bei mir entscheidet immer noch das Ergebnis der Probe darüber wie die Aktion am Ende aussieht, nicht das Aussehen der Aktion darüber ob sie erfolgt hat.
Das möchte ich etwas hinterfragen:
Nehmen wir mal eine hypothetische Situation:
Ein Spielercharakter befindet sich im Kampf gegen einen Nichtspieler-Charakter.
Der SC ist an der Reihe. Er könnte jetzt zum Gegner hingehen und ihn angreifen.
Dabei müsste er ein Hindernis überwinden (Tisch, Auto, was weiss ich).
Seine Bewegungsweite würde ausreichen, um dieses Hindernis zu umrunden und er könnte immer noch angreifen.
Der Spieler hat jetzt die Wahl. Entweder er umrundet das Hindernis und greift an, oder er denkt sich etwas anderes aus, um das Hindernis zu überwinden (drüber springen, hechten, was weiss ich).
Das Resultat wäre grundsätzlich das gleiche - am Ende greift der SC den NSC an.
Wäre es jetzt fair oder sinnvoll, die Alternative (Hindernis überwinden statt umgehen) durch eine Würfelprobe zu erschweren und damit ggf. den Angriff des SC zu Nichte zu machen?
Sicherlich wird hier der Sinn nach "Realismus" angesprochen - Der SC soll doch bitte durch eine Würfelprobe zeigen, ob er überhaupt im Stande ist, seine Handlung auszuführen. Wenn er eine akrobatische Aktion macht, sollte man doch bitte prüfen, ob er akrobatisch überhaupt gut genug ist...
etc. etc. blabla...
Was hat das zur Folge? Der Spieler kann sich selbst ausrechnen zu wieviel Prozent Chance er dann noch zu seinem Angriff kommt.
Wenn er dann nicht grad waghalsig oder dumm genug ist, wird er auf das überflüssige Risiko verzichten und den Angriff ausführen nach dem er das Hindernis umgangen hat.
Jawohl rufen jetzt viele, denn das ist ja realistisch. Wer sich aufs Eis wagt, sollte doch bitte auch ausrutschen können und die, die das Eis umgehen sollten doch bitte den Vorteil geniessen, dass die anderen ausgerutscht sein könnten.
Halt rufen jetzt die anderen, denn das ist ja unspektakulär und völlig langweilig und wir sollten doch das Maximum an Unterhaltung rausholen.
Realismus gegen Dramatik - jeder bitte nach seinen Vorlieben!
Ich sage beide haben recht. Aber...
Der springende Punkt ist - wir spielen Rollenspiel um Abenteuer zu erleben.
Wir schaffen uns Charaktere, die sich in Abenteuer stürzen, denn wir WOLLEN Abenteuer erleben.
Rollenspiel an sich ist bereits das Verlangen "Gib mir ein Hindernis, das ich überspringen kann!"
Der Spieler, der als Grundeinstellung "Ich mache Rollenspiel, damit ich Hindernisse umgehen kann" besitzt würde sich einen Handwerker schaffen, der seinem Tagwerk nachgeht und Zeit seines Lebens kein Abenteuer erlebt - das wäre realistisch, denn das Abenteuer birgt das Risiko, dass wir scheitern.
Aber das macht niemand.
Alle Rollenspieler bauen darauf, dass es ein Abenteuer gibt. Ein Spielleiter, der eine Kampagne aus "Kartoffeln anpflanzen und ernten" machen würde, wäre schnell arbeitslos (oder gar gesteinigt).
Ich gehe sogar noch weiter: Die Rollenspieler bauen auch darauf, dass sie im Abenteuer Hindernisse bekommen, die sie überwinden können, damit sie am Ende des Abenteuers an der finalen Situation stehen können, wo der grandiose Showdown geschieht, der Mörder entlarvt oder der Spion überführt wird. Die Hindernisse auf dem Weg sind Mittel zum Zweck, dienen aber weniger dem echten Hinderniss, als vielmehr der stilvollen Unterhaltung.
Wer das bezweifelt, der sei gefragt: Möchtest Du wirklich in einem unwichtigen Geplänkel eine Viertelstunde nach Beginn Dein Licht ausgeblasen bekommen und das grandiose Spektakel am Ende (auch Finale genannt) verpassen?
