Autor Thema: Sind schlanke Systeme gut für lange, progressive Kampagnen geeignet?  (Gelesen 4515 mal)

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Offline nobody@home

  • Steht auf der Nerd-Liste
  • Titan
  • *********
  • Beiträge: 13.086
  • Username: nobody@home
Auch hier: Garantien gibt es nie. Aber die Chance, dass die Regel anwendbar ist steigt halt je besser sie zuvor auch ähnliche Situationen abgedeckt hat.

Es sind Werkzeuge in einem Werkzeugkoffer. Natürlich kann es passieren, dass der Schraubendreher nicht auf jede Schraube passt. Aber verschiedene davon zu haben erhöht die Chance den (zumindest annähernd) passenden zu haben.

Neue Regeln improvisieren geht immer, Rulings kann man immer machen. Aber je besser das Gerüst ist in dem dies geschieht umso schneller und einfacher lässt sich auf ungewohnte Situationen reagieren.

Je besser: sicher. Je umfangreicher -- nun, das scheint mir gerade der Punkt zu sein, über den wir uns im Moment streiten. :)

Offline Arldwulf

  • Mythos
  • ********
  • Beiträge: 8.997
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Arldwulf
Ich finde es hier etwas unklar, was du mit "je weiter Spielmechanik und Erzählung getrennt sind" meinst. Ich bin in den letzten Jahren zunehmend auf pbta-Systeme und forged in the dark Systeme gewechselt.

Hier sind Regeln und Erzählung insofern getrennt, da die Regeln keine Auswirkung innerhalb der Erzählung haben, aber insofern miteinander verbunden, weil sie den Flow steuern, wie gemeinsam erzählt wird. Regeln diesen hier in erster Linie dazu, das Gespräch am Spieltisch zu strukturieren.

Was hier an spontanen Ideen eingebracht wird, übertrifft bei weitem alles, was ich in anderen Systemen jemals erlebt habe. Es ist hier für alle Spieler und auch die Spielleitung oft vollkommen unvorhersehbar in welche Richtung sich das Spiel bewegt, gerade weil alle Spieler dazu angehalten werden, spontane Ideen einzubringen.

Ich bin aus diesem Grund wieder von PbtA Spielen weg. Am Anfang hatte ich ähnliche Erfahrungen gemacht, Spieler brachten sich toll ein und waren motiviert Dinge kreativ zu beschreiben. Je länger die Kampagne dauerte umso mehr kam aber fehlende Relevanz in den Beschreibungen zum tragen. Ob ich nun kreative Idee A oder B machte hatte sehr wenig mechanischen Unterschied. Das ist auch was ich mit der oben angesprochenen Distanz zwischen Erzählung und Mechanik meinte. Die Spieler beschrieben verschiedene Dinge, mechanisch passierte aber genau das gleiche.

Die Spieler selbst waren kreativ, und das war auch was die Runde am Laufen hielt. Aber eigentlich gab es sehr wenig was konkret im Regelwerk dabei half die eigentlichen kreativen Ideen umzusetzen und in der Folge gab es eigentlich immer mehr Diskussionen ob man nicht mit Rulings nachhelfen könne.

Momentan bin ich daher eigentlich der Meinung lieber wieder ein komplexeres System zu spielen welches besser dabei hilft unterschiedliche Aktionen auch mit unterschiedlichen mechanischen Auswirkungen abzuhandeln und aus den regelleichteren Systemen stattdessen nur den Ansatz zu übernehmen zu sagen "kreative Aktionen sind immer erlaubt und lohnen sich, sowas wird vom Spielleiter gefördert und sollte das auch".

PbtA würd ich natürlich trotzdem immer wieder spielen und auch andere regelleichte Systeme. Aber es ist schon so, dass ich dies eher für kürzere Runden in denen die geringere Dichte an Möglichkeiten etwas mechanisch umzusetzen weniger auffällt nutzen würde.

Offline Arldwulf

  • Mythos
  • ********
  • Beiträge: 8.997
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Arldwulf
Je besser: sicher. Je umfangreicher -- nun, das scheint mir gerade der Punkt zu sein, über den wir uns im Moment streiten. :)

Streiten muss ja eh keiner. **Schiebt dir mal einen Freundschaftslolli rüber**

Aber ja, in diesem konkreten Fall war gemeint: je besser das auf eine Situation angewendete Regelgerüst zu dieser Situation passt (anstatt einfach nur das allgemeine, "dies passt für alles" Gerüst zu sein) umso einfacher ist es auch sich darin für Rulings zu orientieren.

Offline gunware

  • Hero
  • *****
  • Eine Ohrfeige zu richtiger Zeit wirkt Wunder.
  • Beiträge: 1.817
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: gunware
Die Spieler beschrieben verschiedene Dinge, mechanisch passierte aber genau das gleiche.
Und das ist auch meine Einschätzung wie es bei uns laufen würde. Und deshalb wäre es für eine längere Kampagne bei uns nicht geeignet.
Ich bin der letzte Schrei der Evolution, als sie mich erschaffen hatte, schrie sie: "Oh Gott, was habe ich denn gemacht?!"

