Autor Thema: [Ersteindruck] Forthright Open Roleplaying  (Gelesen 357 mal)

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QuantizedFields

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[Ersteindruck] Forthright Open Roleplaying
« am: 30.10.2023 | 12:38 »


Ersteindruck:  Ich habe das Regelwerk durchgelesen und einmal als SL gespielt.

Wie viele von euch bin ich immer auf der Suche nach neuen Rollenspielsystemen. Viele sitzen schon seit Jahren in meiner Pile of Shame (bzw. SSD of Shame) und dies ist eines davon. Dabei hat es viel zu bieten!

Es hat eine Ennie Nominierung von 2018 für Best Free Game gewonnen. Wie es die Kategorie vermuten lässt, gibt es eine Gratisversion auf DriveThruRpg!

Die Autoren arbeiten an einer überarbeiteten 2. Edition auf Patreon.

Und dennoch, wie so viele Ennie Rollenspiele, schaffte es das Rollenspiel nie ins Rampenlicht. Tatsächlich wird kaum etwas über dieses Spiel erzählt. Hier gibt es nichts, dass ich mit einer einfachen Suche finden konnte. Auf Reddit gibt es gerade 14 Hits. Rezensionen? Eine Einzige!

Doch ein mieses Spiel, oder...? Finden wir es heraus!

Forthright ist ein sogenanntes Rules-Light Universal Roleplaying Game. Das heißt nicht viele und keine komplexe Regeln und so gebaut, dass man unterschiedliche Settings einfach bedienen kann. Zum Vergleich schätze ich es ein bisschen regelleichter als Cypher/Numenera ein.

Es besitzt nicht viele Mechaniken:  drei Attribute (Fight, Talk, Skill) und Boosts (Verbesserungen). Jede Probe hat das gleiche Schema:

1d20 + (Fight|Talk|Skill)
  • ▲▲Boon (21+): Erfolg und du bekommst einen Boon
  • ▲14-20. Erfolg!
  • ⏺ 8-13. Exchange. Die Aktion war erfolgreich, aber es gibt eine Komplikation
  • ▼ 1-7. Setback. Du warst nicht erfolgreich und es gibt eine Komplikation.
Was ich an Forthright zu Schätzen gelernt habe ist, dass es Beispiele für viele dieser Proben gibt. Alle haben das gleiche Schema, aber der Autor versucht für jede Art der Probe ein paar Erfolgs- und Fehlschlagsszenarion zu produzieren. Zum Beispiel:

Einen anderen von deiner Idee zu Überzeugen (Talk)
  • ▲14-20. Dein Gegenüber findet die Idee gut.
  • ⏺ 8-13. Sie finden deine Idee nicht schlecht, brauchen aber noch etwas Überzeugungskraft, oder du hast mehr offenbart, als du eigentlich wolltest
  • ▼ 1-7. Sie finden deine Idee nicht gut (oder gar schrecklich), oder du hast dich verplappert und Geheimnise offenbart.
Verglichen mit der Aktion, Informationen aus einem herauszukitzeln
  • ▲14-20. Du bekommst die gewünschten Informationen von deinem Gegenüber.
  • ⏺ 8-13. Du bekommst richtige, aber nicht unbedingt relevante Informationen.
  • ▼ 1-7. Du glaubst das, was dein Gegenüber dir sagt, aber es ist vielleicht weder relevant noch der Wahrheit begeben.
Wirkt jetzt erstmal nicht bahnbrechend, aber ich finde es einfach schön, die Beispiele zu haben. In allem! Er geht im Laufe des Buchs bestimmt 50 Beispiele durch, von Reden zu Kämpfen zu Vehikel, Crafting und mehr. Das wünsche ich mir bei anderen kleinen Regelwerken wie 2400 oder Lumen auch :)

