Nun, das würde bedeuten Filminhalte aus politisch Gründen auszuwählen. Und wenn ich das richtig verstehe ist das der Hauptkritikpunkt am "woken Hollywood".
Wahrscheinlich sogar. Aber es ist halt ein verfehltes Argument, denn: Filminhalte aus politischen Gründen auszuwählen wurde, wird jetzt und wird auch in Zukunft in Hollywood immer gemacht werden. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Selbst wenn Studio Executives und Producers gerade dahinter sind, bestimmte politische Positionierungen aus Filmen herauszuhalten (was sie im Moment nicht sind, denn, wie andere schon gesagt haben: Studios wollen, dass ihre Filme ein möglichst breites Publikum abholen)... Regisseur:innen finden doch einen stets einen Weg, die gesellschaftlichen oder politischen Themen, die ihnen am Herzen liegen, doch irgendwie wieder reinzukriegen. Gar nicht zu sprechen von Drehbuchautor:innen – das sind basically Schriftsteller:innen. Die haben zu allem eine Meinung.
Und warum auch nicht? Film ist ein künstlerisches Medium. Mit einem Medium Kunst zu machen, bedeutet etwas mit dieses Medium auszudrücken, einen Beitrag zum Diskurs um irgendein Thema zu leisten. Meistens sind das Themen, die Menschen irgendwie beschäftigen oder von ihnen ein Werturteil verlangen. Nicht immer, manche Menschen wollen wirklich einfach nur "unterhalten". Aber auch die haben eine bestimmte Zielgruppe im Kopf. Und schon die Geschichte, die sie sich zu erzählen entscheiden sagt etwas über sie aus.
Das, was heute vielfach als "politischer Film" verschrieen ist, hat man vor einem Jahrzehnt oder so noch als "sozialkritischer Film" bezeichnet. Und das Medium Film hat massen- und breitenwirksame Einträge mit Sozialkritik, bis hin zum dicken Blockbusterfilm.
Sogar der allererste, im besten Sinne moderne Spielfilm überhaupt, "Citizen Kane" von 1941, reflektiert Politik, Kapitalismus und die Rolle der Medien darin. Jack Finnleys "Die Körperfresser kommen" von 1956 reflektiert die Angst vor den Kommunisten im Kalten Krieg, Phillip Kaufmanns Verfilmung des gleichnamigen Stoffes 22 Jahre später kritisiert diesen Ansatz und beschäftigt sich mehr damit, was diese Angst überhaupt bedeutet. "Rambo" thematisiert den Vietnamkrieg, "Trainspotting" den Thatcherismus, "Die Truman Show" die Privatsphäre in Zeiten von Reality-TV. Aus "Forest Gump" und "Ghostbusters" dringt aus jeder Pore eine pro-kapitalistische American-Dream-Haltung. Die 1st und 2nd-Wave Marvel-Filme haben auch eine ganze Menge über Militär und die Politik dahinter zu erzählen... einfach schon weil das US-Militär in ihrer Produktion involviert war.
Und dann wäre da noch "Star Wars", eine Geschichte, die George Lucas höchstselbst als antifaschistisch angelegt hat, die von seinem Eindruck des Vietnam-Krieges, der Nixon-Ära und Nazideutschlands beeinflusst ist. "Star Wars" hat eine ganz klare Haltung zu Faschismus, Autoritarismus und Imperialismus. Und diese Haltung lautet: "No good!" Das hat George Lucas selbst immer und immer wieder klargestellt. Variety zitiert ihn folgendermaßen:
"The idea is you’re supposed to accept people for what they are, whether they’re big and furry or whether they’re green or whatever. The idea is all people are equal."
.
Superstabile Aussage, George! Sehr mitmenschlich. Ich sollte noch dazu sagen, dass George Lucas diese Reaktion auf Vorwürfe hatte, im alten "Star Wars" seien zu wenig People of Color und Frauen am Start. Und den Vorwurf muss er sich auch gefallen lassen. Aber ich glaube schon, dass er sich genauso wenig auf die Seite der Kulturkämpfer schlagen würde, die in "The Last Jedi" oder "The Acolyte" den Untergang des Abendlandes vermuten. Dafür stimmt George der sogenannten "woken Bubble" auch einfach in viel zu viel zu. CBR schreibt über ihn:
In other words, Lucas viewed the Vietnamese as the rebels and America as the invading villains. He further explained that Star Wars was a "vessel" in which to place his worldview that the United States had become an empire during the Vietnam War, doomed to fail like every empire before it. Cameron noted how those views carried over into the Star Wars prequel trilogy, especially in Padmé's line, "This is how liberty dies, with thunderous applause." Lucas replied, "We're in the middle of it right now," referring to the country's political state.
