Ja, mit etwas Glück konnte man diesen Text auf der einen oder anderen Seite schon mal lesen, und Teile hier draus habe ich auch schon mal gepostet, aber noch nicht in dieser Langversion.. Aber da ich gerne bereit bin, mich mehreren Kritikern zu stellen und ehrlich gesagt ziemlich glücklich mit diesem kleinen Leitfaden bin, gibt es hier noch einmal eine eigene Grofafo-Edition.
Playing gritty
Ein kleiner Leitfaden für düsteres Rollenspiel
Kennt ihr auch das Gefühl, dass euch das klassisch-cineastische Heldenspiel nur langweilt? Überall nur die selben Rollenklischees, die albern rumhampeln und versuchen, möglichst cool zu wirken. Pubertierende Kiddys, die Rollenspiel als Ventil für ihre eigenen Frustrationen brauchen und sich deshalb eine Scheinwelt erschaffen, in der sie große, unverwundbare Helden sind- ist doch irgendwie kindisch, oder?
Warum nicht mal was anderes? Härteres, Düsteres, Rollenspiel, dass ohne Rumgehoppse und fancy Spezialeffekte auskommt, Rollenspiel, in dem Drama und vor allem Bedrohung im Vordergrund steht und nicht Wer die besten Feats oder die meisten Hitpoints hat.
Gerade in Fantasy-Settings ist gritty eine wohltuende Alternative zum cineastisch-heroischen Alltagsbrei. Natürlich es ist immer wieder ein großer Spaß, Wagner's Ritt der Walküren im Hintergrund zu hören, sich dazu die Rede von Heinrich V vor Ajincourt von Shakespear vortragen zu lassen und sich dann ins Getümmel gegen eine riesige Übermacht werfen um dann, mit der Macht des Pathos, letztendlich siegreich zu sein. Es ist unbenommen, dass so was Spaß macht- aber man kann diesen Spielstil schnell ausreizen. Und, seien wir ehrlich, eine Überdosis Pathos ist eine gefährliche Sache. Rollenspiel sollte nicht kitschig sein.
Ich will mal versuchen, hier einige Punkte auf zu listen, die sich in meiner Spielrunde bewährt haben. ?Gritty? muss nicht jedem liegen oder Spaß machen. Es ist nur ein rollenspielerisches Werkzeug, dass, richtig genutzt, für mehr Spannung und Intensität am Spieltisch sorgt.
Waffen sind keine Spielzeuge
Was im Rollenspiel oft unterschätzt wird ist die Tatsache, dass es darum geht, jemanden zu töten. Du oder ich, einer von uns beiden ist nachher tot- oder verstümmelt, zum Krüppel gehackt. Vielleicht auch wir beide. Jeder Kampf sollte eine Bedrohung sein. Dazu kommt die ganze Emotion, die damit verbunden ist- Adrenalin, Hass, Wut, Schmerz. Das sind alles Spielelemente, die der gritty SL verwendet um eine Atmosphäre auf zu bauen.
Tod ist nicht komisch
Gewalt ist nicht zum lachen. Es ist nicht cool, andere Leute zu Krüppeln zu hacken. Man sollte Gewalt auch nicht als cool darstellen- wer jemanden killt, solle die Konsequenzen davon tragen- langes, hartes Sterben ist an der Tagesordnung. Wenn du dem Ork eine tödliche Wunde zugefügt hast, löst er sich nicht einfach auf und hinterlässt XP und Schätze- er tut dir noch nicht mal den Gefallen und stirbt schnell. Ohne Gnadenstoß wimmert er nach Wasser, versucht weg zu kriechen und entleert seine Gedärme. Und du schmeckst noch sein warmes Blut... kannst du ihm jetzt in die Augen blicken? Oder ihm zu mindest einen schnellen Tod gönnen?
Dieser innere, moralische Konflikt kommt im Rollenspiel oft zu kurz- und damit geht ein enorm dramatisches Element verloren. Der Umgang mit der (Charakter-)eigenen Verantwortung und was der Charakter da draus macht, ist ein Stimmungselement, auf dem so manche klassische Tragödie basiert. Und was einem Roman oder einem Theaterstück zusätzliche Spannung verleiht, kann man im Rollenspiel immer verwenden.
Dummheit wird bestraft
Wer auf die Idee kommt, sich besonders heroisch zu verhalten, stirbt vermutlich auf eine grausame und unnütze Weise. Dies ist ein Kampf, Mann. Da sind Leute, die wollen dich töten (oder "nur" versklaven und kastrieren oder vergewaltigen...) und jeder Fehler ist potentiell tödlich, also mach besser keine. Der harte und fiese SL nutzt jeden taktischen Fehler der Spieler aus, um noch man deutlich zu machen, dass die Welt nun mal nicht fair ist.