Offline nobody@home

  • Steht auf der Nerd-Liste
  • Titan
  • *********
  • Beiträge: 13.086
  • Username: nobody@home
Streiten muss ja eh keiner. **Schiebt dir mal einen Freundschaftslolli rüber**

Aber ja, in diesem konkreten Fall war gemeint: je besser das auf eine Situation angewendete Regelgerüst zu dieser Situation passt (anstatt einfach nur das allgemeine, "dies passt für alles" Gerüst zu sein) umso einfacher ist es auch sich darin für Rulings zu orientieren.

Ein gewisses Regelminimum wird's schon brauchen, damit sich die Sache halbwegs nach solidem "Spiel" anfühlt -- ist ja nicht gerade so, als ob hier im Faden schon irgendwer ausdrücklich dem Alles-über-denselben-Münzwurf-Ansatz das Wort geredet hätte. ~;D

Aber ganz allgemein, das stimmt, ist mein Regelwunschgewicht heutzutage schon eher "soviel wie nötig und nicht mehr" komplett mit Betonung. Irgendwer muß die ganzen Regeln (und den kompetenten Umgang mit ihnen, was ggf. noch mal eine ganz andere Baustelle ist) ja überhaupt erst lernen, bevor sie im Spiel zur Anwendung kommen können...und da kommt mir ein halbwegs elegantes Allzwecksystem einfach mehr entgegen als ein Regelbolide mit allen möglichen Ausnahmen und Spezialfällen. Um den Vergleich mit dem Werkzeugkoffer noch mal anzusprechen: am Spieltisch sind wir letzten Endes alle nur Hobbyhandwerker zum eigenen Vergnügen, da kann eine schlichte, aber solide Grundausstattung ohne überflüssigen Schnickschnack doch eigentlich so verkehrt nicht sein. :)

Offline flaschengeist

  • Hero
  • *****
  • Systembastler
  • Beiträge: 1.570
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: flaschengeist
    • Duo Decem
Ich bin aus diesem Grund wieder von PbtA Spielen weg. Am Anfang hatte ich ähnliche Erfahrungen gemacht, Spieler brachten sich toll ein und waren motiviert Dinge kreativ zu beschreiben. Je länger die Kampagne dauerte umso mehr kam aber fehlende Relevanz in den Beschreibungen zum tragen. Ob ich nun kreative Idee A oder B machte hatte sehr wenig mechanischen Unterschied. Das ist auch was ich mit der oben angesprochenen Distanz zwischen Erzählung und Mechanik meinte. Die Spieler beschrieben verschiedene Dinge, mechanisch passierte aber genau das gleiche.

Die Spieler selbst waren kreativ, und das war auch was die Runde am Laufen hielt. Aber eigentlich gab es sehr wenig was konkret im Regelwerk dabei half die eigentlichen kreativen Ideen umzusetzen und in der Folge gab es eigentlich immer mehr Diskussionen ob man nicht mit Rulings nachhelfen könne.

Momentan bin ich daher eigentlich der Meinung lieber wieder ein komplexeres System zu spielen welches besser dabei hilft unterschiedliche Aktionen auch mit unterschiedlichen mechanischen Auswirkungen abzuhandeln und aus den regelleichteren Systemen stattdessen nur den Ansatz zu übernehmen zu sagen "kreative Aktionen sind immer erlaubt und lohnen sich, sowas wird vom Spielleiter gefördert und sollte das auch".

Geht mir sehr ähnlich. Ich denke allerdings, hier haben wir es am Ende wieder mit einer Prioritätensetzung zu tun, die aus unterschiedlichen Präferenzen resultiert: Wer etwa besonders viel Wert auf Charakterspiel und "dramagetriebene" Handlung legt, fährt besser mit einfachen Regelsystemen. Und selbige können nun einmal nicht viel mechanische Differenzierung leisten, bevor sie aufhören einfach zu sein.
Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern dann, wenn man nichts mehr weglassen kann (frei nach Antoine de Saint-Exupéry). Ein Satz, der auch für Rollenspielentwickler hilfreich ist :).
Hier findet ihr mein mittelgewichtiges Rollenspiel-Baby, das nach dieser Philosophie entstanden ist, zum kostenfreien Download: https://duodecem.de/

Offline Arldwulf

  • Mythos
  • ********
  • Beiträge: 8.997
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Arldwulf
Zitat von: nobody@home
Irgendwer muß die ganzen Regeln (und den kompetenten Umgang mit ihnen, was ggf. noch mal eine ganz andere Baustelle ist) ja überhaupt erst lernen, bevor sie im Spiel zur Anwendung kommen können..

Ist natürlich eine Frage der Aufbereitung. Ehrlich gesagt kenne ich sehr komplexe, vielschichtige Systeme bei denen nahezu jede Beschreibung auch eine unterschiedliche Mechanik bedeutet bei denen am Spieltisch nie jemand nachschlagen muss.

Und umgedreht relativ schlanke Systeme bei denen versucht wird mit möglichst wenig Mechaniken etwas zu erschlagen was diese aber so aufbläht, dass man andauernd etwas nachschlagen muss oder Dinge diskutieren.

Insofern würde ich da Aufbereitung der Regeln, Detailgrad der Regeln und Komplexität trennen wollen, es kann durchaus sinnvoller sein fünf kleine simple Regeln zu haben als eine große komplexe (für die gleiche Situation)
« Letzte Änderung: 1.01.2025 | 17:14 von Arldwulf »

Offline Arldwulf

  • Mythos
  • ********
  • Beiträge: 8.997
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Arldwulf
Geht mir sehr ähnlich. Ich denke allerdings, hier haben wir es am Ende wieder mit einer Prioritätensetzung zu tun, die aus unterschiedlichen Präferenzen resultiert: Wer etwa besonders viel Wert auf Charakterspiel und "dramagetriebene" Handlung legt, fährt besser mit einfachen Regelsystemen.

