Ein funktionl effektiver Überwachungsstaat passt nicht zu Shadowrun, auch wenn es theoretische Möglichkeiten des Setting-Techlevels es hergeben würden.
Wer das spielen will, ist bei entsprechenden Systemen besser aufgehoben.
Ab SR5 wird jedenfalls reichlich in der Richtung geblubbert und nur sehr vorsichtig hier und da relativiert/zurückgerudert.
Das lässt sich ohne weiteres so lesen, als wären AAA-Zonen für Runner effektiv tabu und das Spiel müsste im Rest der Welt stattfinden.
SR tut einem keinen Gefallen wenn man das Spiel zu sehr wie ein Operator sieht, dafür gibt's da einfach viel zu viele Logiklücken im Setting. Ja, es gibt ein breites Spektrum von Pulp bis KSK-light die man bespielen kann, aber gerade der äußere Randbereich von letztem ist nicht dankbar da SR von vorne bis hinten mit Inkonsistenzen befüllt ist, die ziemlich stark an der Glaubwürdigkeit von Primärregel 1 (Es gibt Runner) sägen.
Das lässt sich mit etwas gutem Willen schon auf eine recht konsistente Basis stellen, aber man muss insbesondere einen Umgang mit dem Überwachungsgewichse finden.
Im Endeffekt hat sich das ab der dritten Edition nach und nach eingeschlichen, als sich das landläufige Dystopie-Bild in Sachen near-future noir von der Balkanisierung zum Überwachungsstaat gewandelt hat.
Und so ganz grundsätzlich:
Zusätzliche Fallstricke sind nur dann interessant, wenn es ihre Umgebung auch ist. Wenn's hingegen nur noch auf eine simple j/n Abfrage abläuft ("haben die Runner einen RFID-Löscher") ist es in meinen Augen schlicht Zeitverschwendung am Spieltisch
Jep, das ist auch noch mal ein Aspekt - also Settingelemente und deren konkrete Ausgestaltung auf ihren rein spielerischen Mehrwert abzuklopfen.
Daher poche ich ja z.B. immer so darauf, das Thema Cyberwarescanner komplett anders anzugehen als die "jüngeren" Editionen.
Man muss bei dem Spiel mit Lizenzen und SINs halt aufpassen. Wenn man da zu sehr drauf fokussiert, brauche ich keine Runner, deren Mehrwert ja gerade die SINlosigkeit ist. Auf der anderen Seite sollten Runner auch nicht so einfach mal eben mit ihrer gefakten SIN in Sicherheitsbereiche reinspazieren können.
Ja, eine falsche SIN ist ja erst mal überhaupt nur irgendeine legitime Identität und noch lange keine Zugangsberechtigung.
Aber allgemein: zumindest muss man sich darüber klar (und einig) sein, was der Kram denn überhaupt macht und wie er gaaanz grob funktioniert. Sonst kann man als Spieler nicht sinnvoll damit interagieren.
Das ist das größte Logik-Problem, dass ich in dem Zusammenhang sehe: Gesichtserkennung ist jetzt schon ziemlich gut, wenn man das weiter denkt kann das zu einer automatischen Überwachung führen, die ein einmal bekanntes Gesicht ohne allzu großen Aufwand aus ganz normalen Überachungsbildern rausfischt und Alarm gibt.
Das als Logik-Problem zu bezeichnen, ist mMn ein bisschen zu hoch gehängt.
Da stehen ja immerhin zwei Matrixcrashes dazwischen und es gibt schon Varianten, wie man begründen kann, warum es nicht oder zumindest nur sehr punktuell gemacht wird.
Das System ist darauf ausgerichtet, Fälle schnell abzuschließen, und nicht unbedingt darauf, das Verbrechen umfassend aufzuklären. Die Polizei zeigt mehr Interesse daran, eine hohe Verurteilungsrate vorweisen zu können, anstatt die tatsächlichen Schuldigen zu finden. Es wird auch angedeutet, dass Falschaussagen und Beweisfälschungen nicht unüblich sind, um die Verurteilungsquoten zu erfüllen.
