@Jesto:
Und genau das ist der Punkt, an dem ich mit streiten würde: Ich bin eher der Meinung, dass der Weg vom klassichen Rollenspiel zum Geschichtenerleben sehr steinig und keinesfalls beabsichtigt war, da spürt man einfach das Erbe des Wargaming.
Mit mir kannst du da nicht streiten, da stimme ich dir voll und ganz zu: das Erlebnisspiel ist eine Weiterentwicklung des 1st Person Wargaming. Zu Anfang hat sich das Rollenspiel doch bewusst in Höhlen aufgehalten, weil die Freiheit der Oberfläche den ersten Spielleitern und RPG-Autoren suspekt war. Aber es gibt heute noch Spiele, die in Höhlen stattfinden, auch wenn es oft vielleicht nur noch Höhlenmetaphern sind.
Beim Erlebnisspiel geht es nicht unbedingt um filmreife und literarische Szenen: wenn eine dabei vorkommt, ist das eben ein besonderes Erlebnis, wenn sie dauernd vorkommen, legt man sie irgendwann nur noch zu den anderen. Oder man spielt ein Erlebnissystem, das trotzdem solche Momente dauernd aufkommen lässt, z.B. Wushu (für heroisch Filmreifes).
Den Improvisationstheater-Vergleich kann ich nachvollziehen: und die Erfahrung eines Impro-Stücks ist eine andere, je nachdem, ob du Zuschauer bist oder Mitspieler. Für den Zuschauer gibt es die Illusion der echten Erfahrung (suspension of disbelief und all das), für den Schauspieler nicht (zumindest nicht für jeden).
Beispiel: ich war Anfang des Jahres auf einem Krimidinner (
www.krimidinner.de). Die Besucher dieses Events sind quasi Charaktere in einem Rollenspiel, denn sie alle sind zu einem Reueessen geladen. Einige Schauspieler (die natürlich wissen, was vorgeht) geben dazu eine Edgar-Wallace-mäßige Rahmenvorstellung. Einige Zuschauer sind gelegentlich im Rahmen ihres Charakters auch Mitspieler, einer wird zum Arzt gemacht, einer zum Testamentsverleser, ich selbst durfte eine Leiche mitbeseitigen usw. Aber zu keiner Zeit sind die Zuschauer in den Plot eingeweiht, und das ist wichtig. Wir saßen da und haben mitgerätselt, ob es eine logische Lösung für die Mordfälle gab, die man uns während des Abends präsentierte. Leider (und da fühlte ich mich ein bisschen betrogen in meiner SIM-Natur) habe ich den Verdacht, dass man am Ende den zum Mörder erklärt hat, der von den Zuschauern die meisten Stimmen bekam, denn erst nach der (geheimen) Abstimmung wurde der Butler deus-ex-machina-mäßig mit einem Motiv versehen und folgerichtig verhaftet. Das hat das Gesamterlebnis ein bisschen versauert.
@ Lord:
Mein persönliches Bauchgefühl sagt mir, dass die Beliebtheit von Erzählspielen hier im Forum ebensowenig repräsentativ ist, wie die User dieses Forums für die Gesamtheit der Rollenspielgemeinde repräsentativ sind.
Absolut. In den letzten paar Tagen gab es eine Diskussion in einem Kult-Forum darüber, dass alle Rollenspiele eigentlich Task Resolution-Systeme sind. Der einzige andere außer mir, der von neueren Spielen, Theorien usw. auch nur gehört hatte, hätte mit seiner Äußerung dort leicht zum Gründer der Anonymen Theoriegeschädigten werden können, weil ihm GNS für Jahre das Spielen versaut hat.
@ Thalamus:
Ich denke, man kann die Abfolge von CoSim -> Rollenspiel -> Erzählspiel vielleicht so sehen wie ein Fraktal, wo eine Vergrößerung eines Aspektes immer ein vollständiges Abbild des ganzen zu sein scheint. Da ist zunächst das CoSim als großes Bild, dann sagt jemand namens Gygax 'lass uns mal auf einen der Charaktere zoomen'. Durch dieses Nadelöhr eröffnen sich dann plötzlich ganz neue Möglichkeiten, weil der einzelne Charakter ganz andere Entscheidungen trifft und Motivationen hat als die Kohorte, zu der er ursprünglich gehörte. Dann kommt jemand und sagt 'mich interessiert nicht, ob der Charakter zur Toilette muss oder den Zug noch kriegt, ich will wissen, was sein größtes Problem ist und wie er damit umgeht', und plötzlich eröffnen sich durch diese Vergrößerung eines Aspektes wieder ganz neue Möglichkeiten der Beschäftigung. Insofern ist es durchaus eine Weiterentwicklung, weil durch Spezialisierung etwas Neues entsteht.
Was Neueinsteiger angeht: ich habe nie ein CoSim gespielt und bin gleich zum Rollenspiel gekommen. Ich kann mir problemlos vorstellen, dass Neueinsteiger direkt zum Erzählspiel kommen, und ich glaube nicht, dass sie deshalb automatisch niemals ein CoSim oder Erlebnisspiel spielen werden. Hey, weder Computer RPGs noch Sammelkartenspiele, die auch alle irgendwie Ableger des Rollenspiels sind, haben das Rollenspiel oder das CoSim als Nachfahren abgelöst. Erzählspiele schaffen das auch nicht, aber sie erschaffen eine neue Art. Die Evolution geht weiter, aber so, wie es noch immer Reptilien und Amphibien gibt, muss das nicht das Ende der älteren Form bedeuten.
Verdammt, würdet ihr mich jetzt bitte endlich posten lassen! Immer schreibt jemand noch was dazu...
Robin