Der Vorwurf, moderne Filme seien "soooooo politisch" im Gegensatz zu Filmen aus der Zeit davor, hält einfach nicht stand. Liegt auch vielleicht an der eigenen Filmbiographie. Klar, als man als Steppke im Kino saß und mit großen Augen "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" geguckt hat, hat man nicht drüber nachgedacht, dass die Ewoks die Vietkong repräsentieren. Und weil man seine ersten Filmerfahrungen damit gemacht hat, haben diese Filme einen besonderen Stellenwert. Ich kann auch bis heute keine Flaws in Peter Jacksons "Herr der Ringe"-Verfilmung gelten lassen. Obwohl mir bewusst ist, dass Inhalte fehlen, Messages anders lauten und bestimmte Setzungen etwas untolkienisch sind. Aber Jacksons Triologie war halt einfach DAS Filmereignis meiner Jugend. Ich werde nie den wohligen Schauer vergessen, den ich verspürt habe, als die Geigen beim Rohan-Theme eingesetzt haben. Gott, das war nicht von dieser Welt. Und, um es noch politischer zu machen: Ich liebe "Forest Gump". Bis heute. Obwohl der politisch überhaupt nicht meinen Ansichten entspricht und ich das weiß. Aber ich sehe auch seine redeeming qualities, sein Commitment zum Mitmenschlichen.
Ganz viele Filme wurden übrigens zu Erfolgen,
weil sie politisch etwas über ihre Zeit zu sagen haben. Wo das bei woken Themen passiert ist hat die Liste, die ich oben gepostet habe, bereits gezeigt. Die Filme dort stammen aus allen Jahrzehnten und müsste ich sie zusätzlich um "anti-kapitalistisch" oder "anti-imperialistisch" erweitern, kämen noch mehr dazu. Zum Beispiel "Taxi Driver". Oder "Der mit dem Wolf tanzt".
Also ich würde Alien nicht speziell als feministisch bezeichnen. Die Rollen wurden übrigens geschlechtsneutral geschrieben: https://www.cbr.com/alien-meryl-streep-helen-mirren-almost-ripley-before-sigourney-weaver/ Klar, das war progressiver als Star Wars, aber auch für die 70er nicht besonders feministisch. Abgesehen davon folgt der Film ja dem genauso dem "Final Girl" Schema wie viele andere Horrorfilme damals.
Nur dass Ripley eben kein "girl" ist. Sondern "one of the guys". Das war das Revolutionäre daran. In dem Text, den du verlinkt hast, steht das doch schwarz auf weiß. Schauspielerinnen wie Helen Mirren, die als erstes vorgesprochen hat, waren begeistert, dass die Rolle Ripley Männern und Frauen offenstand. Warum war sie das wohl? Weil dies zeigte, dass Ripley eine nicht-sexualisierte Rolle war, die durch Kompetenz und andere Eigenschaften heraussticht, und nicht durch ihren Körper. Eine Frau, die für die damalige Zeit nicht auf ihr Geschlecht fokussiert war.
Du hast nämlich schon recht: Es gab auch vorher schon weibliche Hauptfiguren in der SciFi. Aber die hatten halt für gewöhnlich knappe Leibchen an und unterwarfen sich dem male gaze. Das war in den 60ern und 70ern auch immer noch so. Denken wir an "Barbarella", denken wir an die Frauen im "James Bond"-Franchise, denken wir an "Charlie's Angels". Auch viele der "Final Girls" waren häufig in irgendeiner Form sexualisiert – oder das "Sex haben" hat in diesen Filmen diejenigen Frauen markiert, die als erstes draufgingen.
Ripley hat als Figur mit all dem nichts am Hut gehabt. War aber trotzdem, ausweislich "Aliens", wo es viel um Mutterschaft geht, eben auch nicht einfach "eine Frau mit Hosen an".
Feministische Frauenfiguren können halt auch einfach supervielgestaltig sein. Wir scheinen immer noch zu glauben, dass ein feministischer Film dem Zuschauer seinen Feminismus stets in die Fresse reiben muss, um ein feministischer Film zu sein. Aber das ist nicht der Fall. Denn Ripley ist eine feministische Figur. Und Elle Woods auch. Und Katara auch. Und Carry Bradshaw auch. Zu unterschiedlichen Zeiten hat es unterschiedlichen Filmen unterschiedliche feministische Figuren gegeben. Und daher ist wichtig zu betrachten: Wie weit war man denn damals mit der Darstellung dessen, was Frauen in Filmen tun dürfen und was nicht.
Und ich muss da leider konstatieren: Wir waren schon mal weiter. Zumindest, wenn man sich den Online-Diskurs anschaut.