Ehrlich gesagt (und das ist auch was für die Frage nach langfristig angelegten Kampagnen wichtig ist) glaube ich, das gerade für Charakterspiel und stark beschreibendes Spiel eine enge Verzahnung von Mechanik und Erzählung wichtig ist. Gerade wenn ich eher "romanhaft" spiele ist es wichtig, wenn das Spielgeschehen jn der Beschreibung mit dem Spielgeschehen am Tisch möglichst in Einklang steht.

Umgedreht ist z.B. für einen kurzen Minidungeon dies viel weniger wichtig, da ist ein größerer Abstraktionsgrad wesentlich leichter zu akzeptieren.

Offline flaschengeist

  • Hero
  • *****
  • Systembastler
  • Beiträge: 1.570
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: flaschengeist
    • Duo Decem
Ist natürlich eine Frage der Aufbereitung. Ehrlich gesagt kenne ich sehr komplexe, vielschichtige Systeme bei denen nahezu jede Beschreibung auch eine unterschiedliche Mechanik bedeutet bei denen am Spieltisch nie jemand nachschlagen muss.

Und umgedreht relativ schlanke Systeme bei denen versucht wird mit möglichst wenig Mechaniken etwas zu erschlagen was diese aber so aufbläht, dass man andauernd etwas nachschlagen muss oder Dinge diskutieren.

Insofern würde ich da Aufbereitung der Regeln, Detailgrad der Regeln und Komplexität trennen wollen, es kann durchaus sinnvoller sein fünf kleine simple Regeln zu haben als eine große komplexe (für die gleiche Situation)

Wenn du sagen willst, Komplexitätsgrad und Regelqualität sind zwei unterschiedliche Dinge, stimme ich voll und ganz zu. Für mich zeichnen sich gute Mechaniken besonders auch dadurch aus, dass sie "pro Einheit" Komplexität sehr viel Differenzierung leisten. Es bleibt allerdings dabei, dass viel Differenzierung nicht ohne ein Mindestmaß an Komplexität zu haben ist.
Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern dann, wenn man nichts mehr weglassen kann (frei nach Antoine de Saint-Exupéry). Ein Satz, der auch für Rollenspielentwickler hilfreich ist :).
Hier findet ihr mein mittelgewichtiges Rollenspiel-Baby, das nach dieser Philosophie entstanden ist, zum kostenfreien Download: https://duodecem.de/

Offline Arldwulf

  • Mythos
  • ********
  • Beiträge: 8.997
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Arldwulf
Wenn du sagen willst, Komplexitätsgrad und Regelqualität sind zwei unterschiedliche Dinge, stimme ich voll und ganz zu.

Das war nicht was ich sagen wollte, stimmt aber natürlich auch.

Was ich sagen wollte ist das Komplexität nicht mit langen, schwer verständlichen oder ständig nach zu schlagenden oder umständlich zu lernenden Regeltexten zusammen hängen muss. Die Aufbereitung der Regeln macht da einen großen Unterschied.

Unter Regelqualität würde ich verstehen wie gut eine Regel ihren Zweck erfüllt - und das geht natürlich prinzipiell auch mit einer furchtbar aufbereiteten Regel.

Offline flaschengeist

  • Hero
  • *****
  • Systembastler
  • Beiträge: 1.570
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: flaschengeist
    • Duo Decem
Das war nicht was ich sagen wollte, stimmt aber natürlich auch.

Was ich sagen wollte ist das Komplexität nicht mit langen, schwer verständlichen oder ständig nach zu schlagenden oder umständlich zu lernenden Regeltexten zusammen hängen muss. Die Aufbereitung der Regeln macht da einen großen Unterschied.

Unter Regelqualität würde ich verstehen wie gut eine Regel ihren Zweck erfüllt - und das geht natürlich prinzipiell auch mit einer furchtbar aufbereiteten Regel.

Hier sind wir uns ebenfalls einig: Gute Präsentation des Regelwerks (Didaktik der Regeltexte, eingängige Struktur, möglichst hohe Verständlichkeit einzelner Abschnitte aka Eignung zum schnellen Nachschlagen etc.) und geeignete Spielhilfen erhöhen die Zugänglichkeit eines Systems ungemein. Die letzten Jahre der Spieltests vor Veröffentlichung von DuoDecem drehten sich überwiegend um dieses Thema und fast immer, wenn ich heute (und sicher auch zukünftig) Änderungen an meinem Baby vornehme, geht es genau darum.
Perfektion ist nicht dann erreicht, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt, sondern dann, wenn man nichts mehr weglassen kann (frei nach Antoine de Saint-Exupéry). Ein Satz, der auch für Rollenspielentwickler hilfreich ist :).
Hier findet ihr mein mittelgewichtiges Rollenspiel-Baby, das nach dieser Philosophie entstanden ist, zum kostenfreien Download: https://duodecem.de/

Offline AcE

  • Experienced
  • ***
  • Beiträge: 100
  • Username: AcE
Ich bin aus diesem Grund wieder von PbtA Spielen weg. Am Anfang hatte ich ähnliche Erfahrungen gemacht, Spieler brachten sich toll ein und waren motiviert Dinge kreativ zu beschreiben. Je länger die Kampagne dauerte umso mehr kam aber fehlende Relevanz in den Beschreibungen zum tragen. Ob ich nun kreative Idee A oder B machte hatte sehr wenig mechanischen Unterschied. Das ist auch was ich mit der oben angesprochenen Distanz zwischen Erzählung und Mechanik meinte. Die Spieler beschrieben verschiedene Dinge, mechanisch passierte aber genau das gleiche.

