Was MICH an Glorantha anspricht:
1. Der Charakter ist Teil einer Gemeinschaft
Die Charaktere sind voll in die Gemeinschaft aus der sie kommen integriert.
Wenn man vom Default (das Königreich Sartar im Drachenpass) ausgeht bedeutet dies:
a) Man gehört einem Clan an, der selbst Teil eines Stammes ist, der ein Teil des Königreichs Sartar ausmacht. Dieser Clan ist mehr als nur ein Heimatdorf, es ist eine Blutlinie, es sind Verwandte (durch Blutverwandtschaft, angeheiratet, oder durch Adoption/Aufnahme). Dies führt zu Hintergrundereignissen, welche den Spielercharakter in den Hintergrund einbinden, ihn gleich mit hilfreichen NPCs, aber auch Rivalen, oder Personen ausstattet vor denen er Respekt hat. etc.
b) Man gehört einem Kult des Pantheons seiner Kultur an, was ebenfalls dazu führt, dass der Spielercharakter in den Hintergrund eingebettet ist. Der Kult gibt dem Charakter mindestens genau soviel Profil wie sein Beruf... eher mehr. Auch hier gibt es befreundete Kulte, konkurrierende Kulte, verfeindete Kulte, Beziehungen zu den eigenen Kultbrüdern (Issaries Händlergilde, Humakti Söldner, Ernalda Fruchtbarkeits-Priesterschaft, die Weisen Bibliothekare oder Gesetzeskundigen des Lhankor Mhy, etc.). Der Spielercharakter ist auch hier eingebunden in Zuständigkeiten, Ränge, Gruppen von NSCs, etc.
c) Leidenschaften und Runen. Jeder Charakter hat Leidenschaften (Dinge die er hasst, vor denen er Angst hat, die er liebt oder zu denen er Loyal steht). Das diese innere Einstellung des Charakters in Spielwerte gefasst ist, hilft dem Charakter mehr Tiefe zu geben.
Ebenso die Runen. Jeder Charakter tendiert zu bestimmten Runen. Diese können mit seinem Kult identisch sein, sich nur zum Teil überschneiden, oder sogar konträr dazu stehen. Dies gibt viel Spielpotential, sowohl von Seiten des Spielers aus gesehen, als auch aus der Sicht des Spielleiters.
2. Die Kulturen beeinflussen einander
In vielen Fantasywelten existieren unterschiedliche Kulturen nebeneinander her und scheinen sich kaum zu beeinflussen (auf der einen Seite der auf eine Landkarte eingezeichneten Grenze gibt es eine Arabische Kultur und auf der anderen Seite eine Keltische). In Glorantha haben sich die verschiedenen Kulturen im Laufe der Geschichte gegenseitig beeinflusst und verändert. Im Norden gibt es das, die Rote Göttin des Mondes anbetende, Lunare Imperium und im Drachenpass die das Sturmpanthon anbetenden Orlanthi... aber so einfach ist dies nicht! Dazwischen liegt Tarsch, welches formell zum Lunaren Imperium gehört, aber bis vor 100 Jahren noch ein Orlanthi-Königreich war. Auf dem Lande folgt die Bevölkerung weiterhin dem alten Pantheon (zumindest den Göttern davon, die nicht vom Lunaren Imperium verboten wurden) und nur in den urbanen Zentren überwiegt der Lunare Glaube. Und selbst in der südlichen Hälfte des Lunaren Imperiums ist Kultur und Glaube eher gemischt... wenn auch mit Lunarem Überbau. Und im konservativen Sartar befinden sich auch nachdem das Lunare Imperium aus Sartar vertrieben wurden, weiterhin Anbeter des Lunaren Glaubens.
Einflüsse lange vergangener Zeiten und sogar aus weit entfernten Gebieten haben im Laufe der Geschichte jede Kultur - einige mehr andere weniger - verändert.
3. Die "Abenteuer" der Charaktere haben Bedeutung für ihre Welt
Die Charaktere ziehen nicht umher, um Ruhm und Reichtum zu erlangen (auch... aber das ist selten die Motivation), sondern aus der Notwendigkeit, die ihre Umgebung ihnen vorgibt.
