Jedes neues RPG das in einem Nischensetting erscheint (Terminator, Avatar, Dragon Prince), braucht es dazu wirklich ein neues Crowdfunding? Neue Regeln? Neue Bücher? Wirklich?
Naja... brauchen wir? Was meint ihr?
Meine Gedanken dazu, schnell zusammengehacktEs kommt darauf an (und nicht nur darauf, ob ich besagtes "Nischensetting" mag oder nicht). Für mich ist entscheidend:
- Wie die Vorlage beschaffen ist
- Was die Regeln tun wollen
- Wie beides zusammenwirkt
Dabei stellen sich mehrere Fragen.
1. Zeichnet sich in der Vorlage bereits ein Setting ab, das ein Potenzial für andersgestaltige Rollenspielgeschichten außerhalb der Inhalte und Protagonisten des Films / der Serie / des Videospiels beinhaltet? Nein => Settings mit sehr protagonist:innen-zentrischem Worldbuilding; häufig "soft worldbuilding"-SettingsEin "Simpsons"-Rollenspiel würde wenig Sinn ergeben, da das Worldbuilding eigentlich auf eine parodistische Version des normalen Amerika abzielt und alle Handlung auf die Familie ausgerichtet ist. Ich würde fast sagen, für Entenhausen gilt dasselbe... aber da mögen die Geschmäcker unterschiedlich sein.
Das "Braut des Prinzen"-Rollenspiel gibt es zwar, aber es gibt für mich ebensowenig Sinn, weil die Vorlage eigentlich so sehr von Charakterhandlungen getrieben ist, dass das Setting einfach nicht trägt. Es ist zu merkmalslos, zu unspezifisch.
"Terminator" wäre auch so ein Film, der sehr plotgetrieben ist. Gerade durch den Zeitreiseaspekt ist auch nicht klar, was das generische Terminator-Setting eigentlich genau wäre. Allerdings ist das doch ein Grenzfall: Das Spiel während der Rebellion der Maschinen und SkyNets, die ja über die Jahre an Sequels immer weiter ausgeschmückt wurde, kann man sich beispielsweise gut vorstellen.
"Mein Nachbar Totoro" hat kein Setting. Es hat nur ein paar magische Charaktere.
"Die Ritter der Kokosnuss" hat kein Setting. Es hat nur eine parodistische Lackierung, die über ein Setting gepinselt wurde.
Ja => Settings, die Ereignisse, Orte und Entwicklungen andeuten und ausarbeiten, die sich der Kenntnis oder dem Einfluss der Protagonist:innen entziehen; "hart worldbuilding"-Settings können (!) hier Vorteile haben"Avatar: The Last Airbender", auch oben genannt, ist ein hervorragendes Beispiel für ein Setting, das sich für ein eigenes Rollenspiel anbietet (intelligenterweise haben die Autor:innen im Setting sogar noch mehrere Epochen des Originalsettings spielbar gemacht, auch über die in der Serie gezeigten Avatare Aang und Korra hinaus). Von Minute 1 an hat das Setting eine reiche Geschichte, die Protagonisten besuchen viele, phantastische Örtlichkeiten, es gibt Fraktionen und Politik.
"Disco Elysium" spielt zwar in einem sehr kleinen Ausschnitt seiner Spielwelt, aber es lässt sein Gesamtsetting durch Gespräche mit Figuren im Setting auch immer wieder aufblitzen. Dabei ist alles vertraut genug, dass man leicht Dinge hinzuimaginieren kann, aber exotisch genug, dass Geschichte, politische Gruppen und Geographie erklärt werden müssen. Kann funktionieren. (Und es kriegt ja tatsächlich sein eigenes Pen&Paper-RPG).
"Men in Black", "Warehouse 13", "Assassin's Creed"... alles Settings, die eigentlich nur darauf basieren, dass unsere Realwelt von einer bestimmten Organisation (oder einer Mehrzahl Organisationen) und irgendwie überirdischen Versatzstücken beeinflusst wird. Das würde gefühlt für mich funktionieren...
Zusammenfassend zu diesem Aspekt: Ich glaube ein Setting benötigt eigentlich nur eine Sache, um sich wirklich fürs Rollenspiel zu eignen: Konflikte und
Fraktionen, die über die Protagonist:innen des Originalprodukts hinausweisen und nicht auf der persönlichen Ebene verbleiben.
