Langsam senkt sich der Incom-Sleuth Scout unter dem ohrenbetäubenden Fauchen der Landungsdüsen dem Boden entgegen; präzise aber ohne jegliche Eleganz fahren die Landungsfüße aus. Kurz nachdem das Schiff auf dem harten Asphalt des kleinen Raumhafens aufgesetzt hat öffnet sich die Ausstiegsluke und auf die ausfahrende Rampe tritt eine hochgewachsene, drahtige, durchtrainierte Gestalt. Der dunkelhaarige Mann blinzelt im gleißenden Sonnenlicht und nimmt ein paar tiefe Atemzüge – wie immer, nach einer längeren Raumreise.
Was für ein gottverlassener Drecksplanet. Zum Glück muß ich hier nicht lange bleiben ist der erste Gedanke, der nach kurzem Umsehen durch seinen Kopf schießt.
Er wendet sich um und geht zurück in das Schiff. Seine Gedanken gleiten für einen kurzen Moment ab, als er im Geiste diese öde Felskugel mit der Welt seiner Geburt vergleicht....
...Coruscant.
Das große, das glitzernde, das reiche, das einzigartige, das prächtige Coruscant.
Herz der Galaxis. Zentralwelt des Imperiums und der alten Republik. Heimat von hunderten Milliarden von Wesen. Das Schicksal von Myriaden Lebewesen wird seit Urzeiten hier beschlossen. Sitz des Imperators, früher Heimat des galaktischen Senats und des hohen Rates der Jedi.
Der 14-jährige Javen Asd’rikk hatte bislang ein hervorragendes Leben. Zwar ist seine Mutter früh gestorben, aber da er sich gar nicht mehr an sie erinnern kann, vermisst er nichts. Sein Vater tat auch immer sein Bestes, seinem Sohn das Gefühl zu geben, wichtig und geliebt zu sein. Javen hat viele Freunde, ist einer der Besten in seiner Schule, der begabteste Schüler seiner Kampfsport-Klasse und hat Geld.
Viel Geld. Seinem Vater, dem schwerreichen Händler Seren Asd’rikk gehören schließlich nicht weniger als 47 Prozent eines der bedeutendsten Im- und Export-Unternehmen des Planeten. Eine ganze Etage in einem Wolkenkratzer der teuersten Gegend gehört Javens Vater, seine eigenen Wohnquartiere umfassen nicht weniger als 500 Quadtratmeter.
Ja, eine hervorragende Zukunft hat der junge Javen vor sich. Beste Chancen - wäre da nicht die unbedeutende Kleinigkeit, dass sein Vater wegen Steuerhinterziehung und illegaler Geschäfte mit der Rebellion vollständig enteignet wurde und sich mit einem Blaster in den Kopf geschossen hat.
Ob er etwas erben würde? Leider nein, das Vermögen seines Vaters genüge nicht einmal, um die Schäden zu decken. Er solle froh sein, dass er nicht in die Sklaverei verkauft wird.
Wo er jetzt leben solle? Auf jeden Fall nicht mehr hier. Er sei doch alt genug, um selbst zurecht zu kommen.
In einem Augenblick fällt Javen von den Gipfeln der planetaren Stadt auf ihren Boden. Aber ihm wird schon nichts zustoßen. Schließlich ist das hier doch Coruscant. Das große, das glitzernde, das einzigartige, das prächtige Coruscant.
„Na los, Ihr Klumpen aus Bantha-Scheiße - Endstation.“ dringt eine rauhe Männerstimme aus der Ausstiegsluke des Schiffes. Kurz darauf kommen zwei gefesselte Humanoide die Rampe hinab, stolpernd durch Stöße mit dem Lauf einer schweren Blasterpistole, die der dunkelhaarige Mann in der Hand hält. Über seine Schulter ruft er ins Innere des Schiffs „Ich liefere unsere beiden Kunden ab. Wir treffen uns in zwei Stunden in der Hafenkneipe, wenn Du deine Angelegenheiten erledigt hast.“
Einer der beiden Gefesselten sieht hierin seine Chance und stürzt sich auf den Bewaffneten. Dieser reagiert blitzschnell und schickt den Angreifer mit einem schweren Rückhandhieb zu Boden. „Aufstehen, los.“ knurrt er. „Und macht bloß keine Mätzchen mehr. Lebend bekomme ich mehr für euch.“
Ein Kopfgeldjäger. Ein vertrauter aber dennoch nicht willkommenerer Anblick, hier auf Calduin, wie auf vielen anderen Planeten der Galaxis auch...