"Nein!" ist die Antwort - Niemand geht aus dem Kino, weil der Hauptdarsteller am Anfang des Films den einleitenden Kampf überlebt. Alle warten aufs Finale.
So, jetzt den Bogen zurück zum hypotetischen Beispiel:
Diese Grundeinstellung, die ich gerade dargestellt habe, sagt sehr viel darüber aus, was in einer solchen Situation erwartet wird.
Der Sprung über das Hinderniss ist nur "mittel zum Zweck und dient der stilvollen Unterhaltung".
Alle erwarten, dass der SC danach den Angriff starten kann. Der Angriff stellt das dramatische Finale dar - das Vorspiel ist nur stilistisches Mittel um dorthin zu bekommen.
Wer jetzt die geschilderte Situation mit Proben belegt, sorgt letztendlich dafür, dass die Spieler beginnen, zu versuchen, das dramatische Finale direkt zu erreichen. Sie versuchen, die Hindernisse in der Mitte zu umgehen. Der Film der mit dem Finale beginnt und nach einer halben Stunde endet.
Wäre Star Wars Episode IV so erfolgreich gewesen, wenn Luke mit Obiwan die Pläne des Todessterns direkt entschlüsselt, hingflogen und ihn vernichtet hätten, ohne den Zwischenteil zu erleben...? Wäre es klug gewesen das Erreichen des Finales dem Zufall (Würfelwurf) zu überlassen?
"Halt!" rufen jetzt die, die sich immer noch nicht vom "Realismus" lösen können...
"Das ist ja cinematisches Rollenspiel, schön und gut, aber es gibt ja auch andere Spielarten, die dann den Anspruch auf 'Realismus' haben...!"
Gibt es die wirklich? Seien wir mal ehrlich...
Ich behaupte jetzt: Es gibt genauso viele Rollenspieler, die absolut Realismus verlangen, wie Dokumentarfilme im Kino gezeigt werden.
Ich liebe Dokumentarfilme! Aber wenn ich ins Kino gehe, will ich Drama erleben.
Niemand (zumindest kenne ich niemand) nimmt sich ein Regelwerk und spielt eine Mittelaltersimulation.
Das ist genauso beliebt, wie LARP echtes Mittelalter simuliert - Es gibt Projekte, wo Menschen ein halbes Jahr wie im Mittelalter oder in der Steinzeit leben - die Projekte sind aber wissenschaftlich von irgendeiner Uni und nicht zur Unterhaltung und weder Larp noch Mittelalter-Märkte haben einen echten Anspruch auf solchen Realismus. Wenn sie den hätten, würde niemand mehr teilnehmen.
Beim Rollenspiel ist es das gleiche. Realismus im Rollenspiel ist ein Wegweiser - um das Geschehen in einem gewissen Rahmen des Akzeptierbaren zu halten. Wenn Realismus zum Korsett wird und alles einschnürt, dann verkümmert etwas.
Ich behaupte, dass alle Rollenspiel aus romantischen und dramatischen Wünschen spielen.
Alle wollen Abenteuer erleben und alle möchten das dramatische Finale erleben und nicht unterwegs stolpern.
Die Hindernisse auf dem Weg zum Finale sind Stilmittel. Sie dienen aber nicht der Auslese sondern der Unterhaltung.
Und genau deswegen sollte man dem SC die Probe beim Überwinden des Hindernisses ersparen.
Denn diese unnütze aber unterhaltsame Einlage ist nichts anderes - der Weg zum Finale.
Letztendlich ist das gesamte Rollenspiel genau wie die unterhaltsame Einlage: unnütz aber unterhaltsam
Alle die Rollenspiel machen, wählten also eigentlich schon den unnützen aber unterhaltsamen Weg.
Und es sollte alle freuen, wenn dieser möglichst unterhaltsam und fantasievoll gestaltet wird.
Ihn zu mit Proben zu belegen, heisst ihn zu bestrafen. Und das bedeutet letztendlich, dass man dem Spieler sagt:
"Spiel nicht unterhaltsam, sondern effektiv, auch wenn es dadurch langweilig wird."
Wir müssen uns überlegen, was wir im Rollenspiel wollen:
einen sachlichen Dokumentarfilm oder einen dramatischen Abenteuerfilm
Ich kenne keinen, der einen Dokumentarfilm im Rollenspiel durchleben möchte.