Ultralight ist für dieses Rollenspiel auch falsch. Es hat durchaus etwas mehr Fleisch am Knochen. Es gibt noch:
  • Raises. Den Erfolgsgrad um eins verbessern.
  • Drops. Um eins verschlechtern.
  • Boons. Eine Metacurrency mit verschiedenen Effekten für Spieler als auch SL. Raise, Drop, Heile dich selbst, füge mehr Schaden zu usw.
Eine super Mechanik des Spiels nennt sich Setback Protection. Während der Charaktererstellung wählt man ein Skillset aus:  Athletisch, Erfinderisch, Rednerisch usw. Diese geben alle einen einzigen Effekt:  wenn du in einem Skillset eine Probe versuchst kannst du nicht komplett versagen. Ein Athlete kann während athletischen Handlungen nie weniger als ein Exchange bekommen, selbst wenn die Würfel etwas anderes sagen. Finde ich absolut klasse. Nichts hasse ich persönlich so sehr, wie ein Barbar, der wegen einer 1 die Tür nicht zusammenschlagen kann.

Noch interessanter sind die Boosts. Das macht Forthright erst so richtig universal und interessant. Boosts sind Settings-Neutrale Fähigkeiten, die man mit Boost Points (BPs) kaufen kann. Durch die oberste Regel dieses Rollenspiels:
Zitat
THE COSMETIC RULE
What you do matters, not how you do it. Characters can
accomplish the same action through different means without
using different combinations of rules. For example, MacGyvering
a lock is the same whether done through brute force, delicate
locksport, or magical ritual. This abstraction is built into the rules
in this book and allows for an easy blending of genres.
Kaufe ich mir Extra Limb liegt es an mir, diesen für das entsprechende Setting zu Flavorn. Im Sci-Fi milieu ist dies möglicherweise ein mechanischer Greifarm. Für mein High Fantasy Spiel ist es ein magischer Begleiter. Für mein Sword & Sorcery ein Fluch, mit dem mir ein dritter Arm aus der Brust wächst (Hallo, DCC!). Der Autor wies auf verschiedenen Websites wie rpg.net darauf hin, dass diese Mechanik nicht für alle gut ankommt und das kann ich verstehen. Viele möchten, dass ihre Entscheidungen mechanischen Boden haben.

Es erinnert mich mehr an Swords of the Serpentine mit ihrer Sorcery. Eine Tür mit lodernden Flammen schmelzen zu lassen klingt gewaltig. Ist aber eigentlich nicht weiter effektiver als ein Dieb, der mit seinem Können das Schloss knackt und die Tür öffnet. Dementsprechend sind die Proben gleich schwer und verlangen keine Verausgabung mit Corruption. What you do matters, not how you do it. Ein wichtiges Mantra.

Das GRW hat eine relativ kleine aber feine Auswahl an Boosts. Ganz nett finde ich die Boosts für Minions (Begleiter wie Tierwesen, Menschen & co), Superheroes, Strukturen und Vehikeln. Hat ein bisschen was wie Hero, wenn ich mich recht erinnere, aber nicht ganz krass mit Regeln untermauert.

Insgesamt sieht ein Charakter so aus:


Ja, der Charakterbogen sieht außerordentlich langweilig aus... aber naja, es kann nicht alles perfekt sein :D