...Coruscant.
Das schmutzige, das siechende, das verkommene, das dekadente, das stinkende Coruscant.
Sammelbecken des Abschaums. Unbarmherziger Mahlstrom. Das Schicksal von Myriaden armer Seelen wird seit Anbeginn der Zeit in diesem Moloch negiert, annulliert, vernichtet. Existenzen werden zerkaut und geschluckt, und was wieder auf die Straße gespuckt wird sind nur noch verdaute Fäkalien, in Farbe und Geruch angeglichen dem Rest des hier vor sich hin vegetierenden Abfalls.
Seit fast einem Jahr lebt Javen nun schon unter dem Bodensatz seiner einst so geliebten Heimatwelt. Auf der Straße, in verlassenen Lagerhallen, in stinkenden, muffigen Kellern. Er hat überlebt – aber das ist auch schon alles. Und auch das ist nicht sein Verdienst. Er hat sich einer Gang angeschlossen – allein kann man hier nicht überleben, das hat er schnell gemerkt. Aber in der Hackordnung steht er ganz unten, ist der Laufbursche, macht die Drecksarbeit, wird nicht respektiert und oft verprügelt, ernährt sich von dem, was man ihm hinwirft, schläft dort, wo man ihm Platz lässt. Aber er überlebt. Sicher, er hat eine hervorragende Nahkampfausbildung genossen – aber ohne Härte, Kompromisslosigkeit, Grausamkeit, den Mut sie anzuwenden nützt sie ihm nicht viel.
Er hat beinahe jede Selbstachtung verloren, hat sich damit abgefunden, wie ein Hund zu vegetieren bis zu seinem hoffentlich baldigen Ende. Doch dann kommt der Tag an dem sich all das ändern soll.
Javen und seine Gang hängen wie so oft in ihrer Stammkneipe ab, als ihn ein Mitglied einer anderen Gang anrempelt, provoziert, zum Kampf herausfordert. Statt sich geschlossen hinter ihn zu stellen, wie sie es bei jedem anderen Mitglied getan hätten, sind seine „Freunde“ nur belustigt. Sie wollen einen Kampf sehen. Sie wollen Blut sehen. Sie wollen sehen, wie der verweichlichte, duckmäuserische kleine Scheißer die Fresse poliert bekommt. Und wenn er dabei draufgeht – wen juckt es?
Also wird Javen nach draußen geschoben, ein johlender Kreis aus blutgierigen Zuschauern formiert sich um die beiden Kontrahenten. Javen blickt sich angstvoll um, Hilfe suchend, aber er hat nichts zu erwarten. Schlag um Schlag steckt Javen ein, blutet, und als er am Boden liegt, sein Gegner sich ihm unter dem Lachen der Umstehenden nähert, um ihm den Rest zu geben zerreißt etwas in ihm. Nein, zerreißen ist nicht ganz richtig – eher brechen. Ein Damm bricht – ein Damm, der all die aufgestaute Wut, die Frustration, den Hass zurückhielt, und eine gewaltige Sturzflut dieser Emotionen ergießt sich über Javen, lässt ihn seine Angst vergessen – das einzige was er noch weiß ist, dass er den anderen töten muss. Mit einem heiseren Gebrüll stürzt er sich auf seinen Gegner, lässt seine Faust auf dessen Gesicht niedersausen. Und dann wieder. Und wieder. Und...
Langsam lösen sich die roten Schleier vor Javens Augen auf, als er bemerkt, dass er festgehalten wird. Sechs Polizisten sind da, alle anderen sind geflohen. Blutbesudelt, tränenüberströmt steht Javen vor ihnen, weinend, heiser, und ihm wird klar, dass er die ganze Zeit geschrieen hat. Er blickt auf seine zu Fäusten gekrampften Hände, sieht Blut, Fleischfetzen, Zahnsplitter; sein Blick schweift zu seinem Gegner...
War das wirklich er? War er derjenige, der das Gesicht des jungen Menschen, vielleicht ein oder zwei Jahre älter als er selbst in diese blutige Masse verwandelt hat? Kann das...
Während er sich übergibt hört er den Polizisten, der den am Boden liegenden untersucht hat gerade noch sagen „Er lebt noch“. Ein paar Fragen werden ihm gestellt, aber Javen ist wie betäubt. Man sagt etwas von Prämie und Kopfgeld, drückt ihm 300 Credits in die Hand, und das reißt ihn ein wenig aus seinem Dämmerzustand. Er blickt die Polizisten aus zugeschwollenen, schmerzenden, tränenblinden Augen an, will noch etwas sagen, aber bevor sein nach Erbrochenem schmeckender Mund auch nur ein Wort formulieren kann ist er wieder allein.