Was "Kill Bill" angeht: was wäre denn das heutige Äquivalent wo sich über das Expertiselevel viel beschwert wird?
Ehrlich: Eigentlich ist doch schon die Frage falsch gestellt. Äußerst selten bezweifelt bei männlichen SciFi-, Action- oder Fantasyhelden jemals jemand die Kompetenz, weil die Codes dieser Genres für männliche Protagonisten halt auch einfach so eingeschliffen sind. Frauen brauchen im Diskurs schon mal eher eine Trainingsmontage, damit die Kinozuschauer das glauben.
Luke verliert ja auch beim ersten Versuch. Das verbreitete Argument ist ja dass Luke eine Lernkurve hat, Rey aber nicht, und dass diese Fehler beim schreiben systematisch passieren weil ein "strong feamale character" keine Schwächen zeigen darf.
Systematisch ist ja wohl ein großes Wort. I challenge you 10 Beispiele aus den letzten 5 Jahren zu nennen, wo diese Einordnung nicht mindestens strittig ist. Das gilt im Übrigen auch für Rey. Dass die nämlich in ihrem ersten Film nicht auch Rückschläge erleiden muss, ist nämlich schlicht nicht wahr. Dazu will ich einfach mal diese beiden Artikel dalassen, die das für mein Verständnis eigentlich ganz gut ausführen:
Nummer 1 und
Nummer 2. Die wichtigste Erkenntnis aus denen ist vor allem, dass wir dazu tendieren, Luke Skywalker als völlig geformten, monolithischen Charakter zu sehen, der alle drei Filme durchlaufen hat, was unser Bild von ihm formt, während wir Rey nach Veröffentlichung des ersten Sequels genau an demselben Maßstab bemessen haben. Give her time. Sie hatte in Film 3 ja sogar auch mal ihre Trainingsmontage.
Ja, aber ist das ok nur weil es in irgendeinem Schrottfilm schrottige männliche Figuren gibt? Die Messlatte für einen Star Wars Film ist ein bisschen höher (z.B. andere Star Wars Filme).
George Lucas wird damit zitiert, dass er selbst gesagt haben soll, dass seine Filme für 12-Jährige sind (was sich zugegeben ein bisschen mit dem beißt, was er oben gesagt hat). Und wenn wir ganz, ganz kritisch sein wollen, gibt es überhaupt nur einen wirklich guten, tighten, meisterwerkigen Star Wars-Film: "Das Imperium schlägt zurück". Und auch der hat seine Fehler.
Klar gibt es die. Es gibt ganz viel dummes und hässliches Zeug da draussen, und auf youtube wird nochmal zusätzlich polemisiert da Influencer von Aufregung leben. Aber das ist ja nun nicht die einzige Kritik. Insofern frage ich mich in wieweit dieses Geschrei hier relevant ist.
Das ist ja gerade das Problem. Dieses "Geschrei" im Internet
ist halt einfach relevant. Relevant durch Exposure. Einige der Kanäle die regelmäßig anti-feministischen Müll absondern, jeden weiblichen Helden auf die Goldwaage legen und solchen Schwachsinn erzählen wie etwa, dass Shimotsuki Kuina bei ihrem Trainingskampf gegen Zorro in der "One Piece"-Realserie signalisiert habe, sie würde ihn niemals besiegen können, weil sie ja nur eine Frau ist yadayadayada (in Wahrheit hat sie ihm den Arsch versohlt)... diese Kanäle gehören zu den beliebtesten Filmkritikkanälen auf der Plattform. Bei jungen Männern. Right-wing Influencer-Medienkritik wird millionenfach auf TikTok, Insta und YouTube geklickt. Von jungen Männern.
Sorry, Leute, aber der Shit ist einfach relevant geworden. "Wir sind mehr" mag zwar noch zutreffen, aber ist auch irgendwo im Diskurs eine fromme Selbstversicherung geworden.
Also wenn man mal über den Rand von Ostdeutschland hinausschaut weiss ich nicht so genau ob erfolgreiche europäische Rechtsparteien unbedingt für ein reaktionäres Rollenverständniss stehen, aber das ist ein ganz anderes Thema.
Weil die Frauen an der Spitze haben? Ach komm! Selbstverständlich stehen diese Parteien für reaktionäre Rollenbilder. Das fängt bei deren Ansichten zu Abtreibung an, geht weiter über deren Meinung zur Förderung von Frauen in Männerberufen und umgekehrt und deren Ansicht zu Body-Positivity-Bewegungen etc. Auch Frauen können reaktionäre Frauenbilder haben. Auch Frauen in Machtpositionen.