Was man aber lassen sollte, sind eher willkürliche Charaktertode. Man sollte recht sparsam mit tödlichen Fallen sein (dazu später mehr), denn tote Charaktere sind eher unspannend.
In wessen Gedärmen steckt dein Schwert?
-Der Gegner. Gehe einfach davon aus, dass die Gegner nicht blöd sind. Gestehe ihnen genug taktisches Geschick zu, um die Spielercharaktere so richtig zu stressen. Auch hier gilt: Ausarbeitung und Abwechslungsreichtum bringen das Spiel auf die Beine. Arbeite deine Gegner gut genug aus, um sie markant zu machen- wenn die Spieler beim besiegen des Gegners so etwas wie Hass, Mitleid oder auch nur Erleichterung spüren, dann hast der harte und fiese SL seinen Job gut gemacht.
Man braucht keine Drachenarmeen, um Spannung auf zu bauen, wenn eine eingespielte Gruppe von Goblinjägern es auch tut- mit Hinterhalten, unfairen Taktiken (Stichwort: Guerilla-Kampf) können so'n paar Goblins echt gemein sein (und das, obwohl sie nur ziemlich miese Werte haben...)
High Pressure!
Kämpfe sind intensiv und hart- echte Brocken, die man als Spieler nicht im Übermaß erträgt und die als Spielleiter auch einiges an Arbeit erfordern. Daher: Wenige Kämpfe, diese dafür aber einzigartig und jedesmal so spannend wie möglich. Jeder Kampf sollte einzigartig sein und einen Höhepunkt darstellen- daher sollte man sie eher spärlich einsetzen um den Reiz des Besonderen bei zu behalten. Gleiches gilt auch für Magie- wenn Magie zu etwas Alltäglichem wird, dann geht das Exotische, Wunderbare da ran verloren. Sie wird banal und langweilig.
Es ist besser, pro Abenteuer nur einen Kampf zu spielen, wenn dieser dafür extrem intensiv ist. Jedes Stilelement im Rollenspiel muss man sich wie ein Gewürz vorstellen- zu wenig, und das Spiel wird fad, zu viel und es wird ungenießbar. Die richtige Mischung macht den Unterschied zwischen ?Hausmannskost? und ?Fünf Sterne Menü?.
Hart, aber fair
Ein Spielleiter der hart und fies spielt, darf eine Sache nicht aus den Augen lassen: Es ist nicht seine Aufgabe, möglichst viele SC's zu killen. Vielmehr sollen alle Beteiligten eine gute Zeit haben. Voller Spannung, Aufregung und viel Platz für Charakterplay und Entwicklung. Es ist notwendig, gemein zu sein, aber es ist genauso notwendig, nett zu sein. Gute Ideen müssen genauso 'belohnt' werden wie dumme 'bestraft'. Erfolgserlebnisse sind immens wichtig, weil sie motivieren. Wenn man keine Schnitte hat und ein ums andere mal auffe Fresse kriegt, geht irgendwann die Motivation flöten. Aber nur Erfolgserlebnisse machen die erzielten Erfolge schnell schal- es fehlt ihnen das Triumphgefühl, wenn sie normal sind. Es ist wichtig, dass man als Spielleiter sowohl Sieg als auch Niederlage der SC's zu lässt und beides dazu verwendet, die Handlung voran zu treiben. Und: Spieler dürfen sich niemals hilflos fühlen. Sie müssen immer das Gefühl haben, agieren zu können. Nichts ist schlimmer als Spieler zur Passivität zu zwingen und ihnen die Möglichkeit, die Situation zu beeinflussen, zu nehmen.
Eine besondere Stellung nehmen Fallen ein. Fallen sind im allgemeinen da drauf ausgelegt, tödlich zu sein. Aber es gibt kaum einen größeren Anti-Klimax als ?Dir fällt ein Stein auf den Kopf und du bist tot.? Bedenken sie zu Fallen drei Kleinigkeiten: 1. Jede mechanische Falle kann man genau einmal einsetzen. Die laden sich nicht einfach nach. 2. Es gibt historisch gesehen kaum Belege für die klassischen ?fallengespickten Schatzkammern?. Die sind eine Erfindung von Abenteuerromanautoren. Denn Fallen sind unpraktisch, stellen nicht wirklich so etwas wie einen Schutz dar (halt genau einmal, der nächste entschlossene Plünderer kommt bestimmt) und sie sind relativ wartungsanfällig sind- und nichts ist peinlicher als ein verklemmter ?töte sie alle? Fallenmechanismus. 3. Der gesunde Menschenverstand. Schaut euch mal Indiana Jones an. Sicher, ein spannender und unterhaltsamer Film. Aber- glaubt ihr wirklich, dass die alten Ägypter derartige Mechanismen konstruieren konnten?
