Ursprünglich war dies nur als Antwort an JollyOrc gedacht, aber wenn ein Thread gewünscht wird, mache ich einen auf. Da JollyOrc die Diskussion in seinem Thread eingegrenzt hat - das respektiere ich natürlich - eröffne ich wie von ihm vorgeschlagen einen eigenen. Mir geht es erst einmal nur darum meine Perspektive auf die X-Card darzulegen. Gleichzeitig lege ich hier aber keine Grenzen für die Diskussion auf. Wer möchte kann sich gern für oder gegen meine Position in dieser Sache äußern.
Zur SacheIch mag Sicherheit. Sehr sogar. Jetzt mag man sich fragen: Mensch, Prisma, wenn du Sicherheit magst, wie kannst du die X-Card nicht mögen – das ist doch ein Savetytool?! Nein, das sehe ich anders, denn die Sache ist komplizierter. Die X-Card ist im Prinzip ein Sicherheitsgurt, der aus Rasierklingen gemacht ist.
Die X-Card ist nur bedingt nützlichDie X-Card schützt nicht vor Exposition. Denn um sie auslösen zu können, muss man den Trigger am Tisch erleben, bzw. erfahren. Nun kann der Betroffene auf die Karte tippen oder sie hochhalten und die Fortführung des Themas stoppen, aber die Exposition hat dennoch stattgefunden. Die betroffene Person wurde bereits getriggert. Ja, die Fortführung wurde gestoppt, so das es nicht noch schlimmer werden kann, doch ein echter Schutz ist die X-Card nicht. Das kann sie auch nicht leisten. Da ist ein Gespräch während der Session Zero wesentlich effektiver und sicherer als der Gebrauch der X-Card.
Die Nutzung der X-Card trainiert Resilienz abObwohl unser klassisches Unterhaltungsrollenspiel kein psychologisches Werkzeug ist – ich schließe natürlich nicht aus, dass es in den Händen eines Psychotherapeuten nicht zum Werkzeug werden kann – kann es dennoch nützlich sein um bestimmten Situationen zu begegnen, bzw. den Umgang mit ihnen in einem gewissen Umfang zu trainieren.
Wenn der Spielleiter sagt: Das ist die Situation, was machst du? Dann muss man reagieren. Auch wenn es einen vielleicht etwas im positiven Sinne „stresst“. Rollenspiel kann Kommunikation, aber auch Entscheidungsfindung und Umgang mit unerwarteten Situationen trainieren. Auch mit Niederlagen. Das trainiert Resilienz.
Die X-Card erreicht das Gegenteil, denn sie bietet die Gelegenheit alles zu ignorieren. Ich bin kein Fachmann, aber ich denke das trainiert Resilienz ab. Und das ist im echten Leben schädlich. Wenn sich der Vorgesetzte meldet und sagt: „Ich will Sie in fünf Minuten in meinem Büro sehen.“ Dann kann man im echten Leben nicht sagen: Das stresst mich zu sehr, hier ist meine X-Card, Chef. Das ist keine Lösung, selbst wenn diese Situation für den Betroffenen ein echter Trigger ist. Ich möchte natürlich auch nicht das Betroffene im Spiel von einem Trigger getroffen werden, aber meiner Ansicht nach sollte man versuchen irgendwie damit umzugehen, Rollenspiel kann da helfen – wie gesagt, ich bin kein Psychiater, ich kann da auch falsch liegen.
Dies führt zu einem weiteren Punkt: Zumindest meine Rollenspielsitzungen sind keine Therapiesitzungen. Das meine ich nicht böse, ich kann das einfach nicht leisten, weil ich kein Fachmann bin. Es muss bei der betroffenen Person eine gewisse Mündigkeit vorliegen. Wenn die Person PTSD hat, dann setzt er sich besser nicht in eine Runde wo viel gekämpft wird. Hat jemand eine Vergewaltigungserfahrung gemacht, dann ist Vampire möglicherweise nichts für diese Person, da es da auch um Kontrollverlust gehen kann. Da hilft auch die beste X-Card nicht, weil sie die anfängliche Exposition nicht verhindern kann.