Man geht nicht in ein düsteres "verlassenes" Tal, um den dort lebenden Vampir und die von ihm erschaffenen Zombies zu erledigen, um den Ruhm dieser Tat zu ernten und sich die Silbermünzen des Vampirs unter den Nagel zu reißen.
Man geht in das düstere verlassene Tal, weil Zombies das Vieh umbringen, und junge Schafhirten (die Cousins der Charaktere sein können) verschleppt werden, um dem Vampir als Nahrung zu diesen.
Auch verdingt man sich nicht als Söldner in einer Schlacht gegen das wiederkehrende Lunare Imperium, um Geld zu scheffeln und Lunare Rüstungen und Waffen zu plündern. Man tritt für diese Schlacht der Sartaritischen Armee bei, weil der eigene Clanshäuptling an vorderster Front steht, und es darum geht seine Heimat vor den Besatzern zu schützen... seine Geschwister, Freunde und Glaubensbrüder. Man hat immer das Gefühl, dass wirklich etwas auf dem Spiel steht, nicht nur Objektiv, auch Subjektiv für die Charaktere.
4. Nichtmenschliche Nichtmenschen aka keine Zoogruppen
Die Nichtmenschlichen Völker Gloranthas sind nicht nur kleine Menschen mit Bärten, oder elegante Menschen mit spitzen Ohren die im Wald leben; sie sind tatsächlich Nichtmenschlich. Ihre Mythologie und ihre Geschichte sind mit denen der menschlichen Völker verbunden, aber die Kultur, Denkweise, Ideale und ihr Benehmen sind... "anders". Auch kleinere Nichtmenschliche Völker von den klassischen Minotauren und Satyrn, über das Vorzeige-Nichtmenschen-Volk Gloranthas (der Enten) bis hin zu Exoten wie den Dämonenpferden von Sir Ethilrist, haben alle ihre Geschichte, einen Grund warum sie so sind wie sie sind und warum sie dort leben wo sie es derzeit tun.
RuneQuest und Glorantha bietet durchaus die Möglichkeit viele dieser Völker auch als Spielercharaktere zu verwenden, aber per Default wird erst einmal davon ausgegangen, dass die Charaktere Menschen sind... und wenn möglich auch noch aus benachbarten Regionen stammen.
Eine Zoogruppe, die aus zu vielen Menschen exotischer Herkunft oder zu vielen Nichtmenschen besteht, KANN man spielen, aber die Einbindung der Charaktere in eine Kultur bleibt zum Teil dabei auf der Strecke. And that is not a bug, that is a feature!
5. Interaktion mit der Mythologie
Jeder Charakter gehört irgendeinem Pantheon an, und dort wahrscheinlich einem bestimmten Gott. Egal ob er vorhat irgendwann ein Runenlord oder Priester zu werden, oder nicht: JEDER interagiert mit seinem Pantheon und seinem Gott.
Ein Zauber (Geistermagie oder Runenmagie) stellt eine Interaktion mit den Fähigkeiten/Taten der Götter dar. Die Runen prägen den Charakter und ziehen ihn in die Richtung bestimmter Aspekte der Götter. In den zahlreichen Ruinen auf früheren Zeitaltern Gloranthas kann man nicht nur Artefakte alter längst verstorbener Helden finden, sondern auch Dinge aus der Zeit als die Götter noch unter den Lebenden wandelten (oder Gegenstände die diesen nachempfunden sind). Jede heilige Zeremonie der Götter eines Pantheons ist eine Emulation eines Ereignisses aus der Götterzeit, und wer daran Teilnimmt erlebt diese Ereignisse mit. Wenn man tief in diese einsteigt (sehr tief), dann nennt man dies Heldenquesten, und aus Heldenquesten kann man Gaben, Fähigkeiten oder Gegenstände wieder mitbringen, die auf anderem Wege in der Welt nicht erreicht/erschaffen werden können. (Regeln für Heldenquesten werden im "Gamemasters Book" - Arbeitstitel - in 2025 erscheinen.)