Mit Verurteilungen hat die Polizei nichts zu tun - das ist aber für diesen Kontext positiv, weil z.B. je nach statistischer Herangehensweise eine Straftat als aufgeklärt gilt, wenn es einen Verdächtigen gibt (!), egal ob es im weiteren Verlauf zu einem Verfahren kommt und ob der dann tatsächlich verurteilt wird.
Ebenso wird eine noch weiter überlastete Justiz möglichst viel nach unten abwälzen, d.h. vieles von vornherein in den OWi-Bereich drücken wollen und viele Verfahren bez. "richtiger" Straftaten gegen Geldzahlung einstellen u.Ä.
Das Thema SIN ist, imho, durch die Editionen relativ unklar geblieben.
Das ist noch vorsichtig formuliert.
Ich versuche das als Kernstück dieses Beitrags mal aufzudröseln:
In den ersten beiden Editionen war das gar kein großes Thema. Da war eine SIN lediglich eine universelle personenbezogene Nummer, unter der Dinge wie Sozialversicherung, Steuernummer, Personalausweis- und Passnummer etc. pp zusammengefasst waren.
Identifiziert hat man sich über den Credstick, auf dem die SIN gespeichert war und der je nach Stufe verschiedene Sicherheitselemente bis hin zu biometrischen Merkmalen enthielt (man merke sich das, das begegnet uns weiter unten noch mal).
Der Credstick war damit also eine Kombination aus Kredit-/Bezahlkarte und Ausweis/Pass mit ein paar erweiterten Funktionen.
Erst in der dritten Edition kam richtig Fleisch an das Thema und es wurde explizit davon gesprochen, dass Runner i.d.R. SINlos sind.
Das Grundprinzip war immer noch gleich, aber nun kam beim Credstick dazu, dass die Sicherheitsstufe auch die Kapazität bestimmte und es wurde darüber gesprochen, dass es kriminelle Netzwerke gibt, die sich auf Credstick- und damit Identitätsdiebstahl und -fälschung spezialisiert haben. Dabei wurde auch schon erwähnt, dass Credsticks vor allem wegen dem Quasi-Blockchain-Prinzip so schwer zu fälschen sind (auch hier: das findet sich gleich wieder).
Außerdem wurden nun explizit die sog. kriminellen SINs angesprochen, die in Abgrenzung von einer "normalen" SIN keine großartige Kredithistorie u.Ä. enthalten, sondern vor allem biometrische Merkmale und die polizeilichen Vorgänge, die in der Datenbank an dieser kriminellen SIN hängen. So eine kriminelle SIN entspricht also einer zeitgenössischen polizeilichen Führungspersonalie.
Im Umkehrschluss bedeutet das übrigens, dass auch in der dritten Edition eine "normale" SIN keine biometrischen Merkmale enthielt. Die waren weiterhin "nur" auf dem Credstick und bei der jeweiligen Bank oder sonstigen Interaktionsstelle hinterlegt, wo der dortige Datenbestand mit den Daten auf dem Stick und als drittes mit der Auslesung der biometrischen Merkmale der zugehörigen Person abgeglichen wurde.
Zuletzt wurde in der dritten Edition deutlich gemacht, dass eine SIN eine Art Staatsangehörigkeitsnachweis ist und man somit SINs wechseln sowie legal mehrere SINs haben kann.
Implizit bedeutet das auch, dass man bei der Kontrolle z.B. eines Ares-SIN-Inhabers erst mal nicht sonderlich viel erfährt, wenn man keinen Zugriff auf die Ares-Datenbanken hat - ganz so wie bei der Passkontrolle eines kürzlich Eingereisten heutzutage.
Mit der vierten Edition fiel der klassische Credstick weitestgehend weg und die Funktionen von SIN und Credstick wurden auf den Comlink verschoben. Damit fielen sie auch ein großes Stück weit zusammen und Kredithistorie, Bewegungsdaten usw. waren nun mit der SIN selbst verbunden.