Er blickt noch einmal auf das Geld in seiner Hand.
Geld.
Geld ist gleichbedeutend mit Nahrung. Mit einem Bett. Mit Respekt. Mit Leben. Mit Geld ist man jemand, das war in seinem früheren und in seinem neuen Leben so. Das ist überall so. Er geht wieder in die Kneipe, um etwas von seinem Geld auszugeben, um jemand zu sein.
Ein Blick in das harte Gesicht des dunkelhaarigen, drahtigen Mannes genügt, um die örtlichen Schläger und Kleinkriminellen von einer Konfrontation abzuhalten. Die wenigen Credits, die ein Überfall bringen würde sind beileibe keinen Blasterschuß in den Bauch wert.
Nein, lieber warten. Warten, bis er sich in einer der hiesigen Kneipen hat vollaufen lassen oder bis er bei einer der Huren unvorsichtig wird. Woher sollen Sie auch wissen, dass dieser Mann sich geschworen hat, niemals unvorsichtig zu werden, niemals die Kontrolle zu verlieren. Denn Kontrollverlust bedeutet Schwäche.
Und Schwäche bedeutet Tod...
...Coruscant.
Das harte, das gerechte, das nicht verzeihende, das reich belohnende, das schillernde Coruscant.
Planetarische Stadt. Urbanes Ökosystem. Dschungel. Myriaden von Lebewesen leben hier, sterben hier, töten und werden getötet. Stärke tötet, frisst, lebt; Schwäche wird getötet, wird gefressen, stirbt.
Javen ist stark geworden, hart geworden, hat getötet, gefressen, gelebt, ÜBERlebt. Auf der Straße hat er sich einen Namen gemacht, einen Namen, der mit Respekt, mit Vorsicht ausgesprochen wird, von manchen mit Furcht. „Ein harter Fighter“ sagen die einen. „Ein Killer“ die anderen. „Ein Kopfgeldjäger“ alle. In der Hackordnung seiner Gang – sie nennen sich inzwischen „Hunters“ – ist er aufgestiegen, ist nicht mehr der Prügelknabe, hat Respekt gewonnen. Respekt, den er sich durch Härte erworben hat, und durch das Geld, das er verdient.
Geld.
Warum er sein Geld seit nun dreieinhalb Jahren immer noch mit der Gang teilt weiß er nicht. Nötig hat er es nicht mehr – und das sagt er auch dem Anführer, B’suck, als dieser die Hälfte der neuesten Prämie einfordert. Javen weigert sich, schließlich hat er es verdient. Und ein weiteres mal steht er in einem Zweikampf, umringt von Zuschauern. Dieses mal jedoch johlt, lacht und grölt niemand, alle sind gebannt, fasziniert, hypnotisiert. B’suck ist gut, besser als Javen erwartet hat. Er wird getroffen, von seinen Fäusten, seinen Füßen, seinem Messer. Javen verliert, nein, er hat verloren. Als B’suck kommt, um ihm den Gnadenstoß zu geben greift er zu, greift eine Flasche, eine zerbrochene Flasche, schlägt blindlings zu. Daß er getroffen hat, sieht er zuerst am überraschten Gesichtsausdruck des Gegners, dann spürt er es an der feuchten, rot-braunen Wärme, die aus dessen aufgeschlitzem Bauch auf ihn fällt, dann am Gewicht seines Körpers, das ihn niederdrückt, bevor er das Bewusstsein verliert.
Den Posten des Gangchefs der ihm nach dem Brauch zusteht lehnt er ab. Er will mit diesen Verlierern nichts mehr zu tun haben, nicht mehr zu den Verlierern gehören. Er will gewinnen, aufsteigen, Geld verdienen; jemand sein, kein niemand sein.
„Ich gebe keine Rabatte. 1500 pro vertragsbrüchigem Minenarbeiter war die ausgeschriebene Prämie.“
„In Ordnung, 2500 für beide.“
„3000 und keinen Credit weniger. Ansonsten erschieße ich beide und Sie haben zwei Angestellte verloren.“
„Aber...“
„Kein Wort mehr.“ Der Kopfgeldjäger zieht seinen Blaster und legt auf den Kopf eines der beiden Gefesselten an. Dieser schließt die Augen, weint lautlos in Erwartung des nahenden Todes. Zumindest ER ahnt nicht, dass der Kopfgeldjäger keinen Unbewaffneten, Wehrlosen töten würde und dieser hofft, dass es der Personalchef es nicht darauf ankommen lässt.
