Hat schon jemand erwähnt, dass so Subkulturen meist so einen "Subkultur -> Mainstream -> Kommerzialisierung -> Verlust des Besonderen der Subkultur -> InVergessenheit geraten" geht?
Nein.
Weil es nicht stimmt.
Ohne jetzt zu sehr ins OT gehen zu wollen.
Der Ablauf, den ich sehen würde, ist eher der folgende:
Subkultur => Kommerzialisierung => Medienpräsenz => "Mainstream" => Abgrenzungsbewegung neuer Subkulturen von dieser Subkultur => die dann diesen Kreis wieder durchlaufen...("In Vergessenheit" gerät entweder nichts wirklich. Oder irgendwann alles. Story of our life.)
Rollenspiel war und ist bereits
vor den Plänen zu
One D&D massiv durchkommerzialisiert gewesen und hat auch in Schüben durch die Medien immer wieder einen Zuwachs an Neuspieler:innen erfahren. Wir sollen nicht so tun als würde nicht jetzt bereits (im Ganzen) wahnsinnig viel Geld mit diesem Hobby verdient. Chessex verkauft seine Würfel wohl nicht ausschließlich an Kniffel-Vereine oder Leute, die ihr Warhammer 40K mit rosa Slaneesh-Würfeln aufpeppen wollen. Die brauchen nämlich alle keine W10 oder W20 in X verschiedenen Farben. Von den Kickstartern fange ich gar nicht erst an.
(Dass der Kleinverlag mit seinen Spielen nicht ausreichend verdient, um seine Leute zu bezahlen, liegt eigentlich auch mehr daran, dass wir nicht mehr Geld für Rollenspiele ausgeben wollen oder können.)
Nichts wird Mainstream, dass nicht bereits von vornherein kommerzialisierbar oder gut medial in Szene setzbar ist.
Wobei wir uns auch fragen dürfen, ob
"Rollenspieler:innen" überhaupt eine Subkultur sind. Wikipedia jedenfalls schreibt:
Subkultur ist eine soziologische Bezeichnung für die mehr oder weniger abweichende Kultur der Teilgruppe einer Gesellschaft. Der Grad der Abweichung reicht von bloßen Modifikationen bis zu ausdrücklichen Gegenpositionen. Demnach hatten solche abweichenden Gruppen eigene Normen entwickelt, die sich vor allem vom Wertekanon der weißen Mittelschicht bewusst absetzten, dabei aber keineswegs emanzipatorische oder gar revolutionäre Absichten verfolgten, sondern teilweise eigene, oft eher archaisch anmutende Regeln aufstellten.
Der Subkulturansatz basiert darauf, dass große soziale Systeme in unterschiedliche Subsysteme ausdifferenziert sind, die sich dadurch unterscheiden können, dass in ihnen unterschiedliche, nuancierte Normen gelten. Diese Normen können von denen des Gesamtsystems relativ stark abweichen.
[...]
Heute wird der Begriff der „Subkultur“ in der Wissenschaft seltener verwendet. Dies ist hauptsächlich deshalb der Fall, weil die Definition einerseits unklar ist – zumeist ist davon die Rede, dass eine Gruppe „weitgehend“ andere Normen als die Hauptkultur aufweist –, andererseits die meisten so bezeichneten Gruppen sich selbst abweichend auffassen. Der Begriff kann gerade wegen seines populären Gebrauches oft nur schwerlich wertfrei verwendet werden. So wird es immer noch bisweilen als ungewohnt empfunden, wenn er beispielsweise für ein Parlament oder auch für eine Konfessionsgruppe angewendet wird.
Nach meiner Erfahrung hat das Rollenspielhobby natürlich intern soziale Codes und Normen, denen Rollenspieler:innen folgen, doch das gilt für buchstäblich
alle anderen Hobbies nicht minder.
Der "Verlust des Besonderen" ist eigentlich nichts anderes als das Gefühl eines Verlustes von Exklusivität und Deutungshoheit, den bestimmte Rollenspiel-"Unterkulturen" (in diiiiicken Anführungszeichen) für sich selbst beeanspruchen. Da kommt es dann darauf an, zu welcher Alterskohorte and Rollenspieler:innen man gehört und was während der eigenen
Conversion Phase "der shit" im Hobby war. Also welche Rollenspielsozialisierung man genoss und bis zu welchem Punkt man bei den Veränderungen mitgegangen ist.
Rollenspiel ist ein Hobby das sich, weil die Einstiegshürden, die die Spiele selbst setzen, wenn wir ehrlich sind, recht gering sind, gar nicht für die wirklich große "Exklusivität" eignet. Sobald alles durchkommerzialisiert ist, sind die natürlich höher. Aber damit hat One D&D nicht angefangen. Die DSA-Produktpolitik der jüngsten Edition wurde bereits erwähnt, ich führe noch die Kickstarter an, von denen einige tatsächlich eine künstliche Warenverknappung herbeiführen (*hust* "Broken Compass" *hust*), die dafür sorgt, dass wirtschaftliche schwächere Gruppen Rollenspiel gar nicht im selben Maße erleben können.
Ob Rollenspieler:innen jedenfalls großartig andere Werte haben als die Durchschnittsgesellschaft, das würde ich bezweifeln. Jedenfalls nicht mehr oder weniger als Angler:innen, Laientheaterspieler:innen, Briefmarkensammler:innen, Hockeyspieler:innen oder Chorsänger:innen.
Was mit einem zunehmenden Mainstream-Appeal höchstens wegfällt, ist die Möglichkeit, sich selbst darauf zurückzuziehen, dass "die Anderen" einen selbst nicht verstehen, nicht ernstnehmen, ablehnen. Und das halte ich zumindest seit den 90ern weitgehend für Folklore in unserem Hobby, die durch die Darstellung von "Geektum" in den Medien gespeist wurde. Nach der Satanic Panic und mit dem Schwappen von Fantasy, Anime und Science Fiction in den Mainstream hat sich die Diskriminierung von Rollenspielern
aufgrund von Rollenspiel sowieso erledigt.
"Höhö, guck mal, der Hansel da spielt Rollenspiel!" gehörte jedenfalls nicht zu den Beleidigungen, die ich mir, Jahrgang 1985 von meinen Social Peers anhören musste. Und ich habe im Realschulunterricht in den Pausen in meinem "Werwolf: Die Apokalypse"-Wälzer gelesen, Mensch.
Langer Rede kurzer Sinn:
Rollenspiel ist 1. bereits durchkommerzialisiert. Und 2. wahrscheinlich nicht wirklich eine Subkultur in dem Sinne. Was die Leute bei One D&D machen, ist lediglich, moderne Marketing- und Vermarktungsrezepte auf ihr Produkt anzuwenden. Und das funktioniert. Das funktioniert sogar bei uns Kritikern. Wir können uns wohl kaum davon freimachen. Schließlich betreiben wir bereits ein vollständig durchkommerzialisiertes Hobby.