Die Spieler selbst waren kreativ, und das war auch was die Runde am Laufen hielt. Aber eigentlich gab es sehr wenig was konkret im Regelwerk dabei half die eigentlichen kreativen Ideen umzusetzen und in der Folge gab es eigentlich immer mehr Diskussionen ob man nicht mit Rulings nachhelfen könne.

Momentan bin ich daher eigentlich der Meinung lieber wieder ein komplexeres System zu spielen welches besser dabei hilft unterschiedliche Aktionen auch mit unterschiedlichen mechanischen Auswirkungen abzuhandeln und aus den regelleichteren Systemen stattdessen nur den Ansatz zu übernehmen zu sagen "kreative Aktionen sind immer erlaubt und lohnen sich, sowas wird vom Spielleiter gefördert und sollte das auch".

PbtA würd ich natürlich trotzdem immer wieder spielen und auch andere regelleichte Systeme. Aber es ist schon so, dass ich dies eher für kürzere Runden in denen die geringere Dichte an Möglichkeiten etwas mechanisch umzusetzen weniger auffällt nutzen würde.

Hier vermischst du ein paar Dinge: In pbta haben Entscheidungen keine insofern Relevanz, dass sie keine Bandbreite an Spielmechaniken triggern. Jeder Spielzug kann (und sollte) aber die Geschichte in eine ganz andere Richtung lenken.

Spielsysteme "belohnen" ja bestimmte Spielarten: In pbta und forged Systemen werden Spieler hauptsächlich dafür belohnt, wenn sie dramatische Fehlschläge haben oder wenn ihre Charaktere bestimmte  Entwicklungen erleben. Gerade letzteres ist sehr gut dafür geeignet, dass eine Kampagne von der persönlichen Entwicklung des Charakters angetrieben wird. Die Systeme belohnen nicht (im Sinne von Würfelboni oder ähnlichen) oder nur sehr gering für taktische Entscheidungen, In Blades wird dies z.T. sogar umgedreht: Man wird dort belohnt dafür Nachteile in Kauf zu nehmen. Wenn es einem wichtig ist für taktisch gute Entscheidungen belohnt zu werden, wird man mit den Systemen nicht glücklich werden

Hier ist die Frage, was die Spieler antreibt: Wenn die Spieler mit einer guten Geschichte ausreichend belohnt sind, dann bekommen sie Mechaniken, die sie dabei unterstützen, eine Geschichte kreativ und kollaborativ zu erzählen. Das ist am Ende denke ich sowohl bei kurzen Abenteuern als auch bei Kampagne eine Frage des persönlichen Geschmacks - Das ist in jeder Spielrunde anders.

Aktuell spiele ich in einer Gruppe, die schon sehr lange Blades in the dark spielt und mit dem Spielsystem lange "gefremdelt" haben - hauptsächlich, weil sie das Spiel mit den Regeln wie ein traditionelles Rollenspiel gespielt haben, was für sie nicht gut funktioniert hat. Inzwischen ist es bei ihnen so, dass jeder Spieler mal mehr, mal weniger Spielleiter-Aufgaben übernimmt und die Fiktion viel stärker als Gemeinschaftsprodukt entsteht. Das System unterstützt sie hier in ihrer Art zu spielen, da es das Gespräch am Spieltisch steuert, kreative Freiheiten lässt und fördert.

Die Relevanz der Handlungen werden hier durch die Wirkung & Konsequenzen am Spieltisch trotzdem eingefangen: Wenn ein Wurf mit "desperate"-Konsequenzen gewürfelt wird (und wie stark eine Situation eskaliert, hängt ja z.T. an bewussten Entscheidungen der Spieler), dann wissen alle Spieler, dass jetzt auch etwas richtig dramatisches passieren wird und halten die Luft an.
« Letzte Änderung: 1.01.2025 | 19:38 von AcE »

Offline Jed Clayton

  • Legend
  • *******
  • Beiträge: 7.690
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Jed Clayton
Ich finde diesen Thread aus mehreren Gründen interessant.

Vor einer entsprechenden Frage stand ich schon häufiger und auch in letzter Zeit wieder.
Bei mir ist der Fall gerade so, dass ich letzten Sommer mal zu einer relativ lockeren, kurzen "Bier und Brezel" Spielrunde zwischendurch EZD6 mitgebracht habe, eigentlich nur zum Ausprobieren - nach Möglichkeit einen Abend die Charaktere bauen (dafür brauchen meine Spieler auch bei Mini-Rollenspielen immer recht lang) und einen Abend einen One-Shot spielen.
Dann hat es sich aber ergeben, dass EZD6 bei meinen Spielern so gut angekommen ist, dass sie über den One-Shot hinaus als unser regelmäßiges (Haupt-)Fantasy-Rollenspiel spielen wollten. Vor der Weihnachts- und Neujahrspause waren wir gerade irgendwo im zweiten Abenteuer und demnächst soll es dort weitergehen.