Durch die Nutzung der X-Card gibt man gefährlich viel von sich preisDas ist eine unterschätzte aber sehr reale Gefahr, die ich schon am Spieltisch erlebt habe. Vielleicht ist das sogar die größte Gefahr von allen.
Bei der Nutzung der X-Card muss man zwar keine Begründung abgeben, oder erklären was der Trigger nun genau war, dies kann aber dennoch deutlich werden. So können die Leute am Tisch vielleicht etwas erfahren, welches man gar nicht preisgeben möchte. Das kann richtig gefährlich werden. Ein Beispiel aus der Praxis, welches ich persönlich erlebt habe:
Vereinsrunde, ein offizielles Trail of Cthulhu Abenteuer. Das Abenteuer sieht eine Konfrontation mit dem Schurken vor, der einem Spielercharakter (der sein Sohn ist) unmissverständlich mitteilt dieser habe als Sohn versagt und sei in seinen Augen nichts wert und ein Fehler.
Das hat den Spieler dieses Charakters empfindlich getriggert. Da war klar, er muss so einen Fall im Privatleben gehabt haben, vielleicht war er in dieser Konstellation sogar der Sohn. Nun kann man sagen, das ist Spekulation, aber es ändert nichts daran dass dieser Eindruck bei den Mitspielern der Runde entstanden ist.
Damals hat die Runde einfach weitergemacht. Nun ist es aber so, dass es in einem Verein nicht nur nette Leute gibt. Damals gab es einen manipulativen Intriganten der es geschafft hatte, andere Leute von seiner Präsenz abhängig zu machen und das auch auslebte. Seine Machenschaften haben echten Schaden angerichtet. Man stelle sich vor, dieser Typ hätte zufällig in dieser Runde mitgespielt. Das wäre sehr gut im Bereich des Möglichen gewesen. Mit der Information des Triggers – aha, da ist ein Schwachpunkt der sich sozial und psychisch ausbeuten lässt – hätte der ziemlich sicher Schlimmes angerichtet.
Ist das ein Problem der X-Card? Ja, denn durch das Benutzen gibt man diese Info preis oder aber weckt eine falsche Vorstellung. Beides ist schlecht und kann gefährlich sein. Ist da ein Gespräch während der Session Zero nicht genau so gefährlich? Vielleicht, aber wenigstens kann so eine überraschende Exposition verhindert werden.
Es besteht die Gefahr, dass die Nutzung ideologisch wirdDas mag nur mich betreffen, denn ich möchte das Hobby soweit wie möglich ideologiefrei betreiben. Aber ich habe Leute kennengelernt die der Auffassung folgen, eine Runde kann nur dann „inklusiv“ sein, wenn eine X-Card, oder ein anderes Savetytool, auf dem Spieltisch liegt. Das betrifft selbst jahrelange private Heimrunden, die plötzlich ohne X-Card nicht mehr können … weil, ja, weil man dann ohne nicht mehr zu den Guten gehört. In meinen Augen ist das Quatsch, aber das ändert nichts daran, dass zumindest einige Leute davon hart überzeugt sind und sich daraus auch Streit entwickeln kann. Es gibt sogar (zumindest Online-) Cons bei denen die X-Card Pflicht ist. Auf der einen Seite hat man ein Tool das nicht sonderlich wirksam ist, auf der anderer Seite die fixe Idee ohne ginge es nicht mehr, da wird es in meinen Augen ideologisch.
Alles in allem mag die X-Card gut gemeint sein, aber in meinen Augen schützt sie nicht besonders gut und hat gefährliche Fehler. Ein im Vorfeld klärendes Gespräch sehe ich als effektiver an.