Hier taucht auch die globale SIN-Registratur auf, die zum einen die Behörde ist, die SIN-Standards festlegt und im nächsten Atemzug auch noch mal eben auf Anfrage Zugriff auf die SIN-Datenbanken hat (whoa
). Das ist also der Schwenk hin zur Überwachungsdystopie und der Todesstoß für das alte balkanisierte SIN-Konzept.
Unsere Credstick-Fälscherringe sind nun Organisationen von SIN-Fälschern...das ist noch ok, aber dann...
kommt die fünfte Edition, schwampft alles zusammen und dreht den Regler auf "volle Pulle".
Jetzt gibt es eine globale und zentrale SIN-Registratur, SINs enthalten mehr oder weniger zwingend biometrische Merkmale, unsere SIN-Fälscher sind absurd leistungsfähige Organisationen mit einer riesigen Operationsbreite, die von langer Hand über Jahre hinweg liebevoll falsche SINs aufbauen
Sprich: Spätestens da merkt man, dass es entweder keine langfristig gedachte Settingbibel gab oder man sich darüber hinweg gesetzt hat.
Da begegnen uns nämlich solche Brecher wie die SIN-Stufen, die früher mal als Credstick-Stufen mit verschiedenen Sicherheitsmerkmalen Sinn ergeben haben - jetzt soll es aber falsche SINs und damit falsche Identitäten geben, deren Merkmale so gar nicht zum Inhaber passen (was ja nur die
Grundanforderung für eine falsche Identität ist
) oder die ganze Merkmalgruppen einfach mal
gar nicht enthalten.
Hier hat keiner mehr über irgendwas nachgedacht und wahrscheinlich haben obendrauf noch mehrere Leute aneinander vorbei geschrieben...so ist das ganze Thema leider ziemlich ins Absurde abgerutscht.
Einigermaßen gerettet wird das nur noch durch das von Flamebeard angesprochene Thema Prüfmechanismus - wenn nicht alles abgefragt wird, kann man sich natürlich noch durchmogeln und ggf. kann man sich auf konkrete Arten von Abfragen auch mit verfälschten biometrischen Merkmalen vorbereiten.
Ein dickes Aber kommt jedoch:
Die Frage ist für mich am ehesten: Wenn man 10 falsche SINs hat... Welche taucht dann auf, wenn man Blutspritzer am Tatort hinterlässt? Oder ein Bild von einem gemacht wird?
+
Und WENN was in offiziellen Datenbanken hinterlegt ist, kommen wir wieder zum Problem, wenn man die echte DNA einmal in so ne DB gepackt hat, damit man eine tolle, sichere 5er Fake-SIN hat, taucht die nun auch immer auf, wenn die DNA irgendwo gefunden wird.
In älteren Editionen würde hier lediglich die kriminelle SIN auftauchen, sofern es eine gibt. Gibt es keine, wird eine mit genau diesem einen Merkmal als vorläufig einzigem Inhalt angelegt.
Da im Threadtitel aber SR5 steht: ja, wenn man einmal eine "gute"/hochwertige falsche SIN in dem Sinne hatte, dass sie echte biometrische Merkmale enthielt und damit auch für überraschende Kontrollen zu gebrauchen war, ist das Ding für alle Zeiten gelaufen, weil jede weitere SIN mit diesen Merkmalen in der Zentralstelle auffallen muss - also noch nicht mal erst bei einer Abfrage, sondern schon beim Anlegen.
Abhilfe schaffen können hier nur noch die erwähnten überkandidelten Fälscherringe mit ihren Superhackern
Abschließend möge man sich überlegen, welche Variante fürs Spiel taugt und hinreichend Betätigungsfeld bietet, ohne erstickend zu werden. Mmn landet man damit regelmäßig beim Ansatz der dritten Edition, ggf. mit Anleihen aus der vierten. Alles spätere muss man erst mal vom Kopf auf die Füße stellen, was die zugrundeliegenden Konzepte angeht. Mit den cyberpunktypischen Phänomenen Balkanisierung und Entstaatlichung geht der Ansatz der fünften Edition jedenfalls so gar nicht zusammen.