Auch für gritty-Runden gilt: Rollenspiel soll allen Beteiligten gefallen. Jede Runde soll dazu motivieren, bei der nächsten wieder mit zu spielen.
Bedrohung ist spannender als Konfrontation
Oder: zeige niemals deinen Gummihai. Das Gefühl der Anspannung, das gleich etwas passieren könnte ist sehr wertvoll, und oftmals viel spannender als eigentliche Kämpfe. Also, Spannung aufbauen und auf einem hohen Niveau halten an Stelle von langweiligen Auswürfeleien. Ich erinnere mich an eine Spielrunde, an der eine Gruppe von tapferen Helden ein verlassenes Gehöft untersuchten. Im Haupthaus war ein unheimliches, unmenschliches Kratzen und Heulen zu hören, und mit der Zeit (die Abenteurer tasteten sich mit gezückten Waffen vorsichtig von Raum zu Raum vor) lagen die Nerven blank. Dazu kam heftiger Regen auf... (ich LIEBE meine Geräusche-CD-Sammlung) Und irgendwann war nur noch der Abstieg in den Keller unerkundet, hinter der dichten Eichentür lag die Quelle der Geräusche- ein unterernährter Hund, der im Keller eingeschlossen war und freudig an den nach Essen riechenden Helden hoch sprang.
Achte auf Plausibilität
Das beste Regelsystem überhaupt ist immer noch GMV. Je mehr ein Setting auf Suspension of Disbelief angewiesen ist, desto weniger Plausibel ist es und desto schwerer wird es, das imaginäre Auge der Spieler an zu sprechen. Je näher eine Spielwelt an dem ist, was man als Realität bezeichnen könnte, desto einfacher ist es, diese um zu setzen.
Plausibilität heißt, dass die Spielwelt nachvollziehbar sein muss. Nachvollziehbar heißt, dass es klar ist, warum, Dinge so sind wie sie sind und das die Erklärungen befriedigend sind. Es gibt Fragen, bei denen es relativ leicht ist, sie plausibel zu beantworten, es gibt Fragen, die schwer zu beantworten sind- beispielsweise "Was fressen eigentlich Drachen und wie viel?" Man sollte für derartige Fragen sich plausible Antworten suchen, um die Spielwelt besser begreifbar zu machen.
Generell gilt: Wenn man zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden muss, von denen die eine "realistisch" und die andere "cineastisch" ist, nimm immer die realistische.
Raten ist gut, Wissen ist besser
Ich bin immer wieder überrascht, wie wenig Plan viele Rollenspieler eigentlich davon haben, was sie da eigentlich machen. Man sollte doch meinen, dass Leute, die Spaß an pseudohistorischen Settings haben sich mal mit den Grundvoraussetzungen auseinander setzen und was dazu lesen. Weit gefehlt.
Es gibt so viele Rollenspieler, die in pseudomittelalterlichen Settings spielen aber schlichtweg keine Ahnung davon haben- und so'n paar Basics (Feudalsystem, Leibeigenschaft, Aufbau von Religionsgemeinschaften) einfach nicht drauf haben. Der härteste Fall, den ich in der Hinsicht erlebt habe, versuchte mir zu erklären, dass Alexander der Große ein Deutscher war.
Lesen tut nicht weh. Recherche hilft, eine Welt plastisch und (wieder das Zauberwort) plausibel zu gestalten.
Wie sieht so 'ne Welt eigentlich aus?
Ja, das ist eine wichtige Frage- weil viele sie nicht beantworten können. Man sollte da rüber Gewissheit haben, wie Ute Mustermann und John Doe der Spielwelt leben. Wie sieht der Lebensstandart für Bauern, Adelige, Handwerker aus? Wie schaut's mit der Verteilung der Geschlechterrollen aus? Wie unterscheiden sich zwergische und menschliche Bräuche?
Das alles sind reine Ambiente-Fragen und sie sind wichtig- was aber oft vergessen wird, ist warum haben Zwerge diese Bräuche, warum leben Bauern Handwerker und Adelige so und nicht so, weshalb sind die Geschlechterrollen so und nicht andersrum verteilt, etc.
Und- wie schaut's mit dem Lebensstandart eigentlich aus? Was ist mit Hygiene, verfügbaren Technologien, etc.?