Kämpfe
Ihr erwartet vielleicht nicht, dass es gesonderte Regel für Kämpfe gibt. Aber ein bisschen gibt es die schon. In dramatischen Sequenzen (nicht unbedingt nur Kämpfe) macht man Ping-Pong. Eines der Spieler ist an der Reihe. Dann der SL mit eines der NSCs. Wieder ein Spieler. Wieder der SL, bis die Sequenz ein Ende findet. Ich langweile euch jetzt nicht mit den Intriken des Kampfes, aber ich hebe ein paar Aspekte hervor, die ihr vielleicht interessant findet:
  • Es ist nicht möglich für ein SC zu sterben (außer der Spieler möchte es!). HP nennt sich hier Luck und wenn dieser auf 0 kommt nehmen sie eine Wunde (Injury), regenerieren ihr Luck vollständig und kämpfen weiter. Injuries haben Regeln und sind nicht nur narrativ.
  • Es ist möglich Stunts mit Angriffen zu kombinieren. "Ich laufe wie ein Ninja an der Wand entlang, mach ein Salto und greife meinen Gegner von hinten an!" ist ein Stunt und dessen Erfolg belohnt dem Spieler mit einem Kampfvorteil.
  • Angriffe sind wie alle anderen Proben nach gestaffelt. Ein Erfolg fügt dem Gegner Schaden zu. Ein Exchange bedeutet Schaden zufügen als auch vom Gegner getroffen zu werden.
  • Es hat Regeln, um die Moral des Gegners zu brechen (mit einem Talk Check) und Beispiele für Provokationen, Taunts und Terrain Manipulation
Insgesamt macht es einen dynamischen, cinematischen Eindruck. Kämpfe sollen schnell gehen mit viel Theater of the Mind. Zu den meisten Fragen der Spieler soll man unterstützend Antworten, z.B. "Gibt es hier in der Nähe vllt ein heißes Rohr, damit ich den Gegnern Dampf ins Gesicht pusten kann?" "Ja klar! Das ist eine Skill Probe und bei Erfolg passiert X und Fehlschlag Y."

Tatsächlich habe ich nicht vor, Forthrights Kampfregeln immer anzuwenden. Dafür switche ich in Zukunft zu Emberwind. Kleine Scharmützel sollten aber hiermit überhaupt kein Problem sein.

Fazit
Viele Aspekte habe ich gar nicht erwähnt. Es gibt Regeln für Crafting, Intoxication, Poison, Factions, Stützpunkte und weiter. Nunja, "Regeln." Sie differenzieren sich entweder durch Boosts oder eine Kombination der drei Attribute Fight, Talk und Skill. Wie erwähnt haben sie alle unterschiedliche Win, Exchange und Setback Bedingungen. Ich finde das ganz elegant, weil ich den Spielern keine dreißig Actions in die Hand drücken muss. Viel eher lasse ich mich von den Beispielen leiten und finde meinen eigenen Flow.

Es wirkt nicht sehr langlebig und der Autor unterstützt diese Vermutung. Für 12-20 Sessions sollte das System reichen, danach werden Charaktere mit Boosts zu vollgestopft oder können sich nicht weiter entwickeln. Geholfen wird einem mit der Toolbox, einem Regelwerk mit neuen Regeln und über 500 neuen Boosts. Schon fast übertrieben viel, haha.

Meine Spieler hatten keine großen Probleme, das Rollenspiel zu akzeptieren. Wir haben auch sehr Vanilla High Fantasy gespielt. Ich bin eh nicht der größte Fan von Genre-Blends. Was gut am Tisch geklappt hat könnte aber zwischen den Sessions zum Problem werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie danach Probleme hätten, die Boosts nach ihren Vorstellungen zu flavorn. Gerade Magie kommt hier ein wenig zu kurz. Es ist so, dass man sich Boosts als "Zauber" flavored und man sich so ein kleines Zauberbuch zusammenbastelt. Das wird nicht jedem gefallen.

Leider war meine Session nur ein One-Shot, also kann ich nicht sagen, ob sich diese Sorgen bewahrheiten werden. Ich hoffe aber sehr, dieses Spiel zusammen mit Emberwind in Kombination wieder zu spielen :)
« Letzte Änderung: 30.10.2023 | 13:54 von QuantizedFields »

Offline Zed

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Re: [Ersteindruck] Forthright Open Roleplaying
« Antwort #1 am: 30.10.2023 | 13:03 »
Danke für die prägnante, übersichtliche Beschreibung!

Offline Herr Moin

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Re: [Ersteindruck] Forthright Open Roleplaying
« Antwort #2 am: 30.10.2023 | 13:46 »
Ich bin gerade auf dem Sprung in den Herbsturlaub und werde das Tanelorn-Forum zuhause lassen. Von daher hinterlasse ich mal ein Abo, um später den Beitrag lesen zu können. Sieht nämlich ziemlich interessant aus.

