Cyberpunk ist abgenutzt, weil die Realität in vielen Aspekten dieses Setting längst eingeholt hat.
Das kann ich immer noch nicht nachvollziehen.
Höchstens bewegen sich heutige Probleme in den gleichen Themenfeldern, die im Cyberpunk beackert werden, aber einge- oder überholt wurde da beim besten Willen nichts.
Die im CP angerissenen Probleme sind heute deutlich verändert noch da und haben sich nicht in Wohlgefallen aufgelöst - und letzteres scheint dann schon für die (mMn enorm steile) Interpretation zu reichen, dass es eingetreten bis noch viel schlimmer gekommen ist
Und die wurden meistens in einer Zeit gespielt, die sich gegenüber heute wie "heile Welt" anfühlt und wo man mit solchen Schreckensgedanken spielend experimentieren konnte, ohne irgendeine Zukunftsangst zu triggern.
SF ist stets ein Spiegel ihrer Zeit, von daher war das auch damals ein spielerisches, überzeichnetes Weiterdenken aktueller Perspektiven und Strömungen in die Zukunft.
Und umgekehrt scheint dann heute manches in alter SF naiv bis hanebüchen, weil es nicht mehr den berühmten Zeitgeist trifft. Dabei vergisst man dann ganz gerne den Blick auf die damaligen Rahmenbedingungen und die Umstände der Entstehung.
Etwa einem Twilight: 2000 lässt sich wohl kaum vorhalten, dass es in einer
undenkbar dystopischen Zukunft spielt. Da ging es ja umgekehrt gerade darum, sich einer schwer negativen und entschieden
möglichen Zukunft spielerisch zu nähern.
Möglich umfasste dabei aber nicht unbedingt die Frage nach der realen Eintrittswahrscheinlichkeit und da liegt dann der Unterschied zu heutigen Denkrichtungen, die teils in Richtung Weltuntergangskult gehen.
Dass das einigen die spielerische Beschäftigung mit einem Thema verhagelt - genehmigt, war bei Twilight: 2000 früher auch so.
Das ist dann aber kein strukturelles Problem der SF als Ganzes oder heutiger SF, sondern eines der persönlichen Perspektive. An der Stelle verlässt das Ganze aber auch den Rollenspielkontext, daher lasse ich es damit bewenden.
Natürlich fällt die gedankliche Flucht in einfachere Welten (romantisiertes Mittelalter) leicht
Nicht einfacher, sondern einfacher
scheinend.
Das wird dadurch nicht weniger wirkmächtig, im Gegenteil ist das einer der großen Reize an Fantasy.
Ein Spiel auf niedrigerem Techlevel könnte ohne Weiteres auch anders aussehen, wird aber da, wo es das tatsächlich tut, genau dadurch wieder zur Randerscheinung. Eben weil die "Pull-Faktoren", die Fantasy üblicherweise hat, mehr oder weniger gezielt beseitigt wurden.
In diesem Kontext:
Wer kennt die Komplexitäten einer mittelalterlichen Zunftordnung, eines Lehensvertrages oder der schon erwähnten Leibeigenschaft? Weil wir alle keine Ahnung haben, kommt man relativ problemlos mit Klischees, History Channel und "gesundem Menschenverstand" durch. Den Luxus hat ein modernes Setting nicht. Dazu kennen wir genug Fallstricke aus eigener Anschauung.
Die Transferleistung, dass es solche Komplexitäten früher genau so gegeben hat, kann man vom angesprochenen GMV eigentlich schon erwarten.
Nur bleibt an der Stelle oft gerade so unterbewusst, dass man das Ganze explizit zu Spielzwecken großteils außen vor lässt.
Herausfinden oder selbst setzen könnte man das, nur wäre das dem Spiel deutlich abträglich.
Ähnlich:
aber als ich in der letzten Cyberpunk-Kampagne darüber nachdenken musste, wie die kontemporären Äquivalente von LinkedIn, Instagram und TikTok aussehen, hat mich das wieder daran erinnert, warum ich derlei Dinge eigentlich lieber nicht in meinen Rollenspielwelten habe
Da ist die zu vermeidende Denkfalle die, dass es funktionale Äquivalente geben müsste.
Ein
Corporation oder ein
Cities Without Number wischen einige gefühlte "Pflichveranstaltungen" wie totale Überwachung oder Wireless-/IoT-Gedöns in wenigen Sätzen gekonnt beiseite.
Das geht grundsätzlich mit allem und ist mMn einer der großen Reize an solchem Worldbuilding - also der Versuch, eine historisch oder futuristisch plausible Alternative zu finden.
Leider stehen sich hier genau wie bei der oben angesprochenen negativen Zukunftsperspektive viele Spieler selbst im Weg. Man will irgendwie SF spielen, aber dann soll doch bitte alles genau so sein wie man es kennt
Und wenn schon anders, dann in genau einer Variante...da ist es kein Wunder, dass die einfacher scheinenden Fantasy-Welten unreflektiert akzeptiert werden und SF angeblich irgendwelche inhärenten Probleme hat - als ob man die selben Vereinfachungsmechanismen dort nicht anwenden könnte.
Klar, für bestimmte Spielzwecke kann man das wirklich nicht. Aber wer zu so einem Spiel antritt, für den wäre 08/15-Fantasy doch auch keine gangbare Alternative