Die Plausibilität der gritty-Welt macht diese meist recht düster. Städte ohne Kanalisation, unter- oder mangelernährte Bauern, despotische Adelige sind die Regel- einfach, weil es lange Zeit der Realität entsprach, und in manchen Teilen der Welt immer noch so ist.
Organisatorisches 1: Vorbereitung
Bereite dich gut auf deine Kämpfe vor. Habe immer einen Bodenplan, die notwendigen NSC und ein taktisches Konzept zur Hand. Was die Bodenpläne angeht: Entweder du legst dir haufenweise Zinnminiaturen zu, was ganz schön stressig ist, weil du alle Pläne dann maßstabsgerecht umrechnen und übertragen musst (abgesehen davon, dass es teuer ist), oder du kopierst dir den Kram, packst ihn in eine Klarsichthülle und zeichnest mit einem wasserlöslichen Folienmarker drauf rum. Immer nur das zeigen, was auch die Charaktere sehen- die "versteckten" Einheiten bewegst du so zu sagen verdeckt.
Organisatorisches 2: Die Wahl des Spielsystems
Nicht jedes Spielsystem ist für ein solches Rollenspiel gleich gut geeignet. Meiner Erfahrung nach geht hartes und fieses Spiel verdammt gut mit Shadowrun, Gurps, den WoD-Sachen und Harnmaster. DSA muss man etwas ummodeln und D&D vermutlich auch- theoretisch kann man allerdings mit jedem Rollenspiel ?gritty? spielen. Dark Sun zum Beispiel war ein AD&D Setting, dass wirklich sehr gritty war.
Organisatorisches 3: Die Wahl der Spieler
Hartes und Fieses Rollenspiel ist nicht für jedermann! Das ist Rollenspiel für Leute, die etwas Tiefgang wollen und die Rollenspiel nicht als Funraiser oder Realitätsflucht brauchen. Die idealen Spieler für eine harte und fiese Runde sind halbwegs mit sich selbst im Reinen und belastbar und können mit einem Rollenspielanreiz wie Schuldgefühl o.ä. umgehen. Tendenziell wendet sich der fiese und harte Stil mehr an ältere Spieler, nicht so sehr an 14-jäghrige Kiddos. Gritty ist ein Spielstil für Runden, die sich untereinander gut kennen und vertrauen, weil oft Themen angeschnitten werden, die bei vielen Leuten sehr starke Emotionen auslösen. Ich würde gritty niemals auf Cons oder mit mehr oder minder Unbekannten spielen- zum Einen sind da immer wieder eher merkwürdige Leute drunter, die Spaß da dran haben ?so richtig die Sau raus zu lassen? und eine eher düstere Runde dazu ausnutzen, um zu plündern, zu morden und zu vergewaltigen. So was reicht aus, um mir komplett den Spaß am Rollenspiel u verderben. Das andere Problem sind Leute, die mit ?härteren? Themen nicht umgehen können, da es ihnen zu nahe geht. Ich habe nichts gegen solche Leute, aber da ich sie nicht kenne, weiß ich nicht, wo ihre Grenzen sitzen (gegen Leute, die Rollenspiel dazu verwenden, ihre Allmachtsphantasien auch in einem recht düsteren Bereich aus zu leben habe ich allerdings schon was).
Organisatorisches 4: Die Wahl der Charaktere
Hartes und Fieses Spiel erfordert keine harten und fiesen Charaktere- eher im Gegenteil. Die ultraharten Kämpfe sollen dazu dienen, Kampfhandlungen auf ein Minimum zu reduzieren. Charaktere, die Kämpfe eher umgehen werden deutlich besser in eine harte und fiese Runde passen als harte Überkämpfer oder generische Feuerballschleudern. Da gritty sich vor allem durch Plausibilität definiert, müssen natürlich auch die Charaktere plausibel sein. Nichts spricht dagegen, dass sie herausragende Individuen sind- aber es sind auch nur Individuen, keine Götter oder Stereotypen. Jeder Charakter sollte so facettenreich wie möglich und nötig gestaltet werden- intelligente Wesen sind keine Abziehbildchen, die man in knappen Sätzen zusammen fassen kann, sondern sie haben Schichten, Ideen, Hoffnungen und Ängste, die alle wichtig sind, um diese Rolle mit leben zu füllen. Es gibt da einen einfachen Trick, um heraus zu finden, ob ein System für plausible Charaktere geeignet ist-
man erschaffe sich selbst. Du bist der Mensch auf diesem Planeten, den du am besten kennst. Wenn du diesen Menschen nicht in einem System umsetzen kannst, dann ist es Käse.
edit: Formatierung angepasst