Das Auffällige ist dieses Mal, dass die Spieler offenbar gar kein Problem mit dem einfachen Regelwerk haben (und ich habe dort einige Leute mit einem D&D5-Background usw.), aber ich Grund zu Bedenken habe:
Schon im ersten Abenteuer mit einem normalen (unmodifizierten) EZD6 und vier bis fünf Spielercharakteren habe ich gesehen, dass die Charaktere auch gegen relativ große und mächtige Gegner und Monster schnell durchmarschierten. Der Krieger ist dort so angelegt, dass er praktisch schon von Anfang an alle möglichen Gegner wegprügeln und eliminieren kann. Der Magier hat quasi von Beginn an zumindest theoretisch Zugriff auf alle möglichen Zauber seiner Zauberschule oder Zaubertradition und kann sich selbst frei im Abenteuer neue Zauber ausdenken - diese werden dem SL kurz beschrieben, der SL sagt, ob sie zu der Zaubertradition des Charakters (und zur Spielwelt) passen oder nicht, legt einen Schwierigkeitsgrad fest, und der Spieler darf es versuchen. Im Grunde genommen war genau so etwas vom Prinzip her immer mein Traumsystem: Alles schon enthalten und alles kurz und kompakt und leicht verständlich.

Aber in einem System, in dem nur die Zahlenergebnisse von 1 bis 6 vorkommen, noch nicht einmal mehrere W6 addiert werden oder andere Kombinationen vorkommen, ist aus meiner Sicht einfach zu viel möglich und zu viel schon gleich zu Anfang. Ich habe die Mühe, Gegner wirklich massiv bedrohlich zu machen. Die Charaktere kamen schon gegen einen großen Troll, mehrere Oger und gegen einen gestaltwandelnden Erzmagier gut voran. Alles schön und lustig, es wirkte aber dennoch eine Spur "zu leicht".
Dazu kam, dass die Spieler eben echte Rollenspieler sind und sehr schnell herausgefunden hatten, wie sie durch geschickte Wahl von Talenten (Bonusfähigkeiten) und das Teamwork von Krieger, Schurke, Magier, Barbar und anderen überaus effizient wurden. Dazu haben sie auch verflixt gut gewürfelt. Und was einmal vorkommt, kann ja beim nächsten Abenteuer jederzeit wieder vorkommen. Ich habe jetzt begonnen, Gefahren und Monster einzubauen, die zum Beispiel geisterhaft und immateriell sind oder nicht durch herkömmliche Waffen verwundbar, nur durch magische.

Aber es kommt noch dazu, dass EZD6 eben keine Stufen hat und zumindest im unmodifizierten Regelwerk kein festes System des Aufsteigens oder Dazulernens.

Ich selbst würde eigentlich gern eine härtere, etwas strengere und herausforderndere Fantasy-Kampagne leiten - etwas Halbrealistisches wie Mythras oder vielleicht auch Castles & Crusades oder wenigstens The Black Hack (wo ja der typische Anfänger-Charakter auch wirklich mal schnell weg sein kann) - aber meine Spieler mögen eben EZD6. Dabei kommt wenig Realismus heraus, man hat fast immer eine Mischung aus amerikanischem Superheldencomic, Fantasy-Slapstick und ganz stark vereinfachtem D&D. Das ist ja eigentlich auch ganz toll, eben für einen One-Shot auf einer Con oder für Bier & Brezel-Runden, aber ich sehe das nicht als die Ideallösung für eine Kampagne.
Im Moment lohnt es sich für mich nicht, ein anderes System vorzubereiten, weil es allen außer mir zu viel zu lesen ist und weil im Moment auch niemand "umdenken" möchte. Die Spieler sind mit dem minimalistischen System fast vollständig zufrieden. Ich muss wohl gucken, wie sich das dann über ein Jahr oder länger entwickelt, ob dann Ernüchterung einkehrt, weil sich die Spielercharaktere nicht merklich weiterentwickeln oder nicht mehr viel dazugewinnen können, nicht in Form von Gegenständen oder Reichtum und nicht in Form von Attributen.
"Somewhere there is danger, somewhere there's injustice, and somewhere else the tea is getting cold."

(Doctor Who, Survival, 26th season, serial 4, part 3)

Offline AcE

  • Experienced
  • ***
  • Beiträge: 100
  • Username: AcE
Dein "Problem" mit dem System ist scheinbar nicht der Minimalismus, sondern der Power-Level? Als jemand der von DSA gekommen ist, geht es mir oft genauso; Gerade die starke Progression von vielen an D&D angelegte Systeme haben, sagt mir überhaupt nicht zu. Deine Spieler scheinen hingegen auf High-Fantasy mit mächten Hauptcharakteren zu stehen.

Und wenn ihnen das Spaß macht, dann muss man daran ja nicht unbedingt etwas ändern, sondern braucht halt für eine längere Kampagne Geschichten, die zu diesem Power-Level passen. Du hast ja selbst Superhelden-Comics als Analogie genannt, vielleicht sind diese auch eine gute Anleihe - Dort gibt es ja ebenfalls mächtige Hauptcharaktere und trotzdem längere, spannende Geschichten.

