Hmmm... meine eigenen Prognosen für die Szene insgesamt sind derzeit ziemlich pessimistisch.
Wie du schreibst, scheint der Popkultur-Hype rückläufig, und ich habe nicht den Eindruck, dass es dem Hobby gelungen ist, aus der zwischenzeitlichen Hochphase eine nachhaltige Community zu erschaffen. D&D als mit Abstand größter Player schafft es aufgrund seiner Produktpolitik nicht, die zwischenzeitlich neugierig gewordenen Leute langfristig bei der Stange zu halten, und Alternativen werden von vielen gar nicht erst wahrgenommen. Auch waren die meisten Verlage nicht ansatzweise willens und in der Lage, die Schwächephase des Branchenprimus Anfang 2023 auszunutzen (und über ihre Fähigkeiten im Social Media Marketing breite ich lieber das Mäntelchen des Schweigens). Insbesondere die deutschen Verlage kriseln in einem Ausmaß vor sich hin, dass mir angst und bange wird, und ich wäre nicht überrascht, schon 2024 von der Einstellung bekannter Produktlinien oder gar von Insolvenzen zu hören.
In diesem Zusammenhang vermisse ich den Mut zu etwas Neuem oder ganz allgemein eine Aufbruchstimmung, wie ich sie beispielsweise beim Aufkommen von Splittermond aus nächster Nähe erleben durfte. Im Moment siecht gefühlt alles nur noch vor sich hin, macht optisch schickere Neuauflagen von uralten Rollenspielen (oder optisch schicke Rollenspiele zu uralten Filmen) und bedient in erster Linie die zahlungskräftigen Altfans. Von Aufrufen an junge Kreative, am nächsten großen Ding mitzuwirken, habe zumindest ich in den letzten Jahren nichts mitbekommen.
Aber auch andere Entwicklungen stimmen mich nicht optimistisch. So scheinen mir insbesondere die Schäden im Sozialverhalten, die die Lockdowns angerichtet haben, noch lange nicht behoben. Viele hocken immer noch daheim und beschäftigen sich primär mit sich selbst. Egal ob Gastronomie, Kulturveranstaltungen oder Vereinsaktivitäten, überall sind massive Rückläufe zu beobachten. Gefühlt gilt das auch persönliche Treffen, aber da sind objektive Zahlen natürlich schwer zu beschaffen. Ebenso schwer objektiv zu belegen (aber immer wieder kolportiert und auch beobachtet) ist, dass viele für Gruppenaktivitäten erforderliche Fähigkeiten wie Kompromissfähigkeit, das Aushalten anderer Meinungen, Lesen, verständliches Formulieren oder das Eingehen von Verpflichtungen und das Einhalten von Zusagen schon seit lange vor Corona schwächeln. Vor diesem Hintergrund überrascht mich der Aufstieg der Solo-Rollenspiele nicht, und ich vermute, dass gerade so mancher frustrierter Alt-Spieler in den nächsten Jahren da seine Zuflucht findet.
Die breite Masse (gerade unter den Jüngeren) scheint aber ohnehin ihre Freizeit damit zuzubringen, passiv zu konsumieren. Und das Angebot an aufwändig gestalteten Medienproduktionen (Videos, Games etc.) ist ja auch in der Tat gewaltig und verändert auch die Erwartungshaltung. Da setzt sich natürlich (erneut: gerade bei Jüngeren) auch ein Gefühl der eigenen Hilflosigkeit fest - mit einem solchen Niveau kann man als Einzelner ja ohnehin nicht mehr mithalten.
Und gerade an dieser Stelle schneidet sich WotC mit seiner Neuausrichtung auf den Online-Bereich meiner Meinung nach ins eigene Fleisch. Denn hier ist der kreative Spielleiter ja gar nicht mehr gefragt - es soll ja der aufwändig produzierte professionelle Content gekauft und konsumiert werden. Für einen erheblichen Teil derer, die früher Spielleiter wurden, entfällt damit aber die Hauptmotivation, nämlich die eigene Kreativität auszuleben. Zugleich wage ich zu bezweifeln, dass das Konzept des Super-VTT als Rollenspiel der Zukunft wirklich funktioniert, denn man verliert nicht nur die Kreativen, sondern auch die Konsumierer: Für die ist der Schritt zum "echten" Online-RPG nur noch minimal, und dort sind Optik und Action nochmal um Klassen cooler. Zugegeben, ich habe auch in der Vergangenheit mit solchen Prognosen schon daneben gelegen. Vielleicht gibt es für eine solche Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Mischform ja wirklich einen Markt, der den enormen Aufwand rechtfertigt. Aber Geld würde ich da keins drauf wetten.
Ich selbst vermute vielmehr, dass die Zukunft des Mainstream-Spiels in wenigen Jahren in Open-World-Computer-RPGs mit generativen KIs als Spielleiter liegt. Mit dem, was alte Säcke wie ich unter Pen-und-Paper-Rollenspiel verstehen, hat das dann aber kaum noch etwas zu tun. Wir werden wohl immer weiter in der Nische verschwinden. Was für mich und meine Runden kein echtes Problem ist - ich hab meine Homies und genug Material, um noch fünf Rollenspielerleben damit zu füllen. Aber es tut mir für das Hobby leid, das mir 40 Jahre lang so viel gegeben hat. Aber nun gut, ähnliches ist auch schon Männergesangsvereinen, Trachtengruppen, Brieftaubenzüchtern, Philatelisten und vielen anderen passiert. Die Welt dreht sich auch ohne uns weiter.
Ein Trend, der mich persönlich deutlich härter trifft, ist das Sterben der Forenkultur, insbesondere des Tanelorn. Ich selbst kann mit den viel zitierten Alternativen von Facebook bis Discord überhaupt nichts anfangen und verbinde meine großartigsten Jahre als Rollenspieler mit dem Austausch in eben diesen Foren. Hoffnung für ihre Rettung habe ich inzwischen keine mehr, aber mir blutet das Herz mit jedem, der das Tanelorn verlässt oder schlicht immer weniger schreibt.