Offline Selganor [n/a]

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Re: [Ersteindruck] Forthright Open Roleplaying
« Antwort #3 am: 3.11.2023 | 19:40 »
Erinnert mich daran, dass ich schon seit EWIG damit mal was machen wollte...
Abraham Maslow said in 1966: "It is tempting, if the only tool you have is a hammer, to treat everything as if it were a nail."

Offline Swanosaurus

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Re: [Ersteindruck] Forthright Open Roleplaying
« Antwort #4 am: 3.11.2023 | 20:17 »

Noch interessanter sind die Boosts. Das macht Forthright erst so richtig universal und interessant. Boosts sind Settings-Neutrale Fähigkeiten, die man mit Boost Points (BPs) kaufen kann. Durch die oberste Regel dieses Rollenspiels:Kaufe ich mir Extra Limb liegt es an mir, diesen für das entsprechende Setting zu Flavorn. Im Sci-Fi milieu ist dies möglicherweise ein mechanischer Greifarm. Für mein High Fantasy Spiel ist es ein magischer Begleiter. Für mein Sword & Sorcery ein Fluch, mit dem mir ein dritter Arm aus der Brust wächst (Hallo, DCC!). Der Autor wies auf verschiedenen Websites wie rpg.net darauf hin, dass diese Mechanik nicht für alle gut ankommt und das kann ich verstehen. Viele möchten, dass ihre Entscheidungen mechanischen Boden haben.

Es erinnert mich mehr an Swords of the Serpentine mit ihrer Sorcery. Eine Tür mit lodernden Flammen schmelzen zu lassen klingt gewaltig. Ist aber eigentlich nicht weiter effektiver als ein Dieb, der mit seinem Können das Schloss knackt und die Tür öffnet. Dementsprechend sind die Proben gleich schwer und verlangen keine Verausgabung mit Corruption. What you do matters, not how you do it. Ein wichtiges Mantra.

Ich erinnere mich auch an einen guten Leseeindruck von Fortright, bin aber an dem Punkt (wie schon bei einigen anderen Rollenspielen) ausgestiegen.
Wenn es allgemeine Sonderfertigkeiten gibt, die sich dann gut skinnen lassen (wie die zusätzliche Gliedmaße), gefällt mir das ja. Aber die Philosophie "What you do matters, not how you do it" mag ich gar nicht, insbesondere, wenn es um Kräfte wie Magie geht. In OpenLegend wird das ja auch als Philosophie gepredigt, gerade bei den Zaubern - wähle den Effekt und skinne ihn passend zu deiner Magie. Dort ist ein Beispiel, dass es in einem "herkömmlichen" RSP vielleicht dazu kommen könnte, dass ein SC mit einem Eisstrahl, der eigentlich ein Schadenszauber ist, lieber eine Treppe vereisen will, damit die herbeirennenden Wachen runterpurzeln - und dass es dann evtl. Uneinigkeit darüber gäbe, ob das möglich ist, denn "gedacht" ist der Zauber ja als simpler Schadenszauber. OL "löst" das Problem dann, indem es einfach Effektzauber gibt, und dann kann man den Niederwerfen- und/oder Schadenszauber haben und den dann halt mit Eis-Skinnen - auf jeden Fall braucht man aber zum Niederwerfen auch den Niederwerfen-Zauber, wer nur den Schadens-Eiszauber hat, guckt in die Röhre.

Das finde ich total schade - gerade bei Magie ist es für mich der Reiz, kreative Anwendungsmöglichkeiten zu finden, um Effekte zu erzeugen, die so nicht in den Regeln stehen. Und als SL würde ich immer sagen: "Klar kannst du die Treppe vereisen, Superidee!"

Die "Es kommt auf den Effekt an"-Philosophie erscheint mir sehr vom Balancing-Gedanken gesteuert, der mich wiederum nicht besonders interessiert, weil es ohnehin so viele Spotlight-Verteilungs-Methoden gibt, die nichts mit den Zahlen auf dem Charakterbogen zu tun haben.

Bei mir gilt eigentlich (fast) das entgegengesetzte Mantra: "Es kommt weniger darauf an, was du tust, sondern darauf, wie du es tust!"
Ehemals Rumpel/Achamanian