PE befasst sich nun damit, den Spielern über diese Charakterhandlungsebene hinaus Gestaltungsmacht zu geben. Das Ausmaß an PE kann sehr unterschiedlich sein. Vom Einbringen von NSCs in die Spielwelt bis hin zum SL-losen Spiel. Was gerne im Vergleich zu Spielerinput an den SL übersehen wird: Die Gestaltungsideen der Spieler werden umgesetzt, ohne dass sie einer direkten Legitimation durch den SL bedürfen. Ob das, was die Spieler gestalten, zu Spielrealität wird, entscheidet nicht der SL sondern Spielregeln oder die ganze Gruppe (s. Widerspruchsregeln bei Universalis oder Vergabe von Erzählrecht bei Pool oder PTA).
Ich würde auch nicht grundsätzlich sagen, dass Narr = PE sei. Allerdings fällt es mir schwer (und das ist wahrscheinlich nur meine äußerst subjektive Sicht der Dinge) mir Narr-Spielformen ohne PE vorzustellen. Vielleicht könnte da jemand Beispiele bringen.
Ich versuch's mal; immerhin habe ich ja vor langer Zeit angenommen, ich wäre Narrativist, weil ich Rollenspiel als Erzählkunst betrachte. Da hatte ich von solchen Spielen, wie sie von den NARRen hier angeführt werden, noch nichts gehört (wahrscheinlich gab es die allermeisten davon eh noch nicht).
Also: im klassischen Spiel spielen die Spieler jeweils in der Regel einen einzelnen Charakter und haben darüber hinaus keine Gestaltungsmöglichkeiten (lassen wir Troupe Style Play mal außen vor). Der Spielleiter spilet auch eine Rolle, nämlich die der gesamten übrigen Spiel-Realität. PE ist also vornehmlich eine Verschiebung von Teilen oder Anteilen dieser Spiel-Realität auf die Spieler.
Wenn ich darauf verzichte, heißt das nicht, dass das Spiel nicht trotzdem einer guten Geschichte dienen kann. Die Spieler sind aber hier Co-Autoren, die sich an die Regel halten, auf die Geschichte nur durch ihren Charakter einzuwirken. Nimm z. B. einmal die Comedy-Show Schillerstraße. Der 'Spielleiter' kann allen Einflüsterungen mitgeben und auf die Ereignisse einwirken, aber die Comedians beschränken sich auf eine einzelne Rolle. Als Autor einer Geschichte kannst du so etwas auch tun - der Spielleiter ist eher ein allwissender Erzähler, mit Ausnahme der Macht und des Wissens über die Spielercharaktere, die Spieler sind personale Erzähler, Ich-Erzähler, die ausschließlich innerhalb ihres Charakters Erzählgewalt haben.
Dabei kann nun durchaus eine Geschichte erzählt werden, nur haben eben nicht alle Beteiligten den gleichen Anteil und die gleiche Perspektive. Die Qualität der Geschichte als solcher hängt hier ausschließlich an dem Erzähltalent der Spieler, aber das ist, denke ich, immer so. Aber es fällt einem ungeschickteren oder erzähl-unlustigen Spieler-Erzähler leichter, sich zurückzunehmen und die Story der anderen zu konsumieren.
Es gibt Regelsysteme, die mehr oder weniger Erzählgewalt an sich reißen - ich betrachte das Regelsystem als eine dritte Erzählgewalt im Spiel. In der Regel treffen die Würfel Entscheidungen, die sich auf die Erzählung auswirken. Bei einem System wie Rolemaster wird z. B. ein Kampf zu einer Erzählung, die sich aus Tabellenfragmenten speist - die Regeln übernehmen das Spiel. So etwas mag ich nicht; was ich bevorzuge, sind Regeln, die sich auf die Auflösung von Handlungen konzentrieren, mir aber als Ergebnis eine leicht interpretierbare Qualitäts-Einordnung geben, die dann in ein passendes Element der Erzählung umgewandelt wird.
In meiner spielpraxis ist es so, dass die Spieler zum größeren Teil keine Erzähler sind. Sie führen ihren Charakter, spielen ihn auch, aber sie formulieren nicht unbedingt erzählerisch geschickt; das bleibt eher mir überlassen (wie gut ich das kann, lasse ich mal dahin gestellt...) Würde ich diese Spieler jetzt mit einem Regelsystem konfrontieren, das von ihnen verlangt, weite Teile der Erzählung selbst zu erschaffen, gäbe das eine Katastrophe (einige der Spieler haben mal klassisch zu leiten versucht und sind schon daran gescheitert).
Abgesehen davon, ich sehe nicht, wie eine Gruppe von Autoren ohne definitive Vorgaben z. B. einen Krimi schreiben soll, wenn gleichzeitig kein roter Faden vorhanden ist und nicht schon alle wissen, wer der Täter ist. Wenn aber alle das Wissen, ist der Reiz des detektivischen Rollenspiels verloren. Es kann durchaus einen anderen Reiz geben: aber der des detektivischen Spiels (und noch mehr beim Horror-Spiel) liegt eben m. E. in der mangelnden Kontrolle über das Spielgeschehen.
Robin