Lässt er nicht.
„In Ordnung – 3000. Sie sind ein harter Verhandlungspartner.“
Er greift in die Schublade seines Schreibtisches, holt 3000 Credits in Plastikchips heraus und schiebt sie dem Dunkelhaarigen hin. Dieser greift sie, zählt mit einem kurzen Blick, nickt und steckt sie ein.
„Sie auch.“
Dann wendet er sich um und geht durch die Bürotür...
...Coruscant.
Das grausame, das wundervolle, das geliebte, das gehasste, das ferne Coruscant. Schmelztiegel von Kulturen. Esse und Schmiede von Persönlichkeiten. Myriaden von Lebewesen wurden hier auf die eine oder andere Weise erzogen, Persönlichkeiten geschmiedet, geformt oder zerstört. Eine Welt, die mehr als jede andere zeigt, dass das Leben ist, was man daraus macht. Aber solche Gedanken sind an Javens jetzigem Aufenthaltsort eher müßig. Wie konnte es nur so weit kommen? Wie konnte ER nur so weit kommen, auf diesen gottverlassenen Planeten ins Gefängnis, zusammen mit dem Abschaum, den er sonst jagt.
Er hat in den letzten 10 Jahren viel Geld verdient, ein Schiff gekauft, galaxisweit als Kopfgeldjäger gearbeitet. Nicht geliebt, nicht gemocht, aber respektiert, gefürchtet. Bei seinem letzten Auftrag jagte er einen Offizier der Rebellion. Jagte ihn, fand ihn, fing ihn, lieferte ihn ab, hier auf Primera X. Routine. Keine Routine waren die beiden betrunkenen Sturmtruppenoffiziere, die in der Bar Streit anfingen. Notwehr, aber das Imperium interessiert das nicht. Das Imperium versteht keinen Spaß bei krankenhausreifen Soldaten. Und nun sitzt er hier in der Zelle. In einem Gefängnis voller Mörder und Psychopathen, in einem Gefängnis, das aus allen Nähten platzt, in einem Gefängnis, in dem gerade ein beschissener Aufstand anfängt.
Der Chefwärter, der Major gibt Befehl, ein Kontingent von Rebellen aus den Zellen zu entlassen, sie sollen mitkämpfen, gegen die Mörder, gegen die Psychopathen. Als der Major an seiner Zelle vorbeiläuft, schießend, Befehle rufend, greift Javen seinen Arm. „Lassen Sie mich raus. Ich kann kämpfen.“ Der Major überlegt eine Sekunde. Er lässt ihn heraus. Javen kämpft, schießt, tötet. Nicht für das Imperium. Nicht für die Rebellion. Nicht für Geld. Nicht einmal für sein Leben. Für das Leben Anderer.
Der Aufstand wird niedergeschlagen, Javen wird begnadigt. Und er hat sich verändert. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er etwas für jemand anderen getan als sich selbst.
Er ist nicht weich geworden, nein. Nur...nachdenklicher...vielleicht gewissenhafter.
Er wird begnadigt, aber sein Schiff bleibt beschlagnahmt. Er hat nicht genug Geld, es auszulösen. Aber Major Stavka kann helfen – er hat den Dienst quittiert, hat einiges zu erledigen, braucht ein Schiff. Man hat sich schon ein wenig kennen gelernt, kommt miteinander aus, hat gemeinsame Interessen. Also legen die beiden zusammen. Stavka hat eine persönliche Mission. Javen hat Arbeit. Das lässt sich verbinden. Man kann zusammenarbeiten, eine Zweckgemeinschaft bilden, gemeinsame Wege gehen. Zumindest für eine Weile.
Als Javen Asd’rikk über die Straßen der Minensiedlung in Richtung der Hafenkneipe geht ist er nicht so entspannt, wie er es nach einem erfolgreichen Geschäft normalerweise wäre. Die Drohung gegenüber dem Personalchef der Minengesellschaft war notwendig, aber das könnte den Aufenthalt unangenehm gestalten – noch unangenehmer, als die Zeit auf diesem öden Felsbrocken ohnehin schon ist.
Ich hoffe, dass Stavka mit seinen Angelegenheiten fertig ist denkt er, als er die Kneipentür öffnet. Ich will hier so schnell wie möglich weg.
Weg...
Coruscant...
Heimat...