Dabei können vielleicht Fragen helfen, die man auch an einen Roman stellen könnte: Was treibt die Helden an? Was ist den Helden wichtig? Wie könnte die Geschichte Entwicklungen der Helden anstoßen? Warum sind die Antagonisten auch für starke Helden eine glaubwürdige Bedrohung? Wie könnte der Konflikt in der Geschichte eskalieren? Was steht für die Helden auf dem Spiel? - Ich glaube damit kann man schon Material auch für eine längere/mittellange Kampagne zusammenstellen.

Wenn du etwas anderes ausprobieren willst: Vielleicht findest du ein System, dass du mal an einem Oneshot vorstellen kannst, ohne das die Mitspieler Regelstudium betreiben müssen.

Offline Arldwulf

  • Mythos
  • ********
  • Beiträge: 8.997
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Arldwulf
In pbta haben Entscheidungen keine insofern Relevanz, dass sie keine Bandbreite an Spielmechaniken triggern. Jeder Spielzug kann (und sollte) aber die Geschichte in eine ganz andere Richtung lenken.

Und diesen Teil finde ich durchaus gut und sinnvoll. Mein Problem ist eher: ich kann ihn eins zu eins auch in einem komplexeren System, bei dem die Mechanik näher an der Charakterbeschreibung ist haben.

Die Einfachheit und Abstraktion bietet zumindest aus meiner Perspektive keinen Innewohnenden Vorteil bezüglich der Frage wie mit Charakterentwicklung Wendungen in der Geschichte abgedeckt werden. Ich kann die gleichen Wendungen schließlich in jedem System haben, unterscheiden tun sich die Systeme darin wie die Ergebnisse dieser Wendungen die Charaktere beeinflussen.

Beispielsweise ist es in einfacheren Systemen üblicher, dass Bindungen oder die Ergebnisse einer Spielwendung sich auflösen und durch andere ersetzt werden. Jeweils das aktuellste zählt. In komplexeren Systemen sammeln sich diese Dinge stärker an.

Und das betrifft lange Kampagnen natürlich. Wenn ich überlege "wie beeinflusst meinen Charakter was vor fünf Jahren im Spiel geschah" so lässt sich dieser Einfluss leichter darstellen wenn Charaktere von mehr Regelelementen beeinflusst werden.

Ich glaube nicht da für alle einfachen Regelsysteme sprechen zu können, vielleicht ist das ja auch nur eine gefühlte Tendenz?

Es war zumindest mein Eindruck.

Offline nobody@home

  • Steht auf der Nerd-Liste
  • Titan
  • *********
  • Beiträge: 13.086
  • Username: nobody@home
Ich denke, für mich läßt sich die Ausgangsfrage zur Zeit so beantworten: ja, auch mit schlanken Systemen lassen sich lange Kampagnen spielen. Was ich damit allerdings nicht kriegen werde, ist eine Kampagne, die sich genauso anfühlt wie eine mit einem bereits vertrauten Regelboliden...und das hat dann weniger mit der Gewichtsklasse zu tun als eben mit dieser Vertrautheit und den damit verbundenen Erwartungen, denn dasselbe "Problem" hätte ich ja auch, wenn ich statt dessen auf ein hinreichend anderes Schwergewicht gesetzt hätte. (Auch GURPS spielt sich eben nicht wie Pathfinder 1 und fährt mit im Vergleich eher gebremstem Aufstieg, und die Variable "Spielgefühl" ist nun mal sowohl hochgradig subjektiv als auch empfindlich.)

Der Rest ist dann schlicht eine Geschmacks- und Kommunikationsfrage: was wollen ich und der Rest der Gruppe eigentlich überhaupt von einer langen Kampagne, und wie einigen wir uns so, daß unser aller Erwartungen möglichst gut erfüllt werden? Wenn wir das einigermaßen geklärt haben, dann können wir uns auch an die Systemauswahl machen -- aber vorher helfen uns wilde Hypothesen darüber, welche Systeme das "sowieso nicht" können sollen, nicht wirklich weiter.

Offline Arldwulf

  • Mythos
  • ********
  • Beiträge: 8.997
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Arldwulf
Wahrscheinlich muss man einfach sehr stark auf die Details schauen. Konkrete Regeln betrachten und überlegen "wie helfen diese um eine lange Geschichte zu erzählen".

Das man prinzipiell mit jedem System auch lange Kampagnen spielen kann ist doch klar. Aber es gibt durchaus Unterschiede auf welche Probleme man stoßen kann und wie die Regelwerke helfen diese anzugehen.

Offline First Orko

  • DSA-Supermeister auf Probe
  • Koop - Fanziner
  • Legend
  • **
  • Trollanischer Spielleiter
  • Beiträge: 6.711
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Orko
Und diesen Teil finde ich durchaus gut und sinnvoll. Mein Problem ist eher: ich kann ihn eins zu eins auch in einem komplexeren System, bei dem die Mechanik näher an der Charakterbeschreibung ist haben.
...

