzukommen).
Was dann?
Erstmal haben sie eine überwältigende Auswahl. Tausende Rollenspiele. Das nimmt schon gleich wieder die Lust am Spiel, denn die Wahrscheinlichkeit nicht das perfekt für mich geeignete Spiel zu finden ist gleich 0.
Nachdem sie sich entschieden haben, müssen sie bestellen, bezahlen, MINDESTENS einen Tag auf die Auslieferung warten (wenn sie beim bösen A bestellen), und dann… haben sie ein 300-600 Seiten starkes Buch vor sich, dass sie erstmal lesen müssen.
Uff.
Drei Monate später, die Lust zu spielen ist mittlerweile wahrscheinlich komplett vergangen, hat man dann die Regeln drauf und muss sich eine Gruppe suchen. Was nochmal einige Wochen kosten kann.
Ihr seht, ich übertreibe bewusst, aber das Potenzial auf dem Weg von der Spiellust zum eigentlichen Spiel enttäuscht und frustriert zu werden ist riesig. Und das wiegt umso schwerer, je mehr wir in Zeiten leben, in denen instant gratification die Aumerksamkeitsökonomie steuert.
Die bisherige Strategie von Rollenspielverlagen (Ausnahmen bestätigen die Regel) war es meiner Meinung nach, sich auf den Kern zu konzentrieren und sich beim Marketing auf die (anspruchsvolle) Community und Zufälle zu verlassen.
Systematische Neukundengewinnung findet fast (!) nicht statt, vom Umbau großer IPs in Rollenspiele mal abgesehen.
Und solange die – wie nannte der Eismann sie? Würfelmumien? - solange die Würfelmumien immer mehr Einkommen generieren, dass sie bereitwillig in ihr Hobby stecken, ist das auch mehr oder weniger ein Nullsummenspiel. Zumindest die Marktbedingungen gleich bleiben. In den letzten Jahr(zenht)en ist durch den Digitaldruck, durch stabile Preise bei den relevanten Rohstoffen, usw. die Marge im Markt eher gestiegen, soweit ich das von außen beurteilen kann.
Das hat sich jetzt geändert.
Veränderte Marktbedingungen:
Aktuell gehen Rohstoffpreise durch die Decke. Energie wird teurer. Papier wird teurer. Die Löhne steigen.
Auf einmal erweist sich die Buchpreisbindung als Fluch. Denn der Preis für die Rollenspielbücher kann nicht im gleichen Maße steigen, wie es notwendig wäre. Er kann nicht dynamisch auf den Markt reagieren. Lebensmittel, Mieten, alles ist in den letzten Monaten teurer geworden. Rollenspielbücher nicht.
Hier hat sich der lange Vorteil des Geschäftsmodells Buch ins Gegenteil verkehrt. Konnte niemand vorhersehen, aber das ist meiner Meinung nach die aktuelle Entwicklung.
Und was heißt das jetzt?
Wenn man dafür sorgen will, dass der Rollenspielmarkt in Deutschland größer wird, dann muss man das aktiv und systematisch entwickeln. Märkte entstehen nicht einfach so, sie wachsen nicht einfach so. D&D hatte da, glaube ich, einfach viel Glück. Sie sind in zwei der erfolgreichsten TV Shows des letzten Jahrzehnts relativ prominent platziert worden (vielleicht haben sie sich da auch selber platziert, keine Ahnung), und damit haben sie den Markt für sich massiv erweitert. Aber in Stranger Things und Big Bang Theory wird halt nicht Rollenspiel gespielt. Es wird D&D gespielt. Und die ganzen anderen Probleme bestehen weiterhin, auch wenn WotC das ebenfalls erkannt zu haben scheint und ja jetzt mit OneD&D angeht.
So sehe ich das zumindest. Wenn man das Geschäftsmodell nicht grundlegend ändert, wird es in Deutschland kein Wachstum mehr geben. Der Markt für Rollenspiel in Buchform ist weitgehend gesättigt.
Aber das muss ja nichts schlimmes sein.
Und wie gesagt, das ist alles nur meine Sicht und Spekulation. In einem anderen Thread (
hier, für die, die es interessiert) hab ich mir mal Gedanken dazu gemacht, wie ich ein Rollenspiel aufziehen würde, das sich vom Geschäftsmodel Buch löst. Werde ich auch versuchen weiter voranzutreiben, vielleicht funktioniert es ja wirklich