Als Enkidi erwachte, krallten sich seine Finger noch immer in die Gitterplatten.
Die Dunkelheit, und alles, was sie enthielt, zog sich zurück wie ein Tier, das das Licht des Tages fürchtet. Nur die Kälte blieb.
Eine Weile starrte er einfach nur auf das Metall vor sich und seine weißen, verkrampften Finger und hoffte, dass es vorbei war.
Er lag auf dem Boden, auf eiskaltem Stahl. Sein Atem ging flach und schnell, wie nach einem kilometerlangen Dauerlauf, und da war
noch ein Rest körperloser Panik, die aber mit jeder Sekunde, in der er den Raum um sich klarer wahrnahm, dahinschmolz und
schließlich versiegte.
Es war still. Er wusste nicht warum, aber er war dankbar dafür.
Ein kühlen Luftzug strich über seinen nackten Oberkörper. Das massive Stahlschott des Frachtraumes stand offen. Eine Anzeige flackerte in grünem Licht.
Die Ewigkeit und acht Stunden waren vergangen.
Er setzte sich auf, unendlich langsam und vorsichtig, wie ein Insekt, dass schwach und verletzlich aus seinem Kokon kroch und erst unter dem Licht der Sonne zu seiner endgültigen Gestalt aushärtete. Kein Schmerz. Nur unendliche Schwere und Erschöpfung.
Er sah an sich herunter. Da war Blut, eingetrocknet, auf seiner Brust, seinen Armen, auf dem Boden. Lag als metallischer Nachhall in seinem Mund.
Er erinnerte sich vage an Blut, das eine andere Farbe gehabt hatt, und begann zu zittern. Panik blitzte in ihm auf, ein Nachbeben, das kaum dass er es bewusst wahrnahm, auch schon wieder verebbte. Plötzlich war ihm dieser kalte, tote Raum, in den er sich selbst gesperrt hatte, unerträglich.
Er zog sich hoch, schleppte sich aus dem Frachtraum nach oben, zwei schmale Leitern empor, wusch sich in seinem Quartier und streifte sich erneut eine grobe Leinenrobe über. Seine Bewegungen waren langsam, mechanisch, als hätten Geist und Körper noch nicht ganz zusammen gefunden.
Er fragte sich, ob er wirklich schon wach war.
Es gab diesen Test, der Kindern einfiel – sich in den Arm kneifen, damit der Schmerz bewies, dass man wach war.
Aber was half einem das, wenn auch die Träume voller Schmerz waren.
Er saß eine Weile reglos auf der Kante seiner Schlafpritsche und betrachtete seine Hände. Die Linien und Furchen, Täler und Hügel.
In der Linken deutlich, in der rechten von aufgeworfenem Gewebe entstellt. Das Elixir hatte in der Nacht gearbeitet, unabhängig von allem, was geschehen sein mochte. Die Wunde war versiegelt und mit neuer, frischer Haut überzogen. Es kribbelte, aber das Brennen, der grelle Schmerz, waren fort.
Er musste wach sein. Es war Zeit vergangen.
Enkidi erhob sich und verließ das Schiff, ohne Richtung. Es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein Bild kam ihm in den Sinn; von einem Gefäß, in dem eine silberne Flüssigkeit schwappte, und das waren alle Gedanken die er je gedacht hatte und denken würde. Und nun war sie leer, ausgeschüttet, oder zerbrochen – etwas hatte sie verzehrt.
Eine Stimme. Ein Gesicht. Es verzehrte. Darum exisiterte es.
Menschen. Plötzlich waren Menschen um ihn herum. Und Lärm. Stimmen. Rufen, Lachen. Jemand, der sich bei einem anderen jemand beschwerte. Er war auf den Arkaden. Das wummernde, pumpende Herz der Station, und er trieb zwischen den Menschen wie in einem warmen Strom.
Jemand rempelte ihn unsanft an und ein Mann mit dünnen Lippen und buschigen Brauen schimpfte ihm entgegen. Der Mann wusste nicht, wer da vor ihm stand, wieviele Welten zwischen dem einfachen Pilger und dem Adligen in der Robe eines Pilgers lagen.
Aber das war egal. Es war ein Mensch, und er war von Menschen umgeben. Enkidi spürte ihre Wärme, ihre Atemzüge, wusste, dass das Blut in ihren Adern rot war und lebendig und real. Sie hatten eine Form, die vertraut war, und nicht dem Alptraum entsprang. Man konnte sie berühren und erfassen. Ihre Stimmen hören, nicht fühlen.
Dies war real. Das andere nicht.
Er war dem Mann dankbar, und war drauf und dran, ihm das zu sagen, aber er war schon wieder in der Masse verschwunden. Andere rempelten in an, der Menschenstrom war dicht, sie strebten auf ein Ziel zu, dass Enkidi nicht erkennen konnte. Es war ihm gleich. Er genoß es, unter ihnen zu sein. Anonym und gesichtslos, ein Mensch unter vielen. Jemand, den niemand beachtete.
Auf den kein Auge fiel.
Schließlich stand er vor einem Portal. Einem hohen Bogen, dessen Ränder von roten Leuchtstoffröhren abgegrenzt wurden. Dahinter lag der Geruch von Kaffee, Joloba und frisch gebackenem Brot. Er trat ein.