Man _kann_ alles mit allen Systemen machen. Systeme legen aber unterschiedliche Gewichtungen, welche Dinge eher von den Spielenden gemacht werden, und welche nicht - System matters.
Beispiel: Ein klassisches, komplexeres System wird tendenziell eher auf "Task Resolution" setzen - also die Abbildung einer konkreten Aktion auf einen (oder gar mehrere) konkrete Würfelwürfe. Steht die Gruppe vor einem Hindernis wie einer Tür, wird dann versucht, diese mit möglicherweise passenden Fähigkeiten zu lösen. Schlägt ein Versuch fehl, ist die Konsequenz möglicherweise etwas wie "Dietrich zerbrochen" o.Ä. - kann aber bis zur Eskalation "Wachen sind alarmiert und greifen Gruppe an" reichen. Tatsächlich passiert es oft, dass mehrere SC sich nacheinander an dem Hindernis versuchen, bis eine Lösung funktioniert. Das dauert dann ein paar Versuche, ggf. müssen Boni/Mali nachgeschlagen und verrechnet werden usw. In der Zwischenzeit geht die Geschichte faktisch nicht weiter: Die Gruppe steht vor der Tür.
Löse ich grober auf und mache es zu "Conflikt Resolution" ist die übergreifende Aktion vielleicht "Wir schleichen uns zum Zellentrakt rein". In PbtA wäre dann bei einer 7 als Ergebnis eine verschlossene Tür als Komplikation - eine weitere 7 um diese zu überwinden sorgt für Wachen, der Versuch diese abzufangen zu verwirren mit einer 7 führt dann dazu, dass die Tür aufspringt und die Gruppe von beiden Seiten eingekesselt ist usw. Was bei PbtA eher nicht passieren wird: Das Abhandeln mehrer Würfe auf ein und dasselbe Hindernis, ohne das es zu einer neuen Entwicklung führt. Auch da wieder: Es kann  genauso passieren - aber das System legt einem da schon bisschen Steine in den Weg, während eine Latte an 45 Skills dazu einlädt, diese auch erstmal auszuprobieren, wenn ein Hindernis im Weg ist.
It's repetitive.
And redundant.

Discord: maniacator#1270

Dir ist schon klar, dass es in diesem Forum darum geht mit anderen Leuten, die nix besseres mit ihrem Leben zu tun haben, um einen Tisch zu sitzen und sich vorzustellen, dass wir Elfen wären.

Offline Arldwulf

  • Mythos
  • ********
  • Beiträge: 8.997
  • Geschlecht: Männlich
  • Username: Arldwulf
Wobei ich dies nicht gerade als Beispiel für Themen betrachten würde die lange Kampagnen betreffen.

Da würde ich eher die Fragen aufwerfen wie das Regelwerk progressive Steigerung von Gefahren abhandelt, wie Erlebnisse des Charakters am Anfang des Abenteuers am Ende noch Bedeutung haben können und wie das Regelwerk unterstützt Gruppendynamik sich über längere Zeiträume entwickeln zu lassen.

Wie man an einem Schloss vorbeikommt und ob dies überhaupt mit expliziten Würfen abgehandelt wird (gibt ja auch in komplexen Systemen dabei unterschiedliche Resulutionsmechaniken) kommt mir da nicht als erstes in den Sinn oder nur als Beispiel wie vorherige Entwicklungen auf diese Situation Einfluss nehmen können.
In der Zwischenzeit geht die Geschichte faktisch nicht weiter: Die Gruppe steht vor der Tür.

Und ist dieser Teil nicht eigentlich ein wenig selbsterfüllende Prophezeiung? Die Geschichte geht ja nur dann nicht weiter wenn ich sie nicht weiter gehen lasse. Aber sowohl in komplexen wie auch einfachen Systemen würde eine fehlgeschlagene Aktion ja nicht bedeuten, jetzt hält die Welt an. Im Gegenteil, die Umgebung kann darauf reagieren, genau wie dies in deinen Beispielen geschah.
« Letzte Änderung: 2.01.2025 | 13:51 von Arldwulf »

Offline Galatea

  • Adventurer
  • ****
  • Beiträge: 742
  • Username: Galatea
Man _kann_ alles mit allen Systemen machen. Systeme legen aber unterschiedliche Gewichtungen, welche Dinge eher von den Spielenden gemacht werden, und welche nicht - System matters.
Beispiel: Ein klassisches, komplexeres System wird tendenziell eher auf "Task Resolution" setzen - also die Abbildung einer konkreten Aktion auf einen (oder gar mehrere) konkrete Würfelwürfe. Steht die Gruppe vor einem Hindernis wie einer Tür, wird dann versucht, diese mit möglicherweise passenden Fähigkeiten zu lösen. Schlägt ein Versuch fehl, ist die Konsequenz möglicherweise etwas wie "Dietrich zerbrochen" o.Ä. - kann aber bis zur Eskalation "Wachen sind alarmiert und greifen Gruppe an" reichen. Tatsächlich passiert es oft, dass mehrere SC sich nacheinander an dem Hindernis versuchen, bis eine Lösung funktioniert. Das dauert dann ein paar Versuche, ggf. müssen Boni/Mali nachgeschlagen und verrechnet werden usw. In der Zwischenzeit geht die Geschichte faktisch nicht weiter: Die Gruppe steht vor der Tür.
Löse ich grober auf und mache es zu "Conflikt Resolution" ist die übergreifende Aktion vielleicht "Wir schleichen uns zum Zellentrakt rein". In PbtA wäre dann bei einer 7 als Ergebnis eine verschlossene Tür als Komplikation - eine weitere 7 um diese zu überwinden sorgt für Wachen, der Versuch diese abzufangen zu verwirren mit einer 7 führt dann dazu, dass die Tür aufspringt und die Gruppe von beiden Seiten eingekesselt ist usw. Was bei PbtA eher nicht passieren wird: Das Abhandeln mehrer Würfe auf ein und dasselbe Hindernis, ohne das es zu einer neuen Entwicklung führt. Auch da wieder: Es kann  genauso passieren - aber das System legt einem da schon bisschen Steine in den Weg, während eine Latte an 45 Skills dazu einlädt, diese auch erstmal auszuprobieren, wenn ein Hindernis im Weg ist.
Gerade der letzte Satz bringt mich zu einem interessanten Punkt, der besonders Regelsysteme mit Fertigkeitslisten (je freier, desto besser) betrifft.

