Dies ist eine Reaktion auf die Threads
Vertrauen,
Kampfbegriff Schummeln und
Schummeln ist kein Kampfbegriff.
'Schummeln' (explizit oder implizit akzeptiert, aber bei letzterem sollte man tunlichst nicht daneben liegen) oder 'Nicht-Schummeln' beeinflusst grundlegend das Selbstverständnis aller Teilnehmenden.
(Ich möchte nicht über den Begriff diskutieren. Wir wissen alle, was gemeint ist und weiter unten schlage ich am Rande einen anderen Begriff vor.)
Eine Spielleitung, die Würfelergebnisse ignoriert,
zusätzliche Orks eintreffen lässt,
noch eine Geschicklichkeitsprobe gewährt, um nicht in den Abgrund zu fallen, Quantenoger nutzt usw. usf.
übernimmt die Verantwortung für das Spielerlebnis.
Die Spielleitung wird zum
Romanautor, Bühnenmagier, Entertainer -- und die Spieler werden zu
Gourmets, Träumern, Konsumenten.
Beide Seiten mögen das gut finden:
Die Spielleitung kann…
1.
die eigene kreative Vision in eine Geschichte aus einem Guss umsetzen (egal ob geplant oder improvisiert),
2. die Beiträge und Wünsche der Spieler, ob problematisch oder inspirierend, geschickt in ihr Werk einpflegen (egal ob geplant oder improvisiert) -
eine hohe Kunst und weitaus schwieriger als die Alternative! -, und
3. den Freunden ein tolles, oft maßgeschneidertes
Spielerlebnis bescheren und dafür Bewunderung einheimsen.
Die Spieler können…
1. dramaturgisch
raffinierte Geschichten genießen, z.B. mit lang angelegten Enthüllungen und komplexen literarischen Techniken (
foreshadowing, dramatic irony uvm.),
2. sich
sorglos in ihre Rollen vertiefen, im Vertrauen darauf, dass die Spielleitung sie beschützt oder auffängt (und z.B. vorhersieht, dass man als Praios-Geweihter das Ansinnen des Kaufmanns brüsk von sich weisen wird--und entsprechend vorbereitet ist)
3. sich
zurücklehnen und sich so viel oder so wenig einbringen, wie sie gerade möchten (und es die Pläne der Spielleitung zulassen), im Vertrauen darauf, dass die Spielleitung die Handlung schon vorantreiben wird und alle Spieler berücksichtigt und sie ggf. 'anspielt'.
Ich habe rund 25 Jahre so gespielt und geleitet und viele wunderschöne Rollenspielerinnungen aus dieser Zeit!
Mein Geschmack hat sich indes grundlegend geändert und ich mache mir (zumindest derzeit) nichts mehr aus
gesteuerten Geschichten (ein Begriff, der mir besser gefällt als 'Schummeln').
Die Alternative?
Die Spielleitung übernimmt ihren Part (z.B. den eines neutralen Schiedsrichters) und alle Beteiligten verlassen sich auf die Regeln und halten sich auch daran.
Ich find's
fantastisch!
Die Spielleitung kann…
1. sich auf eine kohärente Aufgabe konzentrieren, d.h. sie muss nicht abwägen zwischen
Was ist realistisch? und
Was bringt jetzt am meisten Spaß? Aber nimmt das nicht langfristig die Spannung raus? oder
Kann ich das dem Johann zumuten?,
2. sich entspannen, da sie
eben nicht für das Spielerlebnis der Gruppe verantwortlich ist, sondern nur für ihren Part. Kein
Was mache ich bloß, wenn sie X tun? oder
Oje, ist das nicht zu platt, wenn ich jetzt die Stadtwache zu Hilfe kommen lasse?, kein
Ich hoffe, sie mögen den 'Endkampf'..., kein
Wenn ich das zulasse, dann fällt der 'Endkampf' in den Eimer... usw. und - für mich eine Offenbarung -
3. die Ungewissheit des Spielverlaufs genießen! Ich weiß selbst nicht, wie es ausgeht!
Werden die Charaktere die Prinzessin retten können? Wer überlebt und wer nicht? Freunden die sich gerade tatsächlich mit dem Monster an?!? Spannung und Überraschungen, immer wieder, jeden Abend!
Die Spieler können…
- sehen, wie
ihre Entscheidungen und
ihr Glück den Spielverlauf, nun ja,
entscheidend prägen. Bei gesteuerten Geschichten ist es meist mehr oder minder so, dass sie mit anderen Charakteren und anderen Spielern recht ähnlich abgelaufen wären.
Ausschmückungen und Nebenhandlungen sind anders, klar, und bei einer tollen Spielleitung - einem Meister, wenn man so will - auch noch mehr, aber für meinen Geschmack kein Vergleich zu einem ungesteuerten Spiel, wo man oft die individuelle Handschrift aller Beteiligten sehen kann - und nicht nur im (ggf. nuancierten, stimmungsvollen) Ausfüllen einer Rolle, z.B. des Prinzessinnenretters, sondern radikal:
Die Prinzessin ist tot, weil Du es vermasselt hast. Die Prinzessin lebt, weil Du eine 100 gewürfelt hast und das die Dinge auf den Kopf stellt.Ein etwas anderes Bild: Das Ganze ist ein bisschen wie der Unterschied zwischen
Mission: Impossible und einem Horrorfilm (oder Filmen der Kategorie 'Drama'). Bei M:I weißt Du, das es gut ausgeht -- und die Filmemacher tun ihr Bestes, damit du zwischendurch denkst
Verdammt, wie soll Ethan das bitte überleben? Das geht doch gar nicht! Bei einem Horrorfilm weißt Du nicht, wer überlebt oder ob überhaupt irgendjemand überlebt.
"Ungesteuert" heißt nicht automatisch, dass Charaktere sterben können. Je nach Genre, Geschmack und System kann man das ausschließen und sogar ein Happy End garantieren. Aber "Ungesteuert" heißt sehr wohl, dass die Dinge anders laufen können, als man es erwartet hat oder gerade gerne hätte.
Beides macht Spaß! Aber ich ermutige jeden, das Wagnis ungesteuerter Geschichten einzugehen: Das Spielleiten ist leichter, nicht schwerer. Beim Spielen riskiert man mehr, aber man wird mehr überrascht -- auch von sich selbst und seinen Mitspielern.
ENDE VON GECKO, ENDE VON MANIFEST