Ich habe es schon oft en Passant moniert; zuletzt im Thread über Magiebegabung:
Warum sind die meisten Fantasysettings so gut wie ausgestorben???
Viele gängige Fantasysettings sind stark entvölkert, meist ohne dass dafür irgendein Grund erkennbar wäre: vielmehr sind die Zivilisationen oft jahrtausende alt, die letzten Kataklysmen meist lange her und wahnsinnig intensive Kriege oder extreme Seuchen sind auch eher eine Seltenheit. Und das auch noch, obwohl es ja auch Magie gibt, die einem das Leben eher leichter machen sollte. Beispielsweise würde ich hier eine geringere Sterblichkeit durch Infektionen oder Missgeschicke erwarten.
Mal als realweltliche Benchmark: in Frankreich ist für 1345 (also _vor_ der Großen Pest) von 20 Millionen die Rede, oder eine Bevölkerungsdichte von ca 100/km². Die deutschen Lande etwas weniger, lass es 15 Mio sein. Großbritannien ist damals deutlich kleiner, mit nur ca 5 Millionen iirc.
Nun ein paar Gegenbeispiele aus gängiger Fantasy:
Besonders notorisch natürlich Aventurien. Schon vor Borbel hat etwa das Mittelreich nur eine Bevölkerungsdichte von 4/km². Und selbst das ach so fruchtbare Liebliche Feld dümpelt irgendwo so bei 10-15 herum. Also etwa 1/10 des mittelalterlichen Frankreich.
Auf Lorakis, der Welt von Splittermond, soll das Kaiserreich Selenia den absoluten Platzhirsch darstellen. Es hat etwa die Fläche von Deutschland und Frankreichs zusammen, und darin sagenhafte 4,5 Mio Einwohner. Ein Drittel davon in einem "Kerngebiet" von der Größe Deutschlands konzentriert.
Ich hatte da schonmal folgenden Vergleich gebracht: das ist ungefähr so, als ob man Deutschland komplett evakuiert bis auf München, und dann die Einwohner Münchens über das ganze Land verteilt. Das ist das "aufstrebende Kaiserreich".
Oder die Forgotten Realms. Ich weiss jetzt nicht mehr wo die Zahl herkommt, aber gemerkt habe ich mir, dass auf ganz Faerun etwa 65 Millionen Personen (aller Rassen iirc) leben. Verteilt auf grob 25 Millionen Quadratkilometer. Also weit unter 3/km², das entspricht ungefähr Kanada. (In RL Kanada sind 90% der Bevölkerung auf die südlichsten 50km oder so konzentriert, weiter oben kommt quasi _nichts_ mehr)
Eberron auch nicht viel besser. Immerhin, iirc ist da ein ziemlich apokalyptischer Krieg nicht allzu lange her; Details weiss ich nicht mehr. Aber jedenfalls leben dort 15 Millionen Leute (inklusive Orks, Goblins usw) auf etwa 13 Mio km². Das ist bis hierhin der Negativrekord, mit nur grob 1/km²; das ist die Hälfte der Mongolei.
Ob das alles irgendwie noch ein Reflex des Urvaters aller Fantasywelten ist, also Tolkiens Mittelerde? Da haben wir eine Gesamtbevölkerung von - nach bestmöglichen Schätzungen - 5-6 Millionen Einwohnern auf dem gesamten Kontinent, wobei alles nördlich von Rohan bis auf 2, 3 Points of Light quasi komplett entvölkert ist. Dabei liegt auch hier der letzte größere Konflikt vor dem Ringkrieg ca 500 Jahre zurück.
Wir haben hier also einen ganzen Schwung Beispiele.
Warum ist das so?
Eine gängige Apologetik beruft sich auf die gefährlichen Monster, die angeblich große Teile der Landschaft durchseuchen, und ein Ausbreiten der Zivilisation schwierig bis unmöglich machen.
Dem steht entgegen, dass zB bei Eberron die Orks und diverse andere "Monster"rassen bereits in der Angabe enthalten sind -- und so mega zahlreich sind die da auch nicht.
Vor allem aber ist bei dieser Argumentation das Problem: wenn es wirklich so sein sollte, dann sind die ganzen etablierten Reiche und insbesondere die politischen Beziehungen zwischen diesen alles Makulatur. Dann müsste nämlich die Bevölkerung in wenigen PoL komprimiert sein, und diese wären kaum untereinander verbunden. Tolles Kaiserreich, in dem man nichtmal von Frankfurt nach Köln reisen kann, ohne von Trollen gefressen zu werden.
Also: entweder, die Fauna ist so gefährlich dass es quasi keine Dörfer geben kann; jegliche Siedlungen müssen sich hinter aufwendigen und weitläufigen Steinwällen à la Pelennor konzentrieren. Dann gibt es quasi keine "Länder" und insbesondere keine nennenswerten politischen Konflikte zwischen diesen Enklaven, mangels Berührungspunkten. Ein echtes "Points of Light" Setting eben.
Oder aber Dörfer lassen sich mit Palisaden o.ä. hinreichend gegen streunende Monster befestigen,oder die Gegend gleich weiträumig von Monstern säubern -- dann gibt es keinen Grund, warum da nicht auch alle 5km ein Dorf stehen sollte, wenn das Land schon seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden besiedelt wird.
Ich glaube vor allem nicht, dass diese Zahlen aus irgendeinem logischen Kalkül kommen, und sei es das mit den Monstern. Am ehesten könnte ich mir vorstellen, dass die Autoren die "Großen Zahlen" vermeiden wollten, weil dadurch die Helden als Individuen vermeintlich weniger relevant würden.
Will sagen: wenn ich einer von 10000 Kriegern bin, kann ich ja vielleicht noch so ein ausnehmend großer Held sein, auf dessen Beitrag es ankommt. Zumal sich ja die geringe Anzahl über eine große Fläche verteilt und dann am Ende nie mehr als 1-200 Kämpfer auf einem Haufen anzutreffen sind. Wenn ich aber einer von 1 Million Soldaten bin, kann ich gar nicht so wichtig sein, dass es auf mich ankäme; egal was ich mache, es wird im Rauschen der Statistik untergehen.
Dies ist meine beste und wohlwollendste Interpretation zugunsten von "leeren Welten". Gleichzeitig wirft sie die Frage auf, wie man das umgehen könnte: wie kann ich ein Setting mit "normalen" Bevölkerungsdichten haben, und dennoch die einzelne Figur relevant halten?