Ist jetzt nur eine persönliche Beobachtung, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn Charaktere eine Liste an Fertigkeiten/Feats/Zauber/etc. haben, die Spieler oft tatsächlich versuchen eine Lösung entlang dieser Fähigkeiten zu finden - das muss aber nicht einmal zwangsläufig daran liegen, dass ein Spieler sagt "ich habe Fertigkeit X, also muss ich das Problem auch damit angehen", sondern eher daran, dass der Spieler beim überlegen/der Suche nach einem Plan auf seinen Charakterbogen schaut und seine Skills ihm diese Lösungsideen unbewusst ins Bewusststein stecken.
Sozusagen 'Wenn man jede Menge Hämmer im Inventar hat, betrachtet man jedes Problem als Nagel'.

Hier kann man als SL tatsächlich ein wenig mitsteuern, wenn man Spielern bei einer ungewöhnlichen Lösung Stufen/Erfahrungspunkte auf passende Fertigkeiten gibt, die für eine eher ungewöhnliche Lösung verwendet wurden/in irgendeiner Form relevant waren. Wichtig ist letztlich nur dass der Skill am Ende irgendwo auf dem Charakterbogen steht. Wenn man ein System hat, in dem man (aus welchem Grund auch immer) einfach ab und zu zufällig Fertigkeiten/an Fertigkeiten gebundene XP vergeben kann, geht das sogar noch leichter.

Bei sehr einfachen Systemen hat man einen solchen Luxus leider nicht immer, wobei man in manchen Fällen auch alternativ ein Stück Ausrüstung verwenden kann.
We should respect all forms of consciousness. The body is just a vessel, a mere hull.

Offline nobody@home

  • Steht auf der Nerd-Liste
  • Titan
  • *********
  • Beiträge: 13.086
  • Username: nobody@home
Nebenbei, rein anekdotisch: wenn mich einer nach dem System fragen würde, das ich selbst am ehesten mit langen Kampagnen assoziiere, dann wäre das wahrscheinlich...nicht mal so sehr eine Spielart von (A)D&D(*), die ja traditionell eher dafür bekannt sind, oberhalb gewisser Stufen ins Stolpern zu geraten, als vielmehr Hero speziell in seiner Superheldenausprägung Champions, wenn auch weniger aus persönlicher Spielpraxis als vom Hörensagen ("Aaron Allston's Strike Force" beispielsweise) und aufgrund des dafür speziell zu 4.-Editions-Zeiten recht gut aufgestellten Hintergrundmaterials (Settingbände, Abenteuer, Superschurkensammlungen...). Und das ist seinerseits auch wieder ein ziemliches Schwergewicht, obwohl das teilweise Editionssache ist; von der ersten bis zur sechsten hat das Regelwerk schlicht ganz gehörig zugenommen.

Aber: der eigentliche Grund, aus dem ich dieses System als "Klassiker" für Kampagnen praktisch beliebiger Länge oder auch Kürze betrachten würde, hat weniger mit der Regelmasse an sich zu tun als mit zwei bestimmten Faktoren. Zum einen taugt das Superheldengenre ohnehin gut dazu -- irgendwas, was nach Leuten mit Superkräften schreit, ist so gut wie immer am Dampfen, ich kann problemlos zwischen eher episodischem Spiel und länger laufenden Plotsträngen hin und zurück wechseln, und die Bandbreite an potentiell spielbaren Charakterkonzepten ist da auch so breit wie praktisch nirgendwo sonst. Und zweitens entwickeln sich zwar auch Champions-Charaktere im Lauf der Zeit weiter, sie tun das aber in einigermaßen gemächlichem Tempo (bis zu einer Handvoll neuer Charakterpunkte pro Abenteuer sind halt für jemanden, der schon mit dem Gegenwert von 250 oder so angefangen hat, nichts allzu Welterschütterndes...), was längeres Spiel aus meiner Sicht insofern unterstützt, als sich die Kampagne nicht ständig komplett neu erfinden und umkrempeln muß, um mit den Spielercharakteren überhaupt noch mithalten zu können.

Um diese zwei Aspekte zu kriegen, muß ich natürlich nicht ausgerechnet Champions komplett mit allem und scharf überhaupt erst verwenden und würde das heute auch nicht mehr, weil einfach zu viel Regelballast -- aber als potentielles Vorbild in Sachen "Langzeitkampagnentauglichkeit und Kriterien dafür" taugt es mir diesbezüglich auch heute allemal noch.

(Klicke zum Anzeigen/Verstecken)