Ein explodierender Thread - und ich antworte hier in Beitrag #50 noch auf den
Eingangspost...
Ich denke, die X-Karte lässt sich eher mit einem Feuermelder als mit einem Sicherheitsgurt vergleichen.
Die X-Card ist eine von mehreren Möglichkeiten, die Pausentaste zu drücken.Die X-Card schützt nicht vor Exposition. Denn um sie auslösen zu können, muss man den Trigger am Tisch erleben, bzw. erfahren. Nun kann der Betroffene auf die Karte tippen oder sie hochhalten und die Fortführung des Themas stoppen, aber die Exposition hat dennoch stattgefunden.
Die Exposition eines Triggers im Rollenspiel findet ja nicht unbedingt explosiv sondern eher als Slow-Burner statt: "Ihr seht um Euch herum Krippen und Kinderspielzeug und Fußabdrücke von Erwachsenen, die mit Blut auf dem Boden abgebildet sind, als Ihr Euch weiter dem satanischen Sing-Sang nähert." Da ist die Szene noch nicht explizit, aber für Leute, die gerade nicht mit Kindern als Opfer konfrontiert werden möchten, ist das ein guter Moment, hier schnell einzugreifen. Vielleicht machen sie es verbal, das ist neben dem "Einfach gehen" die einzige Option wie in den guten alten Zeiten, vielleicht zeigen sie als Schnell-Pausenknopf die X-Card. Danach wird sicher irgendwie geklärt, wie die Szene jetzt weitergespielt wird, denn das Zeigen der X-Card verstehe ich als Beginn der Klärung, nicht als Abbruch.
Widersprüchlichkeit: Wer ist hier vom Fach?Zumindest meine Rollenspielsitzungen sind keine Therapiesitzungen. Das meine ich nicht böse, ich kann das einfach nicht leisten, weil ich kein Fachmann bin.
Volle Zustimmung, die wenigsten hier sind erfahren und befugt, Therapien durchzuführen.
Im Widerspruch dazu steht diese nicht-fachliche Einschätzung:
Die Nutzung der X-Card trainiert Resilienz ab
Obwohl unser klassisches Unterhaltungsrollenspiel kein psychologisches Werkzeug ist, kann es dennoch nützlich sein um bestimmten Situationen zu begegnen, bzw. den Umgang mit ihnen in einem gewissen Umfang zu trainieren.
Spielst Du auf die
Konfrontationstherapie an? Wie Du schreibst, ist Rollenspiel aber keine Therapiesitzung, und wir sind keine psychotherapeutischen Fachleute. Es verbleiben als einzig relevante Experten ihres Traumas die Betroffenen selbst. Und wenn sie sich dem Risiko einer Konfrontation aussetzen - was Du ja im Grunde zum Resilienzaufbau gut findest - und beim Hantieren mit ihrem Trauma feststellen, dass es ihnen doch noch zu weit geht, dann ist die X-Card eine weitere Möglichkeit, das zu kommunizieren. Damit gibt die X-Card eine weitere Hilfestellung, Resilienz aufzubauen, wenn Du mit Deiner These richtig liegst.
Außerdem: Feuermelder und Feuerlöscher haben die Sorglosigkeit im Umgang mit feuergefährlichen Situationen wahrscheinlich nicht erhöht. Gurtpflicht und Airbags hat den Autoverkehr nicht rücksichtsloser werden lassen. Viele mittlerweile öffentlich zugängliche Defibrillatoren lassen die Leute nicht sorgloser mit ihrer Herzgesundheit umgehen.
Kurz: Maßnahmen, die das Risiko eines Crashes verringern sollen, tragen nicht automatisch dazu bei, dass die Leute ihre Resilienz verlieren und sorgloser den Crash suchen.
Mündigkeit und BevormundungEs muss bei der betroffenen Person eine gewisse Mündigkeit vorliegen. Wenn die Person PTSD hat, dann setzt er sich besser nicht in eine Runde wo viel gekämpft wird. Hat jemand eine Vergewaltigungserfahrung gemacht, dann ist Vampire möglicherweise nichts für diese Person, da es da auch um Kontrollverlust gehen kann. Da hilft auch die beste X-Card nicht, weil sie die anfängliche Exposition nicht verhindern kann.
Vergewaltigungen können auch bei Nicht-Vampire-RPGs auftauchen, ein anderes Spiel als Vampire zu spielen gibt also keine Sicherheit. Du kannst ja nur für Deine eigenen Traumata und Deinem Umgang sprechen, nicht von denen anderer, das wäre Bevormundung. "Anfängliche Exposition" muss außerdem noch nicht belastend sein, aber das "tiefe Eintauchen" vielleicht schon, hier können wir auf den mündigen Umgang der Betroffenen hoffen.
Session Zero bietet keinen ausreichenden SchutzWir spielen seit gut 30 Jahren in derselben Runde. Was Mitte der 90er kein Problem darstellte, könnte sich geändert haben. Eine Freundin von mir hat ab Mitte 20 mehrere Schwangerschaften verloren, und das hat sie psychisch fertig gemacht. Wäre sie ein Gruppenmitglied, hätten diese Ereignisse nach unserer Session Zero stattgefunden. Der Freundeskreis hatte zuerst davon nichts mitbekommen, erst als ... ach egal. Ich will sagen, dass Traumata auch nach einer Session Zero entstehen können, und dann "alte Absprachen" nicht mehr gelten.
Sich Angreifbar MachenDurch die Nutzung der X-Card gibt man gefährlich viel von sich preis
Das ist eine unterschätzte aber sehr reale Gefahr, die ich schon am Spieltisch erlebt habe. Vielleicht ist das sogar die größte Gefahr von allen.
In dem von Dir beschriebenen Szenario stimme ich Dir zu. Wobei, wie jemand schon gesagt hat, in Deinem Szenario auch andere Formen des Zeigens, dass hier etwas unangenehm ist, die Gefahr heraufbeschworen hätte. Die X-Card löst nicht das Problem, dass es manipulative Arschlöcher gibt.
"Das Neue" ist nicht automatisch ideologischEs besteht die Gefahr, dass die Nutzung ideologisch wird
Ähm, nein. Stattdessen besteht die Gefahr, dass die Nicht-Nutzung ideologisch
wird ist. Würdest Du Dich heutzutage gegen Gurtpflicht, Airbags, Feuermelder, Feuerlöscher oder öffentlich zugängliche Defibrillatoren aussprechen, dann würdest Du - und wahrscheinlich stimmst Du mir hier zu - als ideologisch gelten.
Weil etwas früher "ja auch ohne" ging, sollte das keinesfalls bedeuten, dass daraus ein "ewiger Standard" abzuleiten ist. Sorry, Brieftauben.
(Edit: Und sorry, u.a.
Teylen, meine Argumente sind unter anderem Deinen recht ähnlich, da parallel geschrieben.)