So ziemlich alle Konflikte in "Die Braut des Prinzen" sind persönlich => Schlecht geeignet für ein RPG-Setting
So ziemlich kein Konflikt in "Assassin's Creed" ist persönlich => Gut geeignet für ein RPG-Setting
Solche Konflikte müssen im Setting angelegt sein – müssen die Autoren sie für das Rollenspiel hinzudichten, ist es strenggenommen nicht mehr "XYZ – Das Rollenspiel", sondern eigentlich "Das Rollenspiel, das neben XYZ stattfindet". (Jetzt kann man über Spiele wie "Der Eine Ring" oder "Dune" trefflich streiten, ob das in den Konflikten gegeben ist, und ich würde in beiden Fällen ja sagen. Tatsächlich verfügen beide Settings noch über Elemente, die ebenfalls dabei helfen, sie als vollwertige Rollenspiele schon aus der Vorlage heraus zu bespielen:
- Geographie (eine Weltkarte zu haben macht schon viel aus, auch die Erwähnung ferner Lokalitäten, Sprachen und Völker)
- Geschichte (eine Zeitleiste hilft auch ungemein, ein Mediensetting zu einem Spielsetting zu machen; sie verweist darauf, dass die Welt eine Eigendynamik hat)
Fraktionen +
Geschichte +
Geographie +
unpersönliche Konflikte = gut geeignetes Rollenspielsetting, das als eigenes Spiel fruchtbar sein kann. Sogar wenn ich, keine Ahnung, "Basic Roleplaying" für "Rivers of London" oder "Storyteller" für "Street Fighter" oder "GURPS" für die frickin' Scheibenwelt dafür verwende.
AAAAAAABER...
2. Sorgen die Regeln dafür, ein bestimmtes Spielgefühl zu erzeugen, dass dem Vibe, dem Style, der Erzählweise oder den emotionalen Beats der Vorlage Rechnung trägt? Ja?
Dann vergesst alles, was ich oben schrieb.
Selbst wenn nichts von all dem gegeben ist, kann ich trotzdem ein Rollenspiel zu einem Setting aus Buch / Film / Videospiel machen, das den Namen seiner Vorlage verdient. Aber auch nur, wenn die Regeln des Spiels das erfahrbar machen, was die Vorlage in irgendeiner Weise ausmacht.
"Cowboy Bebop" ist, finde ich, kein Setting, das genug Fleisch auf den Knochen hat, um in die obige Kategorie zu fallen (alle Konflikte in diesem Anime sind persönlich). Aber das Regelsystem zum gleichnamigen Rollenspiel scheint auf den ersten Blick sehr darauf erpicht zu sein, zu simulieren, wie "Cowboy Bebop" als Serie funktioniert. Wie seine Episoden aufgebaut sind, wo die Beats liegen, und was Leute bei "Cowboy Bebop" so tun.
Ich denke dasselbe kann man irgendwo auch dem "Monty Python"-Rollenspiel bescheinigen.
Das ist die zweite Möglichkeit: Ich mache ein offzielles Spiel, das so funktioniert, wie meine Vorlage funktioniert. Damit die Spieler, die es spielen, das Gefühl haben, die Vorlage zu spielen.
Das kann den Mangel an "Settingfleisch" ein stückweit auffangen, finde ich. Den Versuch, das zu tun, gibt es immer schon: Das alte "Turtles"-Rollenspiel hat das zum Beispiel versucht.
Interessanterweise gibt es eine Menge Spiele, die diesen Weg gehen, ohne explizit den Namen der Vorlage auf dem Cover zu haben:
- "Wicked Ones" ist das Rollenspiel, das funktioniert wie "Dungeon Keeper"
- "Inspecters" ist das Rollenspiel, das funktioniert wie "Ghostbusters"
- "Fabula Ultima" ist das Rollenspiel, das funktioniert wie die "Tales of..."- und "Final Fantasy"-JRPGs
- "We used to be friends" ist das Rollenspiel, das funktioniert wie "Veronica Mars"
- "Girl Underground" ist das Rollenspiel, das funktioniert wie "Alice im Wunderland" oder "Narnia"
- "A Good Society" ist das Rollenspiel, das funktioniert wie die Romane von Jane Austen
Zusammenfassend zu diesem Aspekt:Regeln erzeugen ein Spielgefühl. Rollenspiele basierend auf bekannten Settings sind dann besonders interessant (für mich), wenn die Regeln versuchen, das Setting auszudrücken. Das kann dafür sorgen, dass man sich als Spieler:in fühlt, als sei man in dieses Setting abgetaucht, ohne dass das Setting selbst Anhaltspunkte wie Fraktionen, Geschichte etc. bieten muss.
Fazit: Wie wirken sie zusammen
Ich mag Rollenspiele zu Büchern / Filmen / Videospielen, die beide der obigen Aspekte beinhalten... das halte ich für die Königsklasse in der Umsetzung von Fremdstoffen. Wo das nicht gegeben ist, ist mir das Setting oft etwas zu dünn, um mehr als einen One-Shot zu rechtfertigen (und sowas kann vieeeeel Spaß machen; ich habe z.B. schon One-Shots im "Futurama"-Setting, im "Final Fantasy X"-Setting oder im "Zelda: Four Swords"-Setting geleitet).
Daher sollte das Setting zumindest den ersten Aspekt von sich aus hinreichend abdecken.
Welchen Settings ich das zugestehe, ist dann natürlich auch stark von meinem Geschmack abhängig. "Hollow Knight" hat, finde ich, ein grandioses Setting, in dem ich gerne spielen würde... aber es mag nach den Kriterien weiter vorn doch nicht ganz entsprechen.
Was meint ihr? Brauchen wir solche Settings? Trägt meine Einteilung oder habt ihr etwas zu ergänzen?