6. Kein moralischer Kompass
Es gibt auf Glorantha kein Gut und kein Böse. Das Lunare Imperium besteht nicht aus bösartigen Menschen, die andere Völker erobern, unterjochen und versklaven wollen. Die Idealisten des Lunaren Imperiums wollen den barbarischen Orlanthi, die nicht verstehen wollen, dass der Lunare Glaube die wahr Freiheit bringt, wenn man sich dafür unter die Herrschaft des Roten Imperators begibt und die Regeln des Imperiums einhält, nur der waren Weg zeigen... auch wenn dies bedeutet, dass man sie dazu zwingen muss.
Die Nichtmenschlichen Völker sind erst recht nicht gut oder böse, sondern verfolgen - mit ihren Mitteln, nach ihrem Verständnis, wie die Welt funktioniert oder funktionieren sollte - ihre eigenen Ziele.
Selbst nicht alle Chaoswesen kann man als wahrlich böse bezeichnen; einige folgen lediglich ihrem verdrehtem Weltbild von dem was richtig ist.
("We-Are-All-Us... ein bisschen Chaos ist nicht schlimm, solange es vom Lunaren Kulten kontrolliert wird." - Lunare Priesterin der Roten Göttin)
("Jedes Chaos ist alles Chaos... Chaos muss auf der Stelle ohne Erbarmen vernichtet werden, sobald man auf es trifft." - Praxischer Krieger des Sturmbullen.)
7. (Es muss eine 7 geben, weil: 7 Lichtbringer, 7 Mütter, 7 Wanes,...) Alles ist von Mythologie unterlegt, aber mit nicht völlig zufällig
Die Naturgesetze Gloranthas basieren auf Mythologie, nicht auf Wissenschaft und alles ist mit Mythologie unterlegt. Dies gibt viele Freiheiten Dinge so zu interpretieren wie es der Spielleiter braucht, hat aber dennoch seine Gesetzmäßigkeiten auf die sich die Spieler verlassen können.
Die Sonne geht nicht Abends unter und Morgens auf, weil Glorantha ein Planet wäre, der um eine Sonne kreist, sondern weil in der Götterzeit der Sonnengott Yelm von Orlanth erschlagen wurde und in die Unterwelt gefallen ist, worauf es dunkel wurde. Und erst als Orlanth seinen Fehler eingesehen hatte und in die Unterwelt herabgestiegen ist, um Yelm auf der Unterwelt zu befreien ist die Sonne wieder aufgegangen. Und so ist es seit dem jeden Tag.
Dies bedeutet für die Charaktere aber auch, dass sie (theoretisch) in die Unterwelt hinabsteigen könnten, um jemanden von den Toten zu holen.
Ein Pferd ist das Ergebnis davon, dass der Hippogreif seiner Flügel, seiner Kralle und seines Schnabels beraubt wurde. Somit ist ein Pferd ein Tier des Elements Luft (quasi ein Vogel), was enorm hilft wenn man das Verbot hat kein Fleisch von Säugetieren zu essen (Schwein, Kuh, Schaf, Bison, Llama, etc gehen nicht, aber Pferd geht!).
Ich würde heutzutage jedem der an Glorantha interessiert ist das gleiche empfehlen, was die Experten von Chaosium immer wieder betonen:
Holt euch das "RuneQuest Starter Set". Ein kurzes Regelheft, eine kurze Weltbeschreibung, ein Soloabenteuer, 14 vorgefertigte Charaktere, Karten von Nord-Sartar und der Stadt Jonstown und ein Heft mit 3 Abenteuern. Alles zusammen für kleines Geld. Einen besseren Einstieg in Glorantha gibt es nicht.
Und immer daran denken:
Man muss die Welt nicht komplett verstehen, man muss nicht alle Reiche, Runen oder Götter auswendig können. Klein anfangen! Anfangen sich mit der Region/Kultur in der man spielt vertraut zu machen, und von dort aus Stück für Stück die Welt und ihre Kulturen und Kulte weitererforschen... und das gilt nicht nur für Spieler, sondern auch (oder gerade) für Spielleiter.
Wenn man sich auf diese "Reise" einlässt wird das GROSSARTIG.