Ich habe Shadowrun mit der 3. Edition kennen gelernt und während er 4ten intensiv gespielt und geleitet. Die 5te und 6te jeweils angetestet, Anläufe mit mit Savage Worlds und ShadowCore XP (wohl mein System der Wahl, wenn ich nochmal einen Versuch wagen sollte) gemacht und eine kurze Kampagne mit einer eigenen Broken Compass Conversion durchgezogen.
Shadowrun, das in der vierten Edition in meiner Region noch sehr aktiv von einer großen und vernetzen Community gespielt wurde, ist den selben Weg wie DSA gegangen und findet sich nur mehr in vereinzelten isolierten Gruppen, großteils mit älteren Editionen (außer mir kenne ich niemanden, der aktiv mit alternativen Regelsystem geleitet hätte). Und wie bei DSA ist es praktisch unmöglich zu eruieren, wie es um die größere Community steht (die im Gegensatz zu DSA sogar stark international ist), weil es kaum allgemeingültige Plattformen oder Indikatoren gibt. Zu leicht tappt man in die Falle, eigene und lokale Entwicklungen als übergreifende Tendenz zu sehen.
Ich denke, es ist aber bei beiden Systemen wahrscheinlich (!) nicht falsch anzunehmen, dass sie ihren Höhepunkt hinter sich haben und die Tendenz eher abwärts geht. Und aus ähnlichen Gründen.
Beide haben aber offenbar auch (im deutschen Raum) eine ausreichend treue Community, um einen hohen Produktausstoß rentabel zu machen. Daraus auf die tatsächliche Größe der Community zu schließen wäre aber selbst bei Definition von Community = Käuferschaft (was, wie wir bei der DSA-Diskussion gesehen haben, nicht allgemein so angenommen werden kann, zumindest wenn man Spieler:innen ältere Editionen mit einbezieht) aber höchstens mit Wissen der genauen Auflagen möglich.
Was Shadowrun interessant unterscheidet (und noch einmal schwieriger zu analysieren macht), ist die Teilung in eine internationale Marke und eine starke deutsche Eigenproduktion.
International betrachtet hat Shadowrun seinen Platz in den oberen Rängen ziemlich sicher verloren und spielt jetzt wohl höchstens in einer ähnlichen Liga wie Warhammer Fantasy (Wie übrigens auch die World of Darkness, die ja auch einstmals bei den ganz Großen dabei war). Im deutschen Raum ist es durch das hohe Engagement von Pegasus wohl im Vergleich etwas besser (während Warhammer in Deutschland als durch die komplexen Abnahmeprozesse nur langsam erscheinende Nieschenreihe dahin vegetiert). Aber auch hier denke ich, dass primär an eine einigermaßen stabile, aber über längere Zeitraum eher schrumpfende als wachsende Abnehmergruppe verkauft wird. Shadowrun ist kein System (mehr) für Rollenspiel-Neulinge.
Was Shadowrun auf jeden Fall mit DSA gemeinsam hat ist die vergleichsweise hohe Komplexität in Setting und Regeln und man kann diskutieren (vermutlich aber ohne Ergebnis) ob das notwendige Alleinstellungsmerkmale sind, ohne die sie nicht so erfolgreich (gewesen) wären oder der Hemmschuh, der sie letztendlich langsam töten wird (möglicherweise auch beides).
Beide entwickelten sich (ironischerweise beide mit ihrer 4ten Edition) zu sehr komplexen und detailverliebten Systemen und schafften es (im Gegensatz zu D&D) auch beim letzten Editionswechsel nicht, konsequent den Schritt einer Verschlankung zu gehen.
Die 6te Edition versuchte in einigen Bereichen durch das Einbringen narrativer Mechanismen gegenzusteuern, zog das aber nicht durch, sondern verlor sich wohl aus Angst vor dem Feedback der Altspieler (interessanterweise wiederum ähnlich zu DSA) spätestens mit seinen Zusatzbänden schnell wieder in feingranularem Crunch.
Mehr noch als sogar DSA erstickt Shadowrun für mich auch an seinem (spätestens seit der 5ten Edition zunehmenderen) Metaplot, der auf unzähligen Ereignissen aus über 30 In- und Outgame-Jahren basiert.
Selbst wenn man praktisch jedes Buch gelesen hat, wird es zunehmend unmöglicher den Über- und Durchblick zu bewahren. Stark zu spüren begonnen habe ich das bei KFS (SR5) und noch stärker jetzt beim Dis-Plot (SR6). Und während DSA den (wiederum von Fans des Metaplots kritisierten) Weg gegangen ist, dass die meisten neu erschienenen Hintergrundbände und Abenteuer auch ohne Kennntnis des Metaplots gut zu spielen sind, setzt Shadowrun stark auf Metaplot-Kampagnen (die, wie schon geschrieben wurde, noch dazu aufgrund der sehr offenen Gestaltung großteils mehr die Leinwand sind, auf der man die eigene Kampagne spielen lassen kann, anstatt vollständige Abenteuersammlungen, was für Neu-SL SEHR schwierig werden kann) und Hintergrundbände mit starkem Metaplot-Bezug (Bei allem was mit Magie oder der Matrix zu tun hat frage ich mich wirklich, wie da noch jemand durchblicken soll, der/die nicht seit zumindest der 4ten Edition dabei war).
Auch der, durchaus bewundernswerte, Produktausstoß gerade auch seitens Pegasus, ist für mich ein zweischneidiges Schwert. Selbst mit den vergleichsweise geringen Preisen von Shadowrun-Produkten wird man von der schieren Menge an Neuerscheinungen überollt und, vor allem wenn man auch andere Systeme sammelt, vor die Wahl gestellt, für welche Produkte noch Geld da ist und für welche nicht mehr.
In Kombination mit einem ohnehin schon komplexen Basis-Setting und einem nicht gerade zugänglichen Regelsystem macht das Shadowrun für mich trotz seines immer noch interessanten Settings fast maximal unzugänglich für Neulinge.
Das war noch OK, so lange es eine starke Community von Alt-SL gab, die Neulinge eingeführt haben. Aber genau das sehe ich zusammenbrechen.
Dass es sich wie hier schon geschrieben auch nicht entscheiden kann, ob es eine Parallelgeschichte-Retro-SciFi ist oder eine alternative Zukunft, die aktuelle Entwicklungen beachtet, ist hier nur das Tüpfelchen auf dem i.
Was alternative Systeme angeht: Ich schließe mich hier der Meinung an, dass diese eher eine Option für Spieler:innen ist, die ohnehin schon bis zum Hals in der Materie stecken und unzufrieden mit dem Regelwerk sind. Wiederum wie bei DSA bekommen Neulinge meist gar nicht mit, dass Alternativen existieren. Dass der Großteil der Shadowrun-Conversions nicht auf Deutsch existiert, trägt dazu (zumindest im deutschen Sprachraum) noch bei.
Meine persönliche Einschätzung als Fazit auf die Frage, wo Shadowrun steht wäre:
Wie DSA auf einem langsam absteigenden Ast. Es wird sich wohl noch eine Zeitlang halten, aber wohl eher nicht mehr den Platz ganz oben einnehmen, den es mal hatte.
Interessanterweise sehe ich hier das deutsche Shadowrun dank Pegasus als lebendiger denn das internationale (es werden jetzt ja auch schon z.T. deutsche Produkte rückübersetzt) und halte es sogar für ein mögliches Szenario, dass Catalyst die Marke Shadowrun irgendwann gänzlich an Pegasus abtritt, anstatt selbst eine neue Edition zu starten.
Das wäre ja nicht ohne Präzendenzfall, siehe z.B. TORG.