Kurz vorm Urlaub wird mein Kopf scheinbar wieder offener für Themen abseits er Arbeit. So habe ich die letzten Tage, das gamemasters handbook of proactive roleplaying gelesen. Das wird gerade im englischsprachigen Raum von einigen abgefeiert, so dass ich es mir dann auch mal gekauft habe. Und im Grundsatz wirklich spannend finde.
Im Kern ist der Ansatz eigentlich der, dass sich alles um die Charaktere und ihre Ziele dreht. Die Spieler definieren hierbei (kurz-, mittel- und langfristige) Ziele ihrer Charaktere und darum dreht sich dann eigentlich die ganze Runde. Der SL wiederum hat die Aufgabe Hindernisse zu den Zielen zu bauen bzw. letzten Endes die Abenteuer hierzu zu gestalten. D.h. ein wenig liegt die Arbeit insofern bei den Spielern, als dass sie quasi vorgeben, was sie als nächstes spielen/angehen möchten und der SL kann sich dann daran machen und das Szenario ausarbeiten oder eben improvisieren. Natürlich soll es auch hier Antagonisten etc. geben. Für diese wiederum hat der SL Ziele definiert, die sich dann eben irgendwann mit denen der Charaktere kreuzen und kollidieren können. Gleiches gilt natürlich auch im positiven Sinne, dass also Gruppen und NSC ähnliche Ziele wie die Charaktere haben und insofern Verbündete werden können.
Das soll bedeuten, dass die Spieler also nicht mehr auf die Abenteuer und Welt des SL reagieren sondern hier immer die handelnden Personen sind. Es ist umgekehrt die Welt die plötzlich "nur" noch reagiert. Das wiederum würde die Spieler viel mehr mitnehmen. Also nicht: "Hier Frodo, da hast du den Ring, zerstöre ihn, aber Vorsicht, da sind böse Wesen die hinter dir her sind" sondern "Ich bin Frodo und habe eine bösen Ring den ich zerstören möchte. Bad Guy: Fuck, der hat meine Ring und will ihn zerstören. Was kann ich tun um das zu verhindern? Erstmal Nazgul schicken!".
Sehr griffiger Vergleich im Buch war die Erkenntnis im Rahmen einer "bösen" Runde die letzten Endes immer eher in "was richten wir heute an" = proaktives Spiel ging und daraus die Frage entstanden ist, was wäre wenn man das mal genauso mit einer normalen/guten Runde versucht. Die kann doch genauso für Anarchie im Reich sorgen.
Dazu wurden nun für alle möglichen Begebenheiten (Encounter, Dungeons etc.) im weiteren Verlauf des Buches versucht (manchmal fand ich das etwas sehr gewollt, muss aber das Buch ohnehin nochmal lesen) sich alles eher um die Ziele der Charaktere drehen zu lassen (und deren Gegenspieler).
Tatsächlich hat mich das Buch schon wieder weiter zum Denken angeregt und mir schon auch wieder Input gegeben, da ich momentan ohnehin viel in der Theorie arbeite. So habe ich bei meiner aktuellen Runde eigentlich auch einen Teil des Fokus auf die Charakterhintergründe legen wollen und diese schon angespielt. Das kam tatsächlich aber offensichtlich so gut an, dass die nächsten Abenden eher vom bespielen der Charakterhintergründe begleitet sein werden bzw. ich momentan am umarrangieren bin und die eigentlich Kampagnenstory noch viel tiefer mit denen der Charaktere verweben möchte. Denn tatsächlich war spürbar wie sehr die Spieler emotional auf die Ausarbeitung ihrer Hintergründe angesprungen sind.
Aber bei allem was ich da gelesen habe, kommt mir dann doch immer wieder der Begriff sandbox in den Sinn. Also stellt sich mir die Frage, ob proaktives Rollenspiel nicht ein viel vornehmerer Name für Sandbox ist? Ein anderer, gängigerer Begriff wäre ja auch charakter driven Rollenspiel.
Über die ganzen Ansätze und Begrifflichkeiten bin ich Silberrücken zunehmende irritiert, aber es macht tatsächlich auch Spaß darüber nachzudenken oder zu diskutieren.
Also wie seht ihr das? Habt ihr euch mit proaktivem RPG schon bewusst auseinander gesetzt oder wurde hier letzten Endes nur etwas ein Name gegeben, dass ihr so ohnehin immer schon gespielt habt? Oder sitzt ihr am anderen Spektrum und Spieler oder SL finden das grundsätzlich nicht gut und möchten lieber story driven/reaktives Spiel? Denn auch das war interessant. Ich habe heute morgen eine Folge vom Podcast "Over the Hills" gehört, bei dem die Aussage kam "ich mag kein Charakterabenteuer. Ich mag lieber vom SL eine Story haben in der ich mich kreativ austoben kann, aber ich mag mit dem Charakter nicht im Mittelpunkt stehen und andere Spieler nur zu Komplementärcharakteren verdammen". Auch spannend. Hier mag es ja durchaus eine Mischung geben, wie ich sie gerade in meiner 3er Spielergruppe auch wahrnehme. Einer der Drei wirkt mir eher als einer der gerne die Story der anderen beiden unterstützt und dabei ist (nach dem Motto: Abenteuer ist Abenteuer) während insbesondere einer der anderen beiden extrem in seiner Story aufgeht und passender Weise auch den intensivsten Hintergrund zu seinem Charakter und seinem Ziel geliefert hat.