Zum Eingangsbeitrag:
Danke, felixs, das bringt tatsächlich sehr gut einen Großteil meiner Rollenspielerfahrung auf den Punkt (und ich verbinde sowohl Positives als auch Negatives damit).
Wir haben über Jahre hinweg DSA4 so gespielt, wie du es beschreibst – uns einerseits auf den gesamten Welt- und Regelkanon bezogen, den andererseits aber zu 90% im Hintergrund wabern lassen und eigentlich nur punktuell aufgegriffen. (Mein Lieblingsbeispiel ist, dass ich mir für meinen Weidener Ritter einmal die Reiterkampfregeln draufgeschafft habe und wir dann konkret abgemacht werden, dass du bei einer bestimmten Schlacht jetzt auch mal Anwendung finden; und das eine Mal hat das durchaus Spaß gemacht, aber es war halt alles andere als üblich, dass solche Feinheiten bei uns an den Tisch kamen.) Und trotzdem war alles wichtig, dass diese fetten Regel- und Settingbücher im Hintergrund stehen und eine gewisse (wenn auch nicht absolute) Verbindlichkeit hatten. All das gelesen hat keiner, deshalb war unser praktisch aus den Texten abgeleitetes Regel- und Weltkonstrukt tatsächlich ein interaktives Wabern.
Im Moment spiele ich in einer anderen Gruppe – und etwas bewusster – Shadowrun 6 genau so. Wenn wir Lust haben, frickeln wir uns mal kurz in was rein und schauen, ob es Spaß macht, und dann wird auch schnell wieder gehandwedelt. Ich habe – wenn es sehr hoch kommt – vielleicht 10 Prozent des Regelwerks gelesen, und dass, obwohl ich eine Schamanin spiele.
Re OP: Schön und liebevoll ausgedrückt. Das Wohlwollenste was ich je dazu gelesen habe.
Analytisch sehe ich keine Trennkraft zur "Trad Culture of Play". Negativ möchte ich dem Spielstil auf jeden Fall ankreiden, daß er ausgrenzend ist, da die Codes und Weglassungen fluide sind, man muß schon vorher wissen wie man sich zu benehmen hat. Dort, wo Versuche unternommen wurden, die real existierende Spielkultur auszudrücken sind höchst problematische Texte entstanden (vgl. Kiesows "Auf ein Wort") Faktisch führt das zu einer sozialen Homogenisierung der Gruppen (und allem, was da drannehängt), was man auch in Deutschland immer wieder finden kann.
Insofern, bei allem Respekt vor dem wohlmeinenden Namen: Der ausgrenzenden Schwundform wird nachträglich ein Begriff aus der Hochkultur zugeordnet. Im mindesten ein Euphemismus, im schlimmsten Falle Klassenkampf von oben. Pragmatisch sehe ich es in der Mitte: nachträgliche Beschönigung einer Schwundpraxis auf dem absteigendem Ast.
Die Klassenkampf-von-oben-These finde ich mehr als gewagt, im Endeffekt baust du die ja nur auf dem Umstand auf, dass es in dieser Art von RSP soziale Codes gibt, oder? Die gibt es aber überall und vor allem auch überall im RSP (und an einigen dieser Codes bin ich schon hart abgeprallt). Warum soll jetzt gerade das, was felixs IR nennt, „von oben“ kommen? Meine anekdotische Erfahrung sagt mir sogar das Gegenteil: In unserer oben beschriebenen DSA4-Gruppe war ein Dauerharzer ohne Abi Spielleiter und auch derjenige, der mit dem Herzen am meisten daran hing, genau die impressionistische Art des Spielens fortzuführen (während ich studiertes Akademikerkind immer das Ideal vor mir hergetragen habe, in Sachen Setting und Regeln transparente Systeme zu spielen, die dafür dann aber auch „vollständig“).
Die Probleme mit dem Kiesow-Text liegen ganz woanders: Er hat ja schon ganz richtig erkannt, dass das gemeinsame Spielen ohne gemeinsame Agenda (oder zumindest kooperative Agenden) tendenziell für alle frustrierend ist; nur wollte er dieses Problem eben mit autoritärer Pädagogik lösen. Das hat aber m.E. mit dem, was felixs beschreibt, an sich nichts zu tun, sondern einfach damit, dass er postuliert hat, es gäbe eine falsche ("He, mein lieber ich hab Abrichten 17!") und eine richtige (Sätze mit "Fürwahr!" beginnen und so) Art zu spielen, und fand, die richtige Art zu spielen muss im Zweifelsfall durch die SL durchgesetzt werden.
Ich wäre auf jeden Fall interessiert daran, Argumente dafür zu hören, warum gerade "impressionistisches Rollenspiel" im Gegensatz zu anderen Herangehensweisen Klassenkampf von oben sein soll. (Es sei denn, es geht dir tatsächlich nur darum, dass so ein bildungsbürgerlicher Begriff verwendet wird. In dem Fall: Okay, auch geschenkt, aber auch nicht besonders